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Sören Kierkegaard: Entweder – Oder

Einige Auszüge aus dem E-Learning-Modul in Textform

Mit Entweder – Oder stellt Sören Kierkegaard in zwei Bänden zwei gegensätzliche Lebensweisen vor: die ästhetische und die ethische. Der für den Text fingierte Herausgeber Victor Eremita behauptet dabei, zufällig die Schriften und Briefe eines anonym bleibenden Verfassers A und eines Gerichtsrates mit dem Namen Wilhelm, der Konsistenz halber Verfasser B genannt, entdeckt und zusammengestellt zu haben.

Die folgenden Ausführungen werden durch Zitate aus dem Vorwort des fingierten Herausgebers Victor Eremita und aus dem zweiten Band, welcher die Briefe von Verfasser B umfasst, begleitet.

Verfasser A

Von Verfasser A werden zunächst mehrere Aphorismen zusammengetragen. Darauf folgen einige Abhandlungen, welche vor allem die Liebe betreffen. Abschließend findet sich das angeblich von einem Mann namens Johannes geschriebene und von A nur herausgegebene Tagebuch des Verführers, welches A in seiner Rigorosität sowohl als anziehend als auch als abstoßend empfindet. Ob A möglicherweise auch der Verfasser des Tagebuches ist, bleibt unklar.

Das Tagebuch des Verführers

Johannes beschreibt, wie er die jungfräuliche, 17-jährige Cordelia mit Hilfe von psychologischen Spielen verführt. Sein Plan gipfelt in einer Verlobung, die er jedoch von Cordelia wieder auflösen lässt, indem er sie von den Begrenzungen wahrer Liebe durch die einengende bürgerliche Eheplanung überzeugt. Nachdem sich Cordelia ihm hingibt, wird sie schließlich von Johannes fallengelassen.

Johannes ist ein Ästhet im Sinne des Hedonismus. Das Verliebtsein gibt ihm nichts, da seine ästhetische Lebensanschauung alles Ethische ablehnt – Zweisamkeit auf der Grundlage eines moralischen Eheversprechens erscheint ihm als sinnloses Gefängnis. Seine Vorstellung von Existenz steht dem christlichen Lebensstil diametral gegenüber: Statt um Gemeinschaftlichkeit kreist sein Leben um ihn selbst und seinen Genuss. Er kann nur sich spüren und hebt sein Gefühl über die Moral, womit er mit den gesellschaftlichen Werten bricht und auf sich allein gestellt ist. Sein Leben wird zu einer Sammlung von Empfindungen, die jedoch mit der Zeit ihren Reiz verlieren. Befriedigung verschafft ihm schließlich nur noch das Formen anderer Personen, durch das er seine eigene Größe und Macht noch spüren kann. Ohne einen ethischen Maßstab fehlt es Johannes an Sinn, das Ablegen der moralischen Fesseln stellt sich als ein neues Gefängnis heraus, in dem er von den Mitmenschen und der Menschlichkeit selbst isoliert ist.

Zitate zum Moment:

Der Ästhetiker ist an den Moment gebunden

„In solchen Augenblicken jagst Du »deinem Ersten« nach, das allein willst Du, ohne zu ahnen, daß es ein Widerspruch in sich selber ist, wenn man will, daß »das Erste« immer wieder zurückkehre. Was Du siehst, was Du genießt, ist doch stets nur ein Widerschein des Ersten, aber nicht das Erste selbst.“
Søren Kierkegaard: Entweder-Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. Aus dem Dänischen übersetzt von Alexander Michelsen und Otto Gleiß. Leipzig: Fr. Richter 1885, S. 366.

„bei alledem aber bist Du immer nur im Moment, und darum löst sich Dein Leben auf, und es ist Dir unmöglich, es zu erklären.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 730.

Zitat zur Moral:

Indem der Ästhetiker über die beschränkende Natur moralischer Wertung urteilt, setzt er selbst neue Grenzen und verurteilt sich ebenfalls

„Du übersiehst die Menschen; Du treibst Deinen Spott mit ihnen, und so bist Du gerade zu dem geworden, was von allem Du am meisten verabscheust: einem Kritiker, einem Universalkritiker aller Fakultäten.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 714.

Zitate zur Selbstzentriertheit:

Ein selbstzentrierter Mensch ist haltlos

„Du hörst ihre Ausführung an und dann sagst Du: Ja, ich sehe es jetzt vollkommen ein, es sind zwei Fälle möglich, man kann entweder dies tun oder das; meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat lauten folgendermaßen: tu es oder tu’ es nicht, Du wißt beides bereuen. Doch wer anderer spottet, der spottet seiner selbst, und es ist nicht umsonst, sondern ein tiefer Spott über Dich, ein trauriger Beweis dafür, wie haltlos Deine Seele ist, daß Deine Lebensanschauung sich in einen einzigen Satze konzentriert: »Ich sage bloß entweder-oder.«“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 706.

„Du bist nämlich nichts und bist immer nur im Verhältnis zu andern, und was Du bist, bist Du durch dies Verhältnis.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 707.

Verfasser B

Bei den Texten von Verfasser B handelt es sich um Briefe für Verfasser A, die letzterem eine ethische Lebensweise vermitteln sollen und durch eine von Wilhelm geschriebene Predigt ergänzt werden. In seinen Ausführungen stellt er die ethischen und ästhetischen Gründe für den Bund der Ehe heraus und betont den Wert einer ernsthaften Wahl für Persönlichkeit und Existenz.

Zitate zur Ehe:

Die Ehe ist ethisch und ästhetisch zugleich, womit sie das höchste Maß an Freiheit und Gefühl beschert

„Dasselbe Ästhetische, das in der ersten Liebe liegt, muß also auch in der Ehe liegen, da jene in dieser enthalten ist; aber das Ästhetische liegt in der Unendlichkeit, der Apriorität, welche – wie wir oben entwickelten – die erste Liebe hat. Es liegt weiter in der Einheit der Gegensätze, welche Liebe heißt: sie ist sinnlich und doch geistig; sie ist Freiheit und doch Notwendigkeit; sie ist in hohem Grade präsentisch und hat hoch eine Ewigkeit in sich. Das alles hat die Ehe gleicherweise; sie ist sinnlich und doch geistig, aber sie ist noch mehr; denn das Wort »geistig«, wie es von der ersten Liebe gebraucht wird, sagt doch vor allem, daß sie seelisch ist, vom Geist erfüllte Sinnlichkeit; sie ist Freiheit und Notwendigkeit, aber zugleich mehr; denn die Freiheit der ersten Liebe ist doch eigentlich mehr die seelische Freiheit, in welcher sich die Individualitäten noch nicht aus der Naturnotwendigkeit heraus gearbeitet haben. Aber je mehr Freiheit, um so mehr Hingebung. Im Religiösen erst wurden die Individuen frei […].“
Søren Kierkegaard: Entweder-Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. Aus dem Dänischen übersetzt von Alexander Michelsen und Otto Gleiß. Leipzig: Fr. Richter 1885, S. 384

„Und das Ästhetische der Ehe ist dieses, daß es eine große Mannigfaltigkeit von »Warum« in sich verbirgt, die das Leben in seinem ganzen segensreichen Inhalt offenbart und erschließt.“
Søren Kierkegaard: Entweder-Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. Aus dem Dänischen übersetzt von Alexander Michelsen und Otto Gleiß. Leipzig: Fr. Richter 1885, S. 402.

Zitate zu Wahl und Persönlichkeit:

Nur eine ethische Wahl ist eine wirkliche, die Persönlichkeit bildende Wahl

„Was heißt es aber, ästhetisch leben, und was heißt es, ethisch leben? Was ist das Ästhetische in einem Menschen, und was ist das Ethische? Hierauf möchte ich antworten: das Ästhetische in einem Menschen ist das, wodurch er unmittelbar ist, was er ist; das Ethische ist das, wodurch er wird, was er wird.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 729.

„Du würdest fühlen, daß es eben nicht so sehr darauf ankommt, seinen Geist zu bilden, als darauf, seine Persönlichkeit zur Reife zu bringen.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 709.

„eine ästhetische Wahl aber ist keine Wahl. Überhaupt ist das Wählen ein eigentlicher und stringenter Ausdruck für das Ethische. Überall, wo im strengeren Sinne von einem Entweder – Oder die Rede ist, kann man stets sicher sein, daß das Ethische mit im Spiele ist. Das einzige absolute Entweder – Oder, das es gibt, ist die Wahl zwischen Gut und Böse, die aber ist auch absolut ethisch. Die ästhetische Wahl ist entweder völlig unmittelbar und insofern keine Wahl, oder sie verliert sich in der Mannigfaltigkeit.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 715.

„Durch die absolute Wahl ist somit das Ethische gesetzt; doch folgt daraus keineswegs, daß das Ästhetische ausgeschlossen ist. Im Ethischen ist die Persönlichkeit in sich selbst zentralisiert, absolut ist also das Ästhetische ausgeschlossen, oder es ist ausgeschlossen als das Absolute, relativ jedoch bleibt es immer zurück. Indem die Persönlichkeit sich selbst wählt, wählt sie sich selbst ethisch und schließt das Ästhetische absolut aus; da aber der Mensch sich selbst wählt und dadurch, daß er sich selbst wählt, nicht ein anderes Wesen, sondern er selbst wird, so kehrt das ganze Ästhetische in seiner Relativität zurück.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 728.

„Wenn Du mich also recht verstehen willst, so darf ich immerhin sagen, daß es beim Wählen nicht so sehr darauf ankommt, das Richtige zu wählen, als auf die Energie, den Ernst und das Pathos, womit man wählt. […] Darum, selbst wenn ein Mensch das Unrechte wählte, so wird er doch, eben auf Grund der Energie, mit der er gewählt, entdecken, daß er das Unrechte gewählt hat! Indem nämlich die Wahl mit der ganzen Inbrunst der Persönlichkeit vorgenommen worden ist, ist sein Wesen geläutert und er selbst in ein unmittelbares Verhältnis zu der ewigen Macht gebracht, die das ganze Dasein allgegenwärtig durchdringt. Diese Verklärung; diese höhere Weihe erreicht der niemals, der bloß ästhetisch wählt.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 716.

„Wie ein Erbe, und wäre er auch Erbe aller Schätze der Welt, sie doch nicht besitzt, bevor er mündig geworden ist, so ist selbst die reichste Persönlichkeit nichts, bevor sie sich selbst gewählt hat, und andererseits ist selbst das, was man die ärmste Persönlichkeit nennen müßte, alles, wenn sie sich selbst gewählt hat; denn das Große ist nicht dieses oder jenes zu sein, sondern man selbst zu sein; und das kann ein jeder Mensch, wenn er es will.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 728.

Interpretation I
Der Text kann als Verwerfung des Ästhetizismus gelesen werden: Obwohl die ästhetische und ethische Lebensweise einander vermeintlich neutral gegenübergestellt werden, wird durch die verzweifelte Selbst-Suche des radikalen Ästheten Johannes deutlich, dass eine ästhetische Existenz außerhalb der eigenen Fantasie nicht möglich ist.

Zitate gegen Verfasser A:

Das eindrucksvolle Auftreten von Johannes und die schönen, geistreichen Worte von Verfasser A entsprechen nicht seinen inneren Werten

„In diesen Papieren erhielt ich Gelegenheit, einen Einblick in das Leben zweier Menschen zu tun, der meinen Zweifel daran, daß das Äußere das Innere sei, noch bestärkte. Das gilt insonderheit von dem einen der beiden. Sein Äußeres hat mit seinem Inneren in vollkommenem Widerspruch gestanden. Auch von dem andern gilt es bis zu einem gewissen Grade, insofern er unter einem ziemlich unbedeutenden Äußeren ein recht bedeutendes Inneres verborgen hat.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 12.

„[A]uch mir, der ich doch mit dieser Erzählung gar nichts zu tun habe, ja von dem ursprünglichen Verfasser selbst um zwei Reihen entfernt bin, auch mir ist zuweilen ganz seltsam zumute geworden, wenn ich in der Stille der Nacht mich mit diesen Papieren beschäftigt habe.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 18 f.

„[…] ob A nun wirklich überzeugt worden sei und bereut habe, ob B gesiegt, oder ob es etwa damit geendet habe, daß B zu As Meinung überging.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 24.

Interpretation II
Neben der Absolutheit einer Entscheidung verweist der Titel des Textes jedoch auch auf eine beängstigende Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten und die Gespaltenheit des Menschen, der Genuss und Ethik zugleich braucht. Dieser Konflikt kann nur durch den Glauben und die Aussicht auf Vergebung aufgelöst werden.
Zitate zur Gespaltenheit:

Der Mensch ist gespalten

„Ich habe mir daher bei der Bestimmung des Titels eine Freiheit gestattet, eine Täuschung, von der ich versuchen will Rechenschaft abzulegen. Bei der fortwährenden Beschäftigung mit diesen Papieren ging mir ein Licht darüber auf, daß man ihnen eine neue Seite abgewinnen könnte, wenn man sie als einem Menschen zugehörig betrachtete. […] Es wäre also ein Mensch, der in seinem Leben beide Bewegungen durchlaufen oder beide Bewegungen überdacht hätte.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 23 f.

„es gibt aber auch Menschen, deren Seele zu dissolut ist, um zu begreifen, was in solch einem Dilemma liegt; deren Persönlichkeit es an Energie fehlt, um mit Pathos sagen zu können: Entweder – Oder.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 704.

„Da siehst Du eine traurige Folge davon, daß das Wesen eines Menschen sich nicht harmonisch zu offenbaren vermag.“
Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II. Aus dem Dänischen übersetzt von Heinrich Fauteck, von Hermann Diem mit einer Einführung versehen und von Niels Thulstrup kommentiert. 15. Aufl. München: dtv 2020 (= dtv Literatur), S. 710.

Zitat zum Glauben:

Wenn der gläubige Mensch gegenüber Gott immer im Unrecht ist, weil er Gott liebt, so kann er mutig eine absolute, ethische Wahl treffen und muss nicht an der Mannigfaltigkeit verzweifeln

„Nur in einem unendlichen Verhältnis zu Gott würde der Zweifel zur Ruhe kommen; nur in einem unendlich freien Verhältnis zu Gott könnte sein Kummer in Freude Verwandelt werden. In einem unendlichen Verhältnis aber steht er zu Gott, wenn er erkennt, daß Gott immer recht hat; in einem unendlich freien Verhältnis, wenn er erkennt, daß er selber immer unrecht hat. So ist der Zweifel gehoben; denn die Bewegung des Zweifels lag ja gerade darin, daß er einen Augenblick recht, einen andern Augenblick unrecht haben sollte, oder in gewissem Grade recht und in gewissem Grade unrechte und das sollte sein Verhältnis zu Gott bezeichnen; aber ein solches Verhältnis zu Gott ist kein Verhältnis, und das gab dem Zweifel immer neue Nahrung.“
Søren Kierkegaard: Entweder-Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. Aus dem Dänischen übersetzt von Alexander Michelsen und Otto Gleiß. Leipzig: Fr. Richter 1885, S. 645.

 

Lösung zum Lückentext

Entweder – Oder wurde von Sören Kierkegaard verfasst und von dem fiktiven Victor Eremita herausgegeben. In zwei Bänden wird die ästhetische Lebensanschauung der ethischen gegenübergestellt, wobei der Text als Zusammenstellung verschiedener Schriften zweier Freunde gestaltet ist. Der anonyme Verfasser A kann dabei als Ästhetiker, Verfasser B – dessen Name Wilhelm bekannt ist – als Ethiker begriffen werden. Die Textsammlung umfasst auch ein Tagebuchs des Verführers, welches von einem Mann namens Johannes geschrieben wurde. Dieser versteht sich als Hedonist, lebt für den Genuss und lehnt alles Moralische ab. Der Text kann als Verwerfung einer radikalen Ästhetik gelesen werden: Indem die auf sich selbst zurückgeworfene Suche nach ersten Gefühlen und Genüssen im Tagebuch des Verführers zu einer neuen Begrenzung der Freiheit wird, wird deutlich, dass eine ästhetische Existenz auf die Fantasie beschränkt bleiben muss. Der Titel Entweder – Oder verweist zugleich auf den Spannungszustand des Menschen, der Genuss und Ethik zugleich braucht. Dieser Konflikt kann nur durch eine absolut ethische Wahl und den religiösen Glauben mit der Aussicht auf Vergebung aufgelöst werden.

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