Was bedeutet hyperkulturell?
Hyperkulturell. Was heißt das eigentlich? Multikulturell, plurikulturell, interkulturell und transkulturell, im Englischen auch häufig cross cultural und wie hier auf unserer Seite hyperkulturell. Kultur, kulturell. Dieses Wort kommt in allen eben genannten Begriffen vor. Was verbirgt sich dahinter? Was bedeutet eigentlich Kultur? Die Wortherkunft indogermanisch „kul“ sich drehen, wenden, lateinisