„In der Musik bin ich die Melodie.“ Bhagavad Gita
Inhaltsverzeichnis
0 Vorbemerkungen
1 Was ist Sprache?
2 Heilige Sprache: Sanskrit
3 Sprechen ist Handeln
4 Sprachmagie
5 Sprache in der Tradition und Philosophie des Yoga
0 Vorbemerkungen
Sprache ist im Yoga allgegenwärtig: Begrüßung und Abschied, Dharma-Talk, Sankalpas, Literatur und Philosophie des Yoga, Anleitung der Asanas, Mantren und Chants, Meditation… Eine Yogaklasse ist ohne Sprache kaum vorstellbar. Ich habe sie nie auch nur ansatzweise ohne erlebt. Hinzu kommen Stimme, Körper und Kontext, die in der Regel in enger Verbindung zur Sprache stehen und einen oftmals undurchschaubaren Wirkungskomplex darstellen. Den Sound unserer Yogaklassen bestimmen wir (mit); so verstehe ich den an höchster Stelle dieses Textes platzierten Satz aus der Bhagavad Gita auch: „In der Musik bin ich die Melodie.“
Was ich vorlege, ist eine Zusammenstellung diverser Ansätze (kommunikationspsychologisch, linguistisch und philosophisch), gespeist aus etlichen Büchern, Zeitschriftenartikeln, empirischer Datenanalyse, eigenen Erfahrungen, Ideen und Gedanken. Es ist ein Text geworden zu dem Thema, das mein Interesse in der Yogapraxis früh geweckt hat: Sprache. Fachlicher Ausgangspunkt war Sage Rountrees und Alexandra Desiatos „Teaching yoga beyond the poses“. Es war das Buch, das mir bei meiner Suche als erstes in die Hände fiel und ebendort bis heute von mir gehalten wird, weil es ein eigenes Kapitel zum Thema Sprache und Stimme enthält: „How to find your voice“ mit verschiedenen Unterkapiteln, z.B. „Words are powerful“.
Ziel meiner Suche war die Beantwortung u.a. der Frage, welche Sprache in Yogaklassen gesprochen wird; damit meine ich konkrete, z.T. ritualisierte Formulierungsweisen wie z.B. Namasté zur Begrüßung, euphemistische Instruktionen wie „Ich lade Dich ein, …“ und Schlussfloskeln wie „Bedank Dich bei dir selbst…“ und viele weitere sprachliche Phänomene mehr. Dies ist natürlich nur eine kleine Auswahl v.a. von mir selbst erfahrenen Sprachverhaltens meiner Yogalehrer*innen.
Welche Rolle spielt das Thema gendergerechte Sprache im Yoga eigentlich? Wie diversitätssensibel resp. inklusiv ist die Sprache im Yoga? Findet sich neben dem Hund inzwischen auch eine Hündin, neben dem Krieger auch eine Kriegerin? Nicht vergessen werden sollen hier weitere sprachliche Auffälligkeiten wie die Verwendung von Sanskrit und philosophische und ethische Aspekte des Yogas wie die Gewaltlosigkeit der Sprache und z.B. der hohe Wert des Schweigens („heiliges Innehalten“).
Warum wird so und nicht anders gesprochen? Soll so gesprochen werden? Oder kann auch anders formuliert werden? Wenn ja, warum – und wie? Die Beantwortung dieser Fragen führt im Idealfall zu sehr praktischen Ergebnissen, nämlich zu Formulierungsalternativen. Gleichwohl ist ein theoretisches Fundament sinnvoll, um unterschiedlichen Formulierungsweisen eine gute Begründung geben zu können.
Es soll nur am Rande bemerkt werden, dass es natürlich nicht die Sprache im Yoga gibt und auch nicht geben kann; sie soll auch nicht gefunden werden – es gibt kein Handbuch, keine Fibel oder gar Bibel der Yogasprache. Gleichwohl meine ich, Besonderheiten beobachtet zu haben, die nicht nur auf die Bedeutung der Sprache im Yoga hinweisen, sondern auch den Sprachgebrauch in vielen Yogaklassen allgemein(er) charakterisieren – in diesem Sinne wäre dann von einer Sondersprache, einem Soziolekt resp. Berufsjargon zu sprechen.
Hintergrund und Ziel meines persönlichen Interesses ist es auch, (m-)eine eigene Sprache im Yoga zu finden und für die Praxis fruchtbar zu machen, und ich halte das für eine Entwicklung, einen Reifungsprozess, der sehr wesentlich ist. Vielleicht gilt das auch für andere Yoginis und Yogis.
So außergewöhnlich Rountrees und Desiatos Buch übrigens auch ist, so notwendig schien es mir, über den Buchrand hinaus nach weiterer Literatur Ausschau zu halten.
Was ich darstelle, fällt quantitativ und qualitativ unterschiedlich ausführlich aus, was v.a. auf unterschiedliches Interesse und Wissen und meine unterschiedliche Erfahrung in den Bereichen zu tun hat, die ich für wichtig halte. Es handelt sich um ein sehr weites Feld, das kaum überblickt und noch weniger von mir auch nur ansatzweise erschöpfend bearbeitet werden kann. Vielleicht gelingt es mir aber, ein paar wertvolle Einblicke zu geben in die intensive Verbindung, die zwischen Sprache und Yoga besteht.
Yoga und Sprache, oder Sprache und Yoga? Sprachyoga und Yogasprache. Sprache im Yoga, Yoga mit und Yoga durch Sprache – welche Formulierung passt am besten? Vielleicht sogar: Sprache ist Yoga. Oder doch: Yoga ist Sprache? Das klingt nach babylonischer Sprachverwirrung, die aber gar nicht sein muss. Letztlich geht es um die Verbindung von Sprache und Yoga in vielerlei Hinsicht, und dabei um Akzentuierungen, Fokus(-verschiebungen) und Schwerpunktsetzungen – immer mit fließenden Grenzen.
Eines jedenfalls wird durch die o.g. Formulierungsvarianten recht deutlich: Es gibt verschiedenen Perspektiven auf die Thematik und schnell wird klar, dass wir hier ein bisschen sortieren und ordnen müssen, um uns orientieren zu können. Fünf Verbindungen zwischen Yoga und Sprache möchte ich im Folgenden etwas näher beleuchten:
1 Was ist Sprache?
2 Heilige Sprache: Sanskrit
3 Sprechen ist Handeln
4 Sprachmagie
5 Sprache in der Tradition und Philosophie des Yoga
1 Was ist Sprache?
Es ist wichtig und lohnenswert, einige grundlegende Fragen an den Gegenstand unserer Betrachtung zu stellen. Antworten auf die Frage nach dem Wesen, den Funktionen und Wirkungen von Sprache finden sich in vielen Disziplinen der Wissenschaft. Ich beginne mit einem für mich ganz wesentlichen Punkt zum Verständnis von Sprache, Kommunikation und Miteinandersprechen: Ernst von Glasersfeld, einer der Begründer des bis heute einflussreichen Konstruktivismus, hat in seinem Vortrag „Zwischen den Sprachen“ anschaulich dargelegt, wie Menschen Sprache verstehen (können). Der Vortrag findet sich in einer von mir transkribierten Fassung im Anhang dieser Arbeit. Kurz gefasst geht von Glasersfeld davon aus, dass es prinzipiell unmöglich ist, einen anderen Menschen genau so zu verstehen, wie der seine sprachlichen Äußerungen gemeint hat. Wir können nur verstehen, was viabel ist, d.h., was zu uns und unseren Erfahrungen passt. Verstehen ist kein passives Aufnehmen, sondern ein aktiver Gestaltungsprozess. Das führt nicht selten zu Missverständnissen. Hierbei ist dann zuweilen die Rede von verlorenen und imaginierten Botschaften. Verloren ist, was nicht so ankommt, wie ich es gemeint habe. Imaginiert ist, was der andere versteht, obwohl es eben nicht so gemeint war. Heinz von Foerster hat es einmmal radikal formuliert: „Der Hörer und nicht der Sprecher ist es, der die Bedeutung einer Aussage bestimmt.“ Warum ist das so – ist Sprache tatsächlich so unscharf, so missverständlich? Ludwig Wittgenstein, der österreichische Sprachphilosoph, hat Antworten auf diese Frage gefunden: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Diese Erkenntnis wird auch als die Gebrauchstheorie der Sprache bezeichnet. Ein Wort hat keine in ihm liegende Bedeutung, die unveränderlich wäre. Ein Wort ist kein Container, in dem ein bestimmter Wortsinn liegt, wenngleich diese Vorstellung weit verbreitet ist (vgl. Krippendorff, Der verschwundene Bote). „Sinn ist nicht, Sinn geschieht“, schreibt Helmut Geißner, ein deutscher Sprechwissenschaftler und meint damit, dass Sinn ko-konstruiert wird, also eine soziale Handlung ist. Heinz von Foerster zum Wesen von Sprache: „Sprache ist nicht, Sprache geschieht.“
Sprache ist eben nicht nur ein Instrument. Sprache ist eine Handlung und selbst schon ein Inhalt, nicht nur eine Hülle. Sprache ist Sprache ist Sprache. Heinz von Foerster hat einmal von der „Autologik“ der Sprache geschrieben – wenn ich erklären möchte, was Sprache ist, muss ich Sprache verwenden, muss sprechen; wir laufen unserem Untersuchungsgegenstand also hinterher. Die Sprache ist uns immer einen Schritt voraus. Gleichwohl gibt es auch zahlreiche Situationen, in denen Sprache ziemlich klar ist, z.B. dann, wenn ich nach der Uhrzeit gefragt oder darum gebeten werde, jemandem etwas zu geben oder ein Fenster zu schließen. Unschärfe, Unsicherheit und Mehrdeutigkeiten gibt es aber auch hier, etwa durch die Art und Weise, wie etwas gesagt wird. Selbst simple instruktive Sätze können die beabsichtigte Wirkung verfehlen, was wir in der Yogaklasse von L., J. und R. beobachten konnten: Wir sollten Klötze von der Matte räumen; die Aufforderung dazu wurde von vielen aber nicht verstanden, was L., die das instruiert hatte, wiederum nicht verstehen konnte, wie sie in der Nachbesprechung zu verstehen gab. Eine (alltägliche) Irritation für alle Beteiligten – und allemal humorvoll zu bewältigen.
Paul Watzlawick, österreichisch-amerikanischer Psychologe und Zeitgenosse Ernst von Glasersfelds, hat in Menschliche Kommunikation fünf Axiome identifiziert, die von grundlegender Bedeutung sind. Sie machen deutlich, dass es neben sprachlichen auch mehrere außersprachliche Faktoren gibt, die unsere Kommunikation beeinflussen: 1. digital und analog, 2. symmetrisch und komplementär, 3. Interpunktion, 4. Man kann nicht nicht…, 5. Inhalts- und Beziehungsaspekt. Dabei ist es keinesfalls so, dass dieses Wissen nur für Forschung und Therapie relevant wäre; ganz im Gegenteil, es handelt sich um wertvolles Universalwissen, das uns nicht nur überall in unserem alltäglichen Leben begegnet, sondern uns bei angemessener Beachtung und bewusstem Umgang auch in vielerlei Hinsicht bereichern kann. Dies gilt auch, und vielleicht ganz besonders, für die Gestaltung von Yogaklassen.
Darüber hinaus gibt es viele weitere Autor*innen, die sich professionell mit Sprache und all ihren Implikationen für menschliches Miteinander auseinandergesetzt haben: Ruth Cohn und die themenzentrierte Interaktion, Arnulf Deppermann und der Begriff der Gesprächskompetenz, Marshall Rosenberg und die gewaltfreie Kommunikation und viele weitere mehr. Jedes dieser Bücher lohnt eine genauere Betrachtung.
Sprache ist ein wesentlicher Teil menschlicher Kommunikation. Erfolgreich zu kommunizieren ist eine Kunst, die Wissen, Erfahrung und Fertigkeiten erfordert – und zwar in vielerlei Hinsicht.
2 Heilige Sprache: Sanskrit
In der alltäglichen Yogapraxis begegnet uns Sanskrit v.a. bei der Benennung von Haltungen und Positionen (Asanas), der Rezitation von Mantren und dem Chanten. Sanskrit gilt im Hinduismus bis heute als heilige Sprache. Für Yoginis und Yogis stellt sich die Frage, warum man sich auch heute noch mit Sanskrit befassen sollte, und wie genau?
„Wunder der Sanskrit-Sprache“,
das ist der Titel von Huchzermeyers Aufsatz, der mit einem historischen Rückblick beginnt: „Das erste Wunder der Sanskrit-Sprache ist, dass sie uns über einen Zeitraum von Tausenden von Jahren so vollkommen überliefert wurde.“ Huchzermeyer meint damit nicht die schriftsprachliche Überlieferung, die es auch für chinesische Zeichen und ägyptische Hieroglyphen gibt, sondern Aussprache und Klang des Sanskrit, die durch eine lange orale Tradition erhalten geblieben sind.
Der Autor benennt einige charakteristische Merkmale des Sanskrit: Stark dominierend sei der Vokal a, daneben existierten auch „die anderen im Deutschen gebräuchlichen Vokale und Diphtonge wie i, u, e, o, au, ai finden sich im Sanskrit, wobei noch ein vokalisches r hinzukommt, das meist mit ri umschrieben wird, etwa in Krishna.“ Die Konsonanten hingegen seien ungleich vielfältiger als in vielen anderen der geschätzt 6000 Sprachen der Welt. Sie würden jeweils aspiriert und nicht aspiriert vorkommen, z.B. ka – kha, ta – tha, pa – pha, und auf diese Weise das Klangspektrum weit gefächert nutzen. Darüber hinaus gäbe es noch „Lautverschmelzungen zum Zwecke des Wohlklangs (Sandhis), wodurch z.B. das Mantra sah aham zu so’ham wird.“
Vyaas Houston, einem amerikanischen Sanskrit-Lehrer, sei es zu verdanken, „einzelne Laute bezüglich ihrer subtilen psychophysischen Wirkung“ besser zu verstehen. Der dentale Laut ta ermögliche eine „intensiv fokussierte Konzentration“, wohingegen das aspirierte tha „einen expansiv befreienden Effekt hat. Es nimmt den Druck von Herz und Brust und führt eine angenehme Entspannung herbei. So hat Sanskrit auf diese Weise sein eigenes Pranayama geschaffen. Die Sprache selbst atmet, indem sie abwechselnd kontrahiert und expandiert.“ Dies helfe sogar dabei, sprechend einen meditativen Zustand zu erreichen. Darin liege die „Kraft und Vitalität“ von Sanskrit, so Huchzermeyer.
Man könnte noch ergänzen, dass auch die (internationale) Verständigung in Yogaklassen vereinfacht wird, wenn man die originalen Sanskrit-Bezeichnungen für Asanas verwendet. Wem Traditionen wichtig sind, der findet darin womöglich ein weiteres Argument für den Gebrauch von Sanskrit beim Yoga. Schließlich könnte auch so argumentiert werden, dass durch den besonderen Klang des Sanskrit ein (exotischer) Reiz entsteht, d.h. eine attraktive Atmosphäre in den Yogaklassen.
3 Sprechen ist Handeln
Wie genau kann Sprache in einer Yogaklasse eingesetzt werden, welche Formulierungsweisen sind möglich und sinnvoll? Vorweg einige allgemeine Punkte: Letztlich ist Sprachgebrauch immer auch Geschmacksache. Darüber muss man sich im Klaren sein. Die eine ist begeistert von poetischen Formulierungen, der andere mag lieber sachliche Ansagen. Jeder Lehrende wird seinen eigenen Stil finden müssen – und Praktizierende, die ihn mögen. Aus meiner Sicht geht es beim Sprachgebrauch auch immer um eine Balance zwischen Führung und Freiheit. Damit meine ich, dass Instruktionen nicht (immer) allzu kleinschrittig und damit womöglich einengend sein sollten. Jede Ein- und Ausatmung vorzugeben, kann problematisch sein, weil es nicht zum Rhythmus aller passt. Auch etwas allgemeinere Formulierungen wie „Fließe jetzt noch einmal nach Deinem Geschmack durch einen Sonnengruß“ oder „Dein Weg nach unten“ oder „Du kannst zum Abschluss gerne noch eine Asana Deiner Wahl machen.“ haben m.E. ihren Platz in Yogaklassen.
Beobachtungen aus der Praxis: Sprachliche Analyse einer Yogaklasse (Transkript im Anhang)
Um (ansatzweise) evidenzbasiert urteilen zu können, habe ich mir eine Yogaklasse von ca. 60 Minuten genauer angeschaut und zu diesem Zwecke transkribiert. Es handelt sich natürlich (nur) um eine Momentaufnahme. Andere Klassen werden sprachlich ohne Zweifel ganz anders gestaltet. Zu den Ergebnissen: Die Praktizierenden werden in der Regel mit „Du“ angesprochen. Ich gehe davon aus, dass damit eine persönlichere Ansprache gelingen soll – gleichwohl handelt es sich in der Alltagssprache um eine eher seltene Anrede von Gruppen. Alternativ könnte von „wir“ und/oder „ihr“ gesprochen werden.
Eine weitere Auffälligkeit: Die Schüler*innen sollen sich oft selbst „anheben“, „anschieben“ oder „Länge schaffen“, statt sich aufzurichten oder hochzuziehen: Auch hier beobachte ich einen eher ungewohnten Sprachgebrauch, der in meinen Augen aber für die Yogapraxis passende Anklänge an Raum und Räumlichkeit hat.
Weiterhin finden sich einige Anglizismen wie „twiste und yeah“, „Downdog“, „lift“ und „hands-free“. Anatomische Begriffe, die vermutlich nicht jedermann geläufig sind: Fingergrundgelenke, Großzehen, Magendreieck und Genitalbein.
Partikel wie „vielleicht“, „ein bisschen“, „so“ und „einmal“ kommen häufiger vor – ich deute sie als sog. Weichmacher, die eine gewisse höfliche Distanz und Offenheit, d.h. Entscheidungsfreiheit, zum Ausdruck bringen sollen, was die Partizipation der Praktizierenden betrifft. Weichmacher nehmen imperative Härte aus Instruktionen. Füllwörter wie „ähm“ oder „naja“ etc. finden sich hingegen kaum.
Durch die konstante Imperativform und den gleichbleibenden Satzbau bleibt der Text monoton-fließend – ohne Unterbrechungen. Unterstützt wird dies durch die häufige Verwendung von „und“- sowie „dann“-Satzkonstruktionen. Konjunktionen wie „dass“ werden häufig weggelassen: „Und wenn du schon einen Eindruck hast, du magst ein bisschen schneller werden, werde gerne schneller.“ Die Sätze wirken auf mich etwas glatter und geschmeidiger.
Schließlich: Es werden zahlreiche Yoga-Fachbegriffe verwendet. Neben den Yoga-Posen sind dies dann beispielsweise Begriffe wie „Drishti“, deren Bedeutung meist im selben oder nachfolgenden Satz erklärt werden. Sanskrit findet sich wie folgt in der hier transkribierten Yogaklasse: Nadi Shodhana, Kapalabhati, Mula Bandha, Uddiyana Bandha, Jalandhara Bandha, Ujjayi, Malasana, Tadasana, Ashtanga Dandasana, Garudasana, Shiva, Chin Mudra und Drishti.
„Teaching yoga beyond the poses“
von Sage Rountree und Alexandra Desiato enthält einige nützliche Anregungen zum Einsatz der Stimme und zum Sprachgebrauch (in englischer Sprache). Im Kapitel „Words are powerful: Theming makes your class“ geht es darum, die Yogaklasse (sprachlich) unter ein bestimmtes Thema zu stellen – prinzipiell können hier alles thematisiert werden, was mit Körper, Geist und Seele zu tun und also einen Platz im Yogauniversum findet. Es kann um Freiheit gehen, ums Schweigen oder die Sprache selbst. Die Themen sind zahllos. Sinnvoll sei es, so die Autorinnen, das Thema früh einzuführen, im Verlauf der Yogaklasse immer wieder anzusprechen und auch am Ende noch einmal zu benennen. Ein Thema (alternativ auch Motiv, Motto, Leitgedanke o.ä.) macht deshalb so viel Sinn, weil es beim Yoga eben nicht nur um den Körper geht, sondern eben auch um Geist und Herz und Seele. Diese Dimensionen werden angesprochen, wenn unsere Körperarbeit in ein größeres Thema eingebettet wird, das unser Leben auf verschiedenen anderen Ebenen anspricht. In dem Kapitel „A few notes on speaking“ geben die Autorinnen Tipps zum Einsatz der Stimme: 1. „Project your voice“ – klar und deutlich und laut genug soll man sprechen, damit man gehört wird. 2. „Allow silence“ – nicht zu reden ist auch eine Qualität. Es gilt dem Drang zu widerstehen, permanent reden zu müssen. 3. „Own your words“ – selbstsicher soll man reden, souverän.
Wie gelangt man an den Punkt, seine eigene Stimme und Sprache im Yoga zu finden? Im Kapitel „What do others say? The art of emulation“ wird diese Frage beantwortet. Zunächst geht es darum, Asanas klar und deutlich und sicher anzusagen. Ist das erreicht, geht es aber um viel mehr: darum nämlich, echten Kontakt zu den Praktizierenden herzustellen und Verbindungen aufzubauen, aufmerksam zu sein und Gemeinschaft zu erreichen. Rountree und Desiato raten an dieser Stelle dazu, Vorbilder nachzuahmen – und Sprache, Metaphern und Sprechgestus Schritt für Schritt an eigene Bedürfnisse und Entwicklungen anzupassen. Dabei kann man insbesondere genauer beobachten: Welche Pronomen werden genutzt und mit welcher Wirkung (ich, du, wir)? Welche Phrasen sprechen mich besonders an, wecken meine Aufmerksamkeit, lassen mich wieder wach werden und konzentrieren? Worauf reagiere ich emotional, wann schmunzle ich und warum? Gibt es Metaphern, Metonymien und Analogien, die mir gefallen und die ich selbst verwenden möchte? Zitate, Gedichte, Chants und Musik – was gefällt mir und wie könnte ich es selbst einsetzen?
„Authenticity“ ist der Titel eines weiteren Kapitels des hier besprochenen Buches. (Selbst-)Vertrauen und Authentizität finden die Autorinnen wichtig – gleichwohl sehen sie auch Probleme dabei, auch tatsächlich so zu sein. Nervosität, Unsicherheit und Angst können dem im Wege stehen – nervös zu sein und das auch zuzulassen und zu zeigen, ist aber auf seine eigene Weise im Grunde auch wieder authentisch, nicht wahr? Es ist also nicht so ganz einfach mit diesem Begriff. Im Rahmen eines Seminars habe ich den Begriff einmal von Studierenden etwas genauer definieren lassen über ein Brainstorming. Ich bilde die Ergebnisse hier einmal ab (s.o.).
Es wird schnell deutlich, dass der Begriff durchaus komplex ist – und widersprüchliche Komponenten enthält: so sind z.B. Klugheit und Aufrichtigkeit sicher nicht immer deckungsgleich. Authentizität kann auch analytisch und/oder normativ betrachtet werden – das sind u.U. sehr verschiedene Dinge. Wir haben im Rahmen des Seminars seinerzeit den Begriff der „Wertebalance“ gefunden, um den Begriff Authentizität in seiner Komplexität besser zu verstehen und die Widersprüche ansatzweise in eine Harmonie zu bringen. Auch die beiden Autorinnen von „Teaching yoga beyond the poses“ sind sich der Problematik bewusst und finden folgende Lösung: Sie führen „Professionalität“ als Begriff ein.
Wenn z.B. mein (authentisches) inneres Befinden kaum dazu beitragen kann, eine gute Yogaklasse zu gestalten, so muss ich professionell handeln und Ärger, Müdigkeit etc. für eine Weile zurückstellen. Authentizität ist also mit Professionalität zu kombinieren. Dazu gehört übrigens auch der Einsatz der Stimme, der in den Augen der Autorinnen möglichst natürlich sein sollte – die beiden mögen keine „yoga teacher voice“, die sich allzu sehr von der Alltagsstimme unterscheidet – aus Gründen der Authentizität eben. Gleichzeitig konzedieren sie, dass ein Yogalehrer eine Rolle einnimmt, die eben auch professionell ausgestaltet sein soll. Dazu gehört stimmlich, dass wir womöglich mehr Pausen machen als sonst, besonders klar artikulieren und die Praktizierenden deutlicher ansprechen. Abschließend reflektieren Rountree und Desiato noch den Zusammenhang von Authentizität und Verletzlichkeit. Die These lautet, dass Authentizität die Gefahr birgt, verletzt zu werden. Dies sei sogar u.U. eine alltägliche Erfahrung für Yogalehrer*innen. Gleichwohl könne Verletzung auch Wachstum bedeuten, Persönlichkeitsentwicklung und Reife. Zurückweisung sei eine harte Erfahrung, die aber auch lehren könne, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. Hier sei ein offener Umgang nötig – und Gespräche mit Freunden, geliebten Menschen oder professionellen Therapeuten.
Im Kapitel „Practice your words until you believe them“ geht es darum, praktische Erfahrung darin zu sammeln, Yogaklassen (sprachlich) thematisch zu gestalten – z.B. beim Dharma-Talk zu Beginn einer Yogaklasse. Der Tipp der Autorinnen: Je häufiger und intensiver du über die Themen sprichst, desto stärker fühlen sie sich authentisch für dich an – bis du all das selbst glaubst, was du (aus Büchern) wiederholst und sprichst. Und nicht nur sprichst, sondern auch aufschreibst – dies kann die Intensität und Lernerfahrung erheblich vertiefen.
„Repetition is comfortable“: Eine gute Yogaklasse beinhaltet die richtige Balance aus Kontinuität und Abwechslung. Eine immer wiederkehrende Struktur ist nicht nur für den grundlegenden (organisatorischen) Ablauf einer Yogaklasse wichtig („centering, warmups, poses, Savasana, closing), sondern auch für den Sprachgebrauch. Wiederholungen sind angenehm, weil sie vertraut sind, sich bekannt und sicher anfühlen, einfach bequem sind. „Repetition helps“: Was sind die drei wichtigsten Schlüssel für erfolgreiches Lernen? Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. Das ist ein Witz – und auch die Wahrheit. Wiederholungen sind elementar für Lernerfolge. Ein Beispiel wäre das Thema Atmung. Es macht Sinn, hier immer wieder daran zu erinnern, zu atmen. Atme! Alexandra Desiato sagt in ihren Yogaklassen immer wieder gern: „Let your body breathe!“ oder „Where could you do less and achieve the same results?“ – „Do less!“ – „Soften your jaw and face!“ Auf der anderen Seite gilt aber auch: zu viel Wiederholung langweilt und ermüdet.
Konkrete (eigene) Formulierungen und Ideen
„Atme!“ Es macht Sinn, immer wieder daran zu erinnern, zu atmen, weil der Atem von Praktizierenden immer wieder angehalten wird. Ziel ist es, körperliche Bewegungen und Atem harmonisch aufeinander abzustimmen. Ergänzend könnte hinzugefügt werden: „Atem ist Leben. Spüre das Leben in dir.“ Eine sehr kurze Form habe ich einmal so erlebt: „Aus!“ Allen war klar, dass damit Ausatmen gemeint war. Da die Luft oft angehalten wird, wenn man eingeatmet hat, finde ich „Aus!“ eine sehr sinnvolle (und prägnante) Instruktion resp. Erinnerung ans Atmen. Das Einatmen geschieht von selbst.
„Du darfst…“, „Wenn es Dir guttut…“, Wenn Du weiter gehen möchtest…“: Bewusst Angebote zu formulieren, finde ich passend für Yogaklassen. Nicht nur ich selbst verspüre dabei aber auch einen inneren Konflikt: Ich möchte mitmachen, mich fordern, vlll. auch meine Grenzen ausloten. Das kann schnell zu Überforderungen führen. Zweierlei finde ich folglich wichtig: Erstens sollte der Yogalehrer immer (wieder) darauf hinweisen, dass es wichtig ist, auf seinen Körper zu hören: „Höre auf Deinen Körper.“ Zweitens muss man auch selbst ein gutes Gefühl für seinen Körper entwickeln und sich zeitweise auch zurückhalten, wenn die Situation eintreten könnte, dass man doch verleitet wird. Hier können auch diese Formulierungen helfen: „Bleib ganz bei Dir. Mach alles in Deinem Tempo. Wenn Du dazu neigst, eher zu viel zu machen, reduziere heute vielleicht etwas und vice versa.“ Schwierig wird das allerdings nach eigener Erfahrung, wenn das Tempo in der Klasse zu hoch ist, um im eigenen Tempo zu bleiben.
„Gerne…“ – ein gerne verwendetes Wort in Yogaklassen. Erstaunlich ist, dass es oft mit imperativen Formen kombiniert wird, z.B: „Komme nun gerne nach vorne an den Anfang Deiner Matte.“ In dieser Kombination muss es als eigenartige Form von Höflichkeit verstanden werden, als Euphemismus vielleicht resp. als Weichmacher (vgl. auch die Sprachanalyse der transkribierten Yogaklasse von R.). Alternativ könnte man einfach sagen: „Am Anfang der Matte geht es jetzt weiter…“
Eine Yogini schreibt mir auf meine Frage nach der Verbindung von Sprache und Yoga: „Bedrängende, überredende Formulierungen wie „müssen“ oder „Dein Körper braucht das oder will das…“ haben für mich im Yoga nichts verloren.“ Ich teile diese Einschätzung. Yoga ist kein Sport, keine Gymnastik, kein Turnverein – wird aber sicher hier und da so missverstanden. Gleichwohl weiß auch jeder verantwortungsbewusste Sportlehrer, dass Überforderung zu Verletzungen führt. Niemand sollte im Yoga angetrieben werden.
Eine launige Formulierung, z.B. für Triconasana, wo es oft heißt, dass man sich vorstellen soll, man lehne sich an eine Glasscheibe, könnte sein: „Richte Dich so aus, als würdest Du in einen Toasterschlitz passen.“ Derlei witzige Formulierungen können entspannend und erfrischend wirken. Es gibt viele Möglichkeiten, sprachlich zu variieren, sogar, was die Physiologie angeht: Statt Schambein könnte man Genitalbein sagen (vgl. Transkript der Yogaklasse). Kaktusarme wurden auch schon einmal Drachenflügel genannt. Das hat mir persönlich gut gefallen.
