Hitlerjunge Salomon heißt das berühmte Buch: Salomon „Sally“ Perel – 2023 im Alter von 97 Jahren in Tel Aviv verstorben – war einer der letzten Zeitzeugen des Holocaust. 1925 als Sohn eines Rabbiners in Peine geboren, verliert er im Alter von nur zehn Jahren seine deutsche Heimat: die Nationalsozialisten zerstören das Geschäft seiner Familie, die daraufhin nach Osten flüchtet. Als die Wehrmacht polnisches Gebiet erreicht, verlassen Sally und sein Bruder ihre Familie auf Wunsch der Eltern, um Zuflucht in der Sowjetunion zu finden.
„Du sollst leben!“, sind die letzten Worte seiner Mutter, die er nie wieder sieht. Der Vater verabschiedet sich so, auch für immer: „Vergiss nie, wer du bist!“ Vor Minsk werden die beiden Brüder von deutschen Soldaten festgenommen. Um sein Leben zu bewahren, verschleiert Sally Perel seine jüdische Identität: Salomon Perel wird geistesgegenwärtig zu Josef (Jupp) Perjell. „Aus dieser Notlüge entwickelte sich ein Doppelleben am Rande des Wahnsinns“, wie Sally Perel 1992 in einem Interview mit dem Spiegel berichtet.
Seine beeindruckende Geschichte verarbeitete Perel zunächst in seinem autobiographischen Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon“, das Anfang der 90er Jahre verfilmt und sogar für einen Golden Globe nominiert wurde: „Hitlerjunge Salomon“ (internationaler Titel des Films: Europa, Europa!). Unter diesem Namen ist Perel seither bekannt. Hier der Trailer.
Seit 2014 findet alle zwei Jahre ein Filmfestival von, für und mit Sally Perel statt. Auch eine Schule in Braunschweig ist inzwischen nach ihm benannt (2018). Hier ein Filmbeitrag der ARD dazu. Schon lange nutzt Sally Perel seine Bekanntheit, um die Lehren aus der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: „Wir müssen alles tun, damit sich so etwas nicht wiederholt“, warnt er. Daher berichtet der „Hitlerjunge Salomon“ öffentlich in Zeitungs-, Radio- und Fernsehinterviews vom „dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte“, wie er den Holocaust bezeichnet. Zeitzeugen seien die besten Geschichtslehrer, so Perel im ZDF bei Markus Lanz.
Nach dem Krieg in Israel lebend, reiste er doch mehrmals im Jahr zurück nach Deutschland. Warum?„Mein Hauptinteresse sind bei diesen Besuchen die jungen Leute. An die wende ich mich mit meiner Geschichte“, erklärt Sally Perel im Spiegel-Interview 2018. Sally Perel besucht jedes Jahr zahlreiche Schulen in Deutschland, um seine einmalige Geschichte lebendig werden zu lassen. Als Erzähler berührt der dabei die Herzen von Schülern aller Religionen – und ruft zum Frieden auf, auch zwischen Israelis und Palästinensern. 2008 ist Sally Perel sogar zu Besuch in Russland – u.a. an der Deutschen Schule Moskau und am Goethe-Institut. Was er wohl zur heutigen Situation in Russland sagen würde, zum Ukraine-Krieg, zum Tode Nawalnys und vielen anderen beunruhigenden Entwicklungen mehr?
Auch zum Thema Tierethik hat sich Sally Perel Gedanken gemacht: „Vor sehr vielen Jahren nahm ich mal Anteil an einer Protestinitiative gegen Tierquälerei, besonders im Zirkus. Jahrelang trug ich da keine Lederschuhe, Gürtel und aß auch kein Fleisch!“ Berlin hat eine besondere Bedeutung für ihn: „Berlin beeindruckt mich immer wieder. Bin 2-3 Mal im Jahr in Berlin und von dort beginne ich die Lesereisen kreuz und quer durch Deutschland. Die Stadt, aus welcher zwei Weltkriege begonnen haben, ist nun die Stadt der Toleranz und des Friedens. Für mich hat Berlin eine zusätzliche tiefe Bedeutung bekommen. Die Holocaust-Gedenkstätte besteht aus hunderten Betonstelen. Eine dieser Stelen habe ich als Grab meiner Eltern und meiner Schwester erwählt, sie haben keine Gräber und sooft in Berlin seiend, lege ich dort Blumen nieder.“
Welches Menschenbild hatte Sally Perel nach all seinen Erfahrungen von Gut und Böse? „Der Mensch hat eine kommunikative Grundhaltung. Doch die Seelen der Menschen öffnen sich deutlich schwerer, er verletzt heutzutage leichter die Gefühle des anderen, eben durch die Prägung der äußeren Umstände. Der Mensch hat gegenwärtig mehr Anlagen zum Bösen, andere Menschen zu töten, sogar den Massenmord bürokratisch perfekt zu planen. Aber ich glaube, der Mensch ist vom Grunde zum Guten veranlagt und das Böse bleibt glücklicherweise eine kleine Randexistenz, denn jeder Mensch strebt schließlich nach Liebe und Glück, er möchte mit anderen Menschen gut auskommen, Freundschaft und Liebe erleben. Und wenn er Liebe erfährt, gibt er diese auch weiter. Deswegen müssen wir Menschen, wie du und ich, auch kämpfen für die Liebe, das Böse entlarven und bloßstellen, mit Wort, Lyrik und Beispiel, und damit die Freiheit der Menschheit und das Recht auf Liebe verteidigen, um das Menschsein ins Herz des anderen legen zu können.“
Die Schuld-Frage spiele für ihn übrigens keine Rolle – „ […] ich habe der deutschen Jugend nichts zu verzeihen. Schuld erbt man nicht. Ich will nicht Schuldgefühle wecken, sondern mit der Wahrheit den Verstand erleuchten.“ Mit seinen Berichten möchte er dazu beitragen, die Jugendlichen „widerstandsfähiger“ zu machen. Seine Warnungen beziehen sich nicht nur auf die Vergangenheit. „Das hat ja damals auch so angefangen“, erklärt Perel und zieht erschreckende Parallelen zur Jetzt-Zeit. Wahlerfolge der AfD, Hetzjagden auf Menschen in Chemnitz und Misstrauen gegenüber der Presse: „Das hat dasselbe Potential.“ Auch die ganz Kleinen sollen aus der Vergangenheit lernen – Perel besucht deshalb auch Grundschulen.
Mittlerweile wird auch ein Sally-Perel-Preis verliehen, um Jugendliche und junge Erwachsene „zu motivieren, zu fördern und zu unterstützen, sich für Respekt und Toleranz zu engagieren.“ Natürlich sitzt Perel höchstpersönlich in der Jury, um besondere Leistungen auszuzeichnen.
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Quelle Beitragsbild: StagiaireMGIMO
Der „Hitlerjunge Salomon“ ist trotz seines hohen Alters ein wachsamer politischer Beobachter. Jüngst hat er dem Spiegel ein Interview gegeben, in dem er erinnert, mahnt und hofft…
Inzwischen gibt es sogar eine Gesamtschule, die nach Sally Perel benannt ist: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Sally-Perel-Gesamtschule-feiert-mit-Namenspatron,hallonds46786.html
Für Respekt und Toleranz gibt es den Sally-Perel-Preis: http://www.sally-perel-preis.de
Zum Interview: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/hitlerjunge-salomon-sally-perel-ueber-rechtsruck-in-deutschland-a-1227904.html