Ich halte es für sinnvoll, mit Cues zu arbeiten, um immer wieder an wichtige Prinzipien zu erinnern, die mit zunehmender Erfahrung der Yogis und Yoginis schnell verstanden und umgesetzt werden können. Hier eine kleine Auswahl:
„Länge!“ oder „Werde lang!“
„Leichtigkeit!“
„Stabilität!“
„Balance!“
„Verwurzeln!“
Darüber hinaus kann in vielfältiger Weise bildhaft gesprochen werden. Wie die Bilder verstanden werden, ob sie gefallen, was sie bei den Praktizierenden womöglich wecken, können wir nie exakt vorhersehen. Wir erinnern uns: Der Hörer bestimmt die Bedeutung einer Aussage… Nachfolgend einige Beispiele für Analogien, Metaphern und Metonymien:
„Beuge dich wie ein Bogen!“
„Rolle wie eine Welle nach vorn in die Planke.“ oder „Hauche nach vorne, tauche nach vorne.“
„Stabil und biegsam – wie ein Baum, der sich im Winde wiegt.“
„Loslassen. Loslassen, um zu sehen, was wirklich hält.“
„Lausche nun diesen Worten, die dich müde machen – wie eine Wiege.“
„Schwinge Deine Arme wie Flügel von oben nach unten… und Deine Arme werden zu Schwingen… schwinge Deine Schwingen.“
„Mutter Erde trägt dich, Mutter Erde umarmt dich…“
„Reibe die Handflächen aneinander, als wollest Du Feuer machen – lege die Hände auf Deine Augen und wärme Dich.“
„In einem Schwebesprung kommst du wieder an den Anfang deiner Matte.“
„Verlasse Deine Komfortzone und gleite sanft in die Lernzone.“
„Verschnaufe einen Moment: Brunnentiefe Ruhe. Entspannung. Alle Anstrengung fällt von Dir ab.“
Neben verschiedenen Varianten bildhafter Ausdrücke gibt es zahlreiche weitere (rhetorische) Stilmittel, die gezielt eingesetzt werden können: Alliteration, Anapher, Euphemismus, Hyperbel, Oxymoron, Tautologie, Neologismus und viele mehr. Hier gilt es zu experimentieren, um zu erfahren, was gut funktioniert und was zu einem selbst passt. Es gibt weitere Formulierungen, die ich in Yogaklassen häufiger gehört habe und die mein Interesse geweckt haben:
„Bedanke Dich bei Dir selbst!“ ist eine vielgehörte Formulierung am Ende einer Yogaklasse. Ich persönlich finde sie merkwürdig. Ja, ich bin dankbar. Aber diese Dankbarkeit richtet sich eher an meine Mitmenschen, meine Lehrer, auch an ein Numinoses oder an die Natur… Eine alternative Schlussformel sehe ich z.B. in „Ich bin dankbar für die gemeinsame Zeit hier (mit Dir).“ Oder imperativ: „Sei dankbar für die Kraft, die durch Dich fließt…“ Oder: „Was für ein Glück, hier zusammen Yoga zu praktizieren.“
„Ich lade Dich ein,…“ Eingeladen wird man beim Yoga, eine bestimmte Position einzunehmen, Pranayama zu praktizieren, einer Meditation oder einem Referat zu lauschen. Ich finde diese Formulierung merkwürdig. Eingeladen wird man i.d.R. zu Feiern, Festen, Veranstaltungen aller Art – meistens mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf. Beim Yoga wird man wenige Sekunden vor dem eigentlichen Ereignis (s.o.) eingeladen, teilzunehmen. Wer wollte nun nicht mitmachen? Es kann sich also nur um eine Floskel handeln, die sich stark von der Alltagssprache unterscheidet. Es handelt sich um einen Euphemismus; eigentlich wird nämlich schlicht und einfach nur etwas angekündigt und Mitmachen selbstverständlich erwartet. Alternativ könnte man sagen: „Ich habe Euch etwas mitgebracht…, möchte Dir etwas zeigen oder Dir etwas erzählen…, eine Atemübung mit Dir machen …“
„Gib Dir die Erlaubnis…, erlaube Dir…“ – eine weitere Formulierung, die auf mich persönlich merkwürdig wirkt. Auf der einen Seite sind Yogaklassen i.d.R. von Anfang bis Ende durchstrukturiert und voller Instruktionen (die vielen Praktizierenden vermutlich auch sehr willkommen sind), auf der anderen Seite soll ich mir selbst „erlauben“ resp. mir die „Erlaubnis geben“, auf eine bestimmte Weise mitzumachen. Würde man diese Aufforderung wörtlich verstehen, stünde sie in gewisser Weise im Widerspruch zur allgemeinen Struktur von Yogaklassen – und mutmaßlich auch im Widerspruch zu den Erwartungen und Gewohnheiten vieler Teilnehmer*innen, von denen ja eben gerade viele geleitet und geführt werden wollen. Gleichzeitig wirkt die Formulierung auch auf eine gewisse Weise schizophren (ähnlich wie beim Dank an sich selbst), denn sie setzt eine gespaltene Persönlichkeit voraus. Auch hier handelt es sich aber vermutlich lediglich um eine Floskel, die zum Ausdruck bringen soll, dass wir liebevoller mit uns umgehen sollten, für uns sorgen müssen etc. Vorausgesetzt wird dabei, dass ich es mir i.d.R. nicht erlaube, so zu handeln, oder Probleme damit habe, bestimmtes Handeln zuzulassen. Ich selbst fühle mich von derlei Formulierungen nicht angesprochen, sie wirken befremdlich auf mich. Auch deshalb, weil ich es übertrieben und gekünstelt finde, in alltäglichen Yogaklassen eine Erlaubnis für recht triviale Dinge auszusprechen. Merkwürdig bleibt auch, dass es sich bei der Formulierung um einen Imperativ handelt: Ich soll mir erlauben!
„Ohne zu bewerten, ohne zu urteilen…“ So sollen wir z.B. in Meditationen Gefühle und Gedanken zulassen, betrachten, vorüberziehen lassen. Auffällig dabei sind die vielen Verneinungen. Aus meiner Sicht ist es (psycholinguistisch betrachtet) ein besserer Weg, positiv zu formulieren, denn sonst erreichen wir den gleichen Effekt wie bei der Aufforderung, jetzt einmal nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Alternativ könnte also formuliert werden: „Vergegenwärtige Dir deine Gefühle – Deine Gedanken – betrachte sie einen Moment – beobachte, wie sie vorüberziehen… ein Gedanke kommt, ein Gedanke geht – ein Gefühl kommt – ein Gefühl geht…“
„Überträgt, hineinströmt, hineindiffundiert…“ Diese Formulierung habe ich einmal in einer Yogaklasse von A. gehört. Den genauen Kontext weiß ich nicht mehr, gleichwohl sind mir derlei Paraphrasen schon oft aufgefallen. Es handelt sich dabei um synonyme Formulierungen, oftmals auch Metaphern in geballter Form, die redundant sind und gerade bei bildhaften Beschreibungen auch desorientierend wirken können. Hier wünschte ich mir persönlich mehr Klarheit. Ein starkes Bild genügt für einen Gedanken oder ein Gefühl, finde ich.
„Herabschauende Hündin“, „Kriegerin“ u.ä. – hat eine gendergerechte Sprache Einzug in die Yogapraxis gehalten? Kaum, muss ich verwundert feststellen. Obwohl Yoga immer noch eine überproportional stark von Frauen frequentierte Beschäftigung ist, von denen nach meiner vorsichtigen Einschätzung auch nicht wenige einen akademischen Hintergrund haben, scheint mir diese Thematik ausgesprochen stiefmütterlich behandelt zu werden. Die Wahrheit ist, dass ich bei zahlreichen Yogalehrer*innen nur ein einziges Mal erlebt habe, dass gendergerecht formuliert wird: und das von einem Mann. (Sprachliches) Gendern ist das eine, eine diversitätssensible resp. inklusive/einfache Sprache ist das andere – und würde noch viel weiter gehen als nur von „herabschauender Hündin“ oder „Kriegerin“ zu sprechen. Mehr als meine persönlichen Beobachtungen kann ich zu diesem Thema kaum beitragen, möchte aber zumindest drei Thesen formulieren, die vielleicht erklären, warum die Dinge so stehen, wie sie stehen: 1. Ich könnte mich irren mit meinen o.g. Feststellungen, weil ich einfach bisher in den falschen Yogaklassen war. Womöglich wird woanders gegendert. 2. Yogapraxis könnte so stark von (männlicher) Tradition und traditionellem Sprachgebrauch, d.h. generischem Maskulinum, geprägt sein, dass das Gendern kaum einen Platz darin findet. 3. Insbesondere die weiblichen Praktizierenden haben womöglich einfach kein Interesse am Gendern beim Yoga (und dies würde durchaus gestützt von ernstzunehmenden Postionen aus der Wissenschaft, die das Gendern v.a. als akademische Kopfgeburt in Elfenbeintürmen verortet).
Zum Abschluss meiner eigenen Ideen und Vorschläge zur Sprachgestaltung in Yogaklassen möchte ich ein Beispiel dafür geben, wie – mithilfe von Sprache – Impulse in einer Yogaklasse gegeben werden können, z.B. im Dharma-Talk. Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant schreibt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Ich wandle das Zitat um, stelle es auf den Kopf, indem ich den letzten Satz so formuliere: Der bestirnte Himmel in mir und das moralische Gesetz über mir. Das Beispiel zeigt, dass allein die Umstellung von zwei Wörtern, in diesem Falle Präpositionen, den Sinn eines Satzes grundlegend verändern. Es geht mir hier allerdings nicht nur und nicht vorrangig darum, die buchstäblich unendlichen Möglichkeiten von Sprach- und Sinnkonstruktionen zu demonstrieren, sondern tatsächlich eher um den neuen Sinn des veränderten Satzes. Der Himmel ist in uns – als Sehnsuchtsort im übertragenen Sinne von Freude, Freiheit, Frieden. Novalis schreibt: „Nach Innen oder nirgends führt der Weg.“ Das moralische Gesetz hingegen wird uns in vielerlei Hinsicht in der Regel von außen auferlegt. Das Beispiel zeigt nicht nur, dass kleine sprachliche Veränderungen Sinn völlig auf den Kopf stellen können, sondern es kann auch ein interessanter Impuls sein für eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Kräften, mit Intro- und Extrovertiertheit, Fantasie und Vorstellung, innerem und äußerem Gesetz und (Selbst-)Verantwortung für Freude, Freiheit, Frieden…
„Yoga lehren – die sieben Schlüssel für einen guten Yogaunterricht“
Auch das Buch „Yoga lehren – die sieben Schlüssel für einen guten Yogaunterricht“ von Maren Brand und Christina Lobe beschäftigt sich mit der Verbindung von Yoga und Sprache. Die beiden Autorinnen sehen in dem Thema „Stimme und Sprache im Yoga“ einen der sieben Schlüssel für guten Yogaunterricht. Das entsprechende Kapitel heißt „Der dritte Schlüssel: Matrika – Stimme und Sprache im Yoga“ mit den Unterkapiteln „Qualitäten einer authentischen Stimme und Sprache“ und „Deine Stimme und Sprache“ verfeinern.
Die beiden gehen davon aus, dass die Stimme einen enormen Einfluss darauf hat, wie erfolgreich wir miteinander kommunizieren. Soll eine Botschaft vermittelt werden, muss die Stimme eng mit dem Atem und die Sprache eng mit dem Herzen verbunden sein: „Finde die Sprache deiner Seele, die Stimme deines Herzens.“ Wenn dies gelingt, „kann eine direkte Verbindung mit den Herzen der YogaschülerInnen aufgebaut werden.“ Ziel der Autorinnen ist es, „eine authentische und angenehme Unterrichtsstimme zu kultivieren (…), mehr Klarheit und Präzision in deine Stimme zu bringen.“
„Mögest du Yoga durch dein unperfektes, gebrochenes, glorreiches und lebendiges Selbst mit deinen SchülerInnen teilen.“
Es werden im Folgenden sechs Qualitäten einer authentischen Stimme und Sprache vorgestellt:
Stimme und Atem sind unmittelbar miteinander verbunden: „Bleibe beim Unterrichten entspannt und geerdet. Halte den Brustkorb weit und offen. Lasse deinen Atem entspannt fließen, sodass deine Stimme voll und „rund“ klingt.“ Unmittelbar vor dem Yogaunterricht kann die eigenen Stimme mittels Summen aufgewärmt werden. Weiterhin sind für die Autorinnen wichtig, bei den Asanas Richtungsangaben zu machen (von – zu), ein rhythmisches Sprechtempo im Blick zu behalten und Atmen und Stille zuzulassen.
4 Sprachmagie
„Sprache ist Magie“, schrieb der große Kybernetiker Heinz von Foerster einmal, und er meinte damit, dass Sprache (neue) Welten erschaffen kann. Diese Kraft der Sprache ist dem Yoga von alters her bekannt und wird in Meditation, Affirmation und Sankalpa, Mantren und Chants praktiziert. Im Dharma-Talk kann sich die Magie der Sprache in unseren eigenen Yogaklassen auf ganz individuelle Art und Weise entfalten. Nachfolgend möchte ich einige Autor*innen vorstellen, die sich Gedanken zur Magie der Sprache gemacht haben, von eigenen Erfahrungen berichten und Ideen entwickeln.
Maren Brands und Christina Lobes Buch „Yoga lehren – die sieben Schlüssel für einen guten Yogaunterricht“ haben wir weiter oben bereits kennen gelernt. Die Autorinnen schreiben zum Thema Sprachmagie: „Mantren sind heilige und heilsame Klänge einer uralten spirituellen Tradition. Sie wirken über die Kraft des Klangs.“ Auch ein Zugang zum Sanskrit sei auf diese Weise gut möglich. „Darüber hinaus hat das Singen von Mantren eine reinigende Wirkung auf unsere Kehle, unsere Stimme und unseren Ausdruck.“
„Sprache aus schamanischer Sicht“ –
diesen spannenden Aspekt beleuchtet Dr. Fabio Alberto Ramirez in einem Beitrag der Yoga aktuell. Das Volk der Witoto gehört zu den Indianern im kolumbianisch-peruanischen Amazonasgebiet. „Alle spirituellen Handlungen bei den Witoto finden ihren Ursprung in der Duga-Zeremonie, die in den einzelnen Gemeinschaften Nacht für Nacht zustande kommt.“ Ziel ist es dabei, vertieft zu denken und in Harmonie mit dem Kosmos zu leben.
„Im Zentrum der Duga steht das Wort (…). Es bringt Unbewusstes ins Bewusstsein (…). Die heiligen Pflanzen Tabak und Coca werden konsumiert. „Tabak symbolisiert dabei das weibliche, das Cocablatt das männliche Prinzip.“ Ramirez erklärt weiter: „Um das echte, wahre Wort empfangen zu können, bedarf es bestimmter Voraussetzungen, etwa Fastenkuren, sexueller Enthaltsamkeit und des Verzichts auf bestimmte Nahrungsmittel, eines geduldigen Gemüts sowie eines kühlen, ruhigen Verstands und eines ausgeglichenen Körpers. Es ist außerdem notwendig, sich vom „Lianen-Wort“ (übersetzt so viel wie festgefahrene, verkörperte Ideen und Konzepte) zu befreien, die uns daran hindern, wahres Wissen bzw. Weisheit zu erlangen.“ Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der wichtig ist: „Rafue“ von ra, die Sache und fue, der Mund, „beschreibt den Vorgang, in dem Wörter in Dinge verwandelt werden.“ Berauscht von Tabak und Coca soll sich das Wort in die Tat verwandeln. „Es geht um eine Manifestation der Wörter für die Dinge, die erstrebt werden, und endet in deren Verdinglichung. Wird dieser Vorgang nicht abgeschlossen, so bleiben die Wörter Bakakï – nur Geschichten. Dies ist nach dem Anthropologen Juan Alvaro Echeverry das fundamentale Element der Zeremonie des Wortes.“ Übrigens: Bei den Witoto ist die Frau die Herrin des Wortes. Sie empfängt es aus der Erde, aus dem Reich der Ahnen, also von unten, nicht von oben. Die übermächtige Kraft des Wortes in der Mythologie der Witoto wird hier deutlich: „An dem Ort, an dem Juziñamu, der Schöpfer, sich auf der Erde niederließ, wuchsen Tabakpflanzen. Der Mythos besagt, dass das Wort selbst Juziñamu erschaffen hat und es ihm ermöglichte, zur gleichen Zeit verschiedene Räume im Kosmos zu bewohnen.“
„Reden ist Silber… Mauna – Die Kraft des Schweigens“
ist Martin Bohns Beitrag in der Yoga aktuell überschrieben. Auch das Schweigen hat seine Magie. Denn: Schweigen ist Gold – das sagt nicht nur der Volksmund. Auch die großen Religionen kennen Schweige-Exerzitien, -Retreats und -Gelübde. Christentum, Buddhismus und Hinduismus haben eine lange Tradition selbstauferlegten Nicht-Redens. Im Hinduismus gibt es ein differenziertes Konzept des spirituell motivierten Schweigens: Mauna. Auf der ersten Stufe wird schlicht nicht hörbar gesprochen. Auf der zweiten Stufe wird auch nicht geschrieben oder anderweitig kommuniziert, etwa durch Gesten. Die dritte Stufe erreicht der, dessen Geist schweigt: es ist das große Schweigen, das Ruhen in Brahman. Welche Stufe wie lange praktiziert wird, ist individuell verschieden. Wesentlich ist, dass die erste und zweite Stufe v.a. dazu dienen, inneres Schweigen, also Gedankenstille zu erreichen.
Auf der anderen Seite gilt: „Schweigen und Sprechen sind zwei Pole eines Rhythmus. Folglich sind sie eng miteinander verbunden, ja bedingen einander, so wie das Volumen des Einatmens das Ausatemvolumen bedingt und wie Länge und Qualität unseres Schlafes sich auf unser Wachbewusstsein auswirken. Pflegt und veredelt man den einen Pol, so erhöht und stärkt man auch den anderen. Das bewusste Schweigen veredelt also das Sprechen und umgekehrt.“ Es ist also nicht das Ziel, möglichst lange zu schweigen, sondern einen „gesunden, stärkenden Rhythmus von Sprechen und Schweigen zu finden (…).“
Nun könnte man die Frage stellen, was man denn sagen soll und darf, wenn man yogisch leben möchte. Von Sokrates ist die Geschichte mit den drei Sieben überliefert: „Kam einst einer zum weisen Sokrates gelaufen und sagte: „Höre Sokrates, das muss ich dir erzählen!“ – „Halte ein!“ unterbrach ihn der Weise, „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ – „Drei Siebe?“, fragte der andere voller Verwunderung. „Ja, guter Freund! Lass sehen, ob das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurch geht: das erste ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ – „Nein, aber ich hörte es erzählen, und….“ „So, so! Aber sicher hast du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, gut?“ Zögernd erwiderte der andere: „Nein, im Gegenteil…“ „Hm“, unterbrach ihn der Weise, „so lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden. Ist es notwendig, dass du mir das erzählst?“ – „Na ja, notwendig nun gerade nicht…“ „Also“, sagte der Weise lächelnd, „wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“
Das gemeinsame, bewusste Schweigen in einer Gruppe bezeichnet Martin Bohn als besonderes Erlebnis, als „zauberhaft und mächtig“, geprägt von der „tiefen Kraft der freiwillig eingehaltenen, gemeinsamen Stille.“ Schließlich weist uns das Schweigen den Weg zur Überwindung von Leid: „Indem wir die Haltung eines schweigenden Zeugen kultivieren, bekommen wir allmählich Zugang zu diesem die Bewusstseinszustände von Wachen, Träumen und Schlafen überdauernden vierten Zustand (turiya), dem ewig schweigenden inneren Zeugen.“
„Am Anfang war das Wort“
verkündet Uwe Haardts Beitrag in der Yoga aktuell. Haardt nähert sich der Bedeutung von Worten auf eine sinnliche Art und Weise. Er „schmeckt“ Wörter, lässt sie sich „auf der Zunge zergehen“ und entdeckt so ihre vielfältigen Bedeutungen. Sprache sei „geist-magisch“, vermag aber auch „bis in die Welt der Festkörper hinein zu erschaffen.“ Der Autor erklärt die Etymologie des Wortes „Sprache“: „durch Lostrennung schaffen“ und „Kraft als Trägerin einer geistigen Idee“ stecke in dem Wort. Daraus ergebe sich eine enorme Verantwortung für jeden Sprechenden: „Jeder wird dadurch zum Erschaffenden seiner eigenen Welt.“ Haardt weist noch auf einen Aspekt hin, der für zwischenmenschliches Miteinander von großer Bedeutung ist: „Die alte Weisheit, dass die Sprache dem Angesprochenen gehört und nicht dem Sprechenden, unterstreicht noch einmal mehr die Bedeutung und den achtsamen Umgang mit Worten.“ Und weiter: „Wenn Worte unachtsam gewählt werden, ihr Sinn nicht begriffen oder ihre Form verstümmelt, verfälscht oder zerstört wird, werden wir durch ihren Gebrauch unweigerlich Sinnloses, Unwahres und auch Zerstörerisches ansprechen und in unsere Welt rufen.“ Mantra-Yoga sei hier ein hilfreicher Weg: „Schutz- und Heilworte“ riefen durch „stilles, lautes oder singendes Sprechen (…) die den Worten zugrundeliegenden Kräfte in unser Leben (.)… Indem wir dies erfahren, kann im Prinzip jedes Wort unserer Sprache zu einem Mantra werden, wenn es von Achtsamkeit und Bewusstsein durchdrungen ist.“ Spätestens an diesem Punkt versage alle Sprachwissenschaft: „Im Einspeicheln, Auflösen und Zurückverfolgen eines Wortes bis zu seinem Ursprung sind allein unser Empfinden und unsere freudige Lust an der Rückverbindung zur allgöttlichen Quelle gefragt.“
Diese Lust an der Sprache wird in Uwe Haardts Augen noch gesteigert zu erotischem Vergnügen: „Sprache, Küssen, Zeugen und Empfängnis“ verschmelzen. „Sprache als auch Zunge heißen im Lateinischen lingua. In der vedischen Anschauung Indiens existiert das hierzu verwandte Wort linga. Linga wird in Indien oft als Phallus oder Säule dargestellt, als „Shivalinga“, die erotische Zeugungskraft des Göttlichen (…). Das Wortgezeugte wird empfangen von „Yoni“, dem göttlichen Schoß, der Vulva, dem Raum, in der Gestalt der Mundhöhle und insbesondere des Gaumens. (Das deutsche Wort „Gaumen“ hat übrigens eine Verbindung zum altgriechischen Wort „chaos“ = leerer Raum, Unordnung.) Dort, im sprachbildenden Spiel von Zunge und Gaumen, wird mit jedem Wort, mit jeder Berührung, mit jedem Klang aus der Leere, dem Namenlosen, dem Ungeordneten ein neues Universum gezeugt und eine neue Ordnung, eine neue Welt empfangen und erschaffen. Dies kann eine schöne oder eine hässliche Welt sein, eine helle oder dunkle, eine Welt voller Achtsamkeit, Liebe und Stille, oder eine Welt voller Brutalität, wo es so richtig knallt.“ Haardts bemerkenswerter Text schließt mit folgendem Satz, der auch an Paul Watzlawicks oder Heinz von Försters Erkenntnis denken lässt, dass nämlich der Hörer (mit-)bestimmt, was die Bedeutung eines Satzes ist: „Aber erinnern wir uns: Die Sprache gehört dem Angesprochenen, und das Angesprochene kommt zu uns (…)“ zurück.
„Was hat Sprache mit Magie zu tun?“
Auch Eva und Henning Moog widmen sich der magischen Bedeutung von Sprache im Yoga. Sie fragen: „Was hat Sprache mit Magie zu tun?“ und finden Antworten im Vag-Yoga. Vag bedeutet Sprache. Sie schreiben: „Seit vedischer Zeit haben Klang, Sprache und das Wort eine göttliche Qualität und nehmen eine zentrale Rolle in der indischen Philosophie ein.“ Gleichzeitig handle es sich um „Geheimwissen der Yogis und Schamanen, der Rshis und der Priester.“ Klang, so die vedische Klangphilosophie, war der Ausgangspunkt der Schöpfung. Vag wird in der indischen Philosophie als Göttin dargestellt, die andere Götter gebiert. Damit bekommt sie eine kaum zu überschätzende Bedeutung: „Energie agiert durch Sprache (…), Phoneme und der Klang der Buchstaben sind identisch mit purer (göttlicher) Energie (…).“ Auf diese Weise kann der Yogaweg auf zweifache Weise beschritten werden: 1. „Sprache und Klangschwingung können uns in den Zustand des Einsseins zurückführen“, und 2. der Yogi kann im Zustand des höchsten Bewusstseins potenziell schöpferisch in der äußeren Welt tätig werden.“
Das Autorenpaar schreibt weiter: „Sprache kann ein Weg der Befreiung sein, wenn der Yogi in der Lage ist, hinter die Sprache zu schauen, und beginnt, die Subtilität ihrer energetischen Wirkung in die eine oder in die andere Richtung zu erkennen. Zu Beginn machen wir uns die Verwendung unserer Sprache bewusst. Sprache und Wörter können Positives wie Liebe, Freude oder Humor schaffen, aber auch Quelle für Ignoranz, Verletzung, Macht und Zerstörung sein. Deshalb wird die alltägliche Sprache im Vag-Yoga als unreflektiert, ungereinigt und grobstofflich bezeichnet. Eine gespaltene Zunge kann Kriege auslösen, aber die Zunge kann nicht nur sprechen, sondern auch schmecken.“ Man müsse seine Sprache schmecken – der Geschmack der Sprache sei „Rasa“, die Stimmung, die im Raum entsteht.
Das subtile Chanten von Mantras oder Kirtan öffnet das Herz, indem die Sprache „nach einiger Zeit im Vishuddhi-Chakra gereinigt“ wird. „Die Sprache – eine Sprache, die der reflektierenden und strahlenden Vibration des höchsten Bewusstseins entspricht – kommt aus dem Herzen, aus dem Anahata-Chakra.“ Vag-Yoga werde daher auch als Mantra-Yoga bezeichnet werden und sei Kundalini-Yoga, so das Autorenpaar. Sprache ist nicht nur magisch, sondern heilig: „Die Wörter im Sanskrit drücken keine Konzepte, keine Pläne, sondern Bewegungen in der Schöpfung aus. Wenn ich die 51 Silben des Sanskrit-Alphabets rezitiere und über die Orte der Artikulation Asanas in meiner Mundhöhle praktiziere, dann reflektiert sich eine jede der Silben als Stern am Nachthimmel. Die Silben des Alphabets symbolisieren die Vielfalt der Schöpfung. Heilige Sprache und heilige Landschaft werden verknüpft. Eine Distanz zwischen den Orten existiert nicht, da die Dinge reflektieren.“ Diese Magie sei aber nicht erreichbar, wenn man die Welt mechanistisch betrachte. Die Rezitation eines Mantras habe nicht automatisch einen bestimmten magischen Effekt. Sprachsensibilität sei aber ein Schlüssel zur Erreichung eines tieferen Bewusstseins.
5 Sprache in der Tradition & Philosophie des Yoga
Die indische Literatur und Philosophie hat eine lange Tradition des Sprachbewusstseins und der Sprachreflexion. Im Taittiriya-Upanischad heißt es: „Möge der Herr der Rede uns Frieden gewähren“, „Lasst uns die Kunst des Vortrags erlernen“ und „Lasst uns über fünf Kategorien nachdenken: diese Welt und leuchtende Welten am Himmel, Bildung, Nachkommenschaft und Rede.“ Auch im Prashna-Upanischad findet sich ein klarer Bezug zur Sprache: „Dann trat Bhargava an den Weisen heran und fragte: Meister, welche Kräfte erhalten und stützen diesen Körper? (…) Der Weise antwortete: Die Kräfte sind der Raum, die Luft, das Feuer, das Wasser, die Erde, die Rede, der Geist, das Sehvermögen und das Gehör.“ In den Upanishaden heißt es weiter: „Es braucht nicht Opfer und Gebet, wenn dein Leben Opfer und Gebet ist.“ Lässt sich das auch auf Sprache und Wortwahl übertragen? Muss ich überhaupt sprachliche Sensibilität lehren, wenn ich sprachlich sensibel formuliere?
Nicht nur in den Upanishaden finden sich die Themen Sprache und Rede. Im Yogasutra Patanjalis steht: „Yama (die Disziplinen im zwischenmenschlichen Verhalten) umfassen Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Handeln im Bewusstsein des Brahma (der Allseele) und Anspruchslosigkeit.“ Und: „In der Nähe eines Menschen, der Meisterschaft in Ahimsa (Gewaltlosigkeit) erlangt hat, wird Feindseligkeit nicht gedeihen.“ „Übernatürliche Kräfte können angeboren sein oder durch Heilpflanzen, Rezitation, Askese oder den Yogaweg erworben werden.“
Auch die Bhagavad Gita, der Gesang der Erhabenen, thematisiert Sprache explizit. Es heißt darin: „Den Göttern, den Guten, den Weisen und deinem spirituellen Lehrer Dienst darzubringen; Reinheit, Ehrlichkeit, Enthaltsamkeit und Gewaltlosigkeit: Das sind die Disziplinen des Körpers. Besänftigende Worte zu äußern, aufrichtig, freundlich und hilfreich zu sprechen und die heiligen Schriften zu studieren: Das sind die Disziplinen der Rede. Gelassenheit, Milde, Schweigen, Selbstbeschränkung und Reinheit: Das sind die Disziplinen des Denkens und Empfindens.“ (S. 261)
Die hinduistische Philosophie wartet mit einer weiteren Überraschung auf: Brahman (Sanskrit ब्रह्मन्), das höchste kosmische Prinzip, die Weltseele, Urgrund von allem, bedeutet in seiner ältesten Form „heiliges Wort“ – woraus sich später auch die Bedeutung „heilige Kraft“ entwickelt hat. In den Upanishaden ist damit das Absolute, Ewige, Unwandelbare gemeint – gleichwohl blieb die ursprüngliche Bedeutung vom heiligen Wort resp. der heiligen Rede erhalten. Das heilige Wort als Urgrund der Welt, des Kosmos? Faszinierend auch die biblische Parallele: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. (Johannes 1, Luther-Übersetzung)
„Wo die Sprache wohnt“
überschreiben Vani Devi und Chris Sölter ihren Beitrag für die Yoga aktuell. Sie beschreiben darin das „energetische Zentrum der Sprache und der Kommunikation“ und machen Übungsvorschläge zu seiner Stärkung. Dem Vishuddha-Chakra, auch als Hals- oder Kehlchakra bezeichnet, entsprechen Kehle, Schilddrüse, Halsknoten und Vagus-Nerv – „vishuddha“ heißt wörtlich übersetzt „vollkommen rein“. Damit bekommt dieses 16-blättrige, lila-dunkelgraue Chakra eine bemerkenswerte Bedeutung: „Es ist das, was übrig bleibt, wenn man alles, was Erde, Wasser, Feuer oder Luft entstammt, entfernt hat.“ Akasha, das Äther-Element, ist sein Wesen: Verbindung, Kommunikation, Raum und Weite – auch der Hörsinn gehört dazu. Stimme und Sprache brauchen Raum und sollen rein sein und wahr. Habe wir diesen Raum nicht, „schnürt es uns die Kehle zu.“ Vani Devi und Chris Sölter empfehlen folgende Übungen zur Aktivierung des Vishuddha-Chakras: Schulter-Hals-Nacken-Übungen, Schulterstand, Pflug, Fisch, Heuschrecke, Bogen und Kamel. Selbstkritische Fragen könnten sein: „Drücke ich mich freundlich aus? Nehme ich mir den Raum, den ich brauche? Neige ich zum Tratschen? Fühle ich mich verbunden?“ Auch Pranayama kann sinnvoll eingesetzt werden, z.B. als Ujjayi zur kontrollierten Ein- und Ausatmung, was wie Meeresrauschen oder ein leichter Schnarchton klingt. Vani Devi und Chris Stölter empfehlen außerdem Bhramari: „Beim Einatmen erzeugt man den Ton einer Hummel, beim Ausatmen (nach einer Pause) den einer Biene. Durch Erzeugung eines hohen Tones beim Ausatmen wird das Vishuddha-Chakra aktiviert.“, „Anuloma-Viloma: Wechselatmung mit Konzentration auf Vishuddha-Chakra (optimal: mit Ujjayi-Atmung + Jalandhara-Bandha), Ausdehnungsvisualisierungen während der Anhaltephase.“, „Jalandhara-Bandha: Nach vollständiger Einatmung den Brustkorb nach vorne wölben, das Kinn auf die Brust senken, die Zungenoberseite an den Gaumen legen und zurückziehen, die Kehle zusammenziehen. Vor dem Ausatmen den Kopf heben und die Muskeln entspannen.“ und „Mantra-Meditation: „Aum shri sarasvatyai namaha.“ In der Mythologie ist Sarasvati die Göttin der Beredsamkeit, Weisheit und Gelehrsamkeit.“
Was bedeuten diese Texte für unsere Yogapraxis heute? Die oben genannten literarisch-philosophischen Bezüge zur Sprache, zum Schweigen und zur Gewaltlosigkeit lassen sich besonders gut in Dharma-Talks und Meditationen integrieren. M. Rosenberg knüpft mit seinem praktisch-psychologischen Konzept der gewaltfreien Kommunikation an eine lange Tradition der indischen Philosophie an mit dem Ziel, gewaltlos(er) zu leben – unter besonderer Berücksichtigung von Sprache (grafische Darstellung dazu im Anhang).
6 Anhang
„Nimm die Hände vor dem Herzen zusammen. Atme ein, bring die Arme über beide Seiten nach oben, blick gern zu den Händen. Ausatmen, komm mit gebeugten Beinen in die ganze Vorbeuge. Einatmen, halbe Vorbeuge, ganz langer Rücken. Ausatmen, trete in die schiefe Ebene. Der Bauch ist fest. Einatmen hier. Ausatmen, senke langsam über die Knie am Boden ab. Einatmen, kleine Kobra. Ganz langer Nacken. Ausatmen, mit Länge ablegen. Einatmen, stülp die Zehen um, schieb dich Richtung Fersen. Und ausatmen, komm in den herabschauenden Hund. Einatmen hier. Nächste Ausatmung, komm an den Anfang deiner Matte in die ganze Vorbeuge. Einatmen, halbe Vorbeuge, Fingerspitzen ziehen Richtung Matte. Ausatmung, ganze Vorbeuge. Einatmen, Arme gehen über die Seiten nach oben. Und ausatmen, Hände vors Herz, Tadasana.“
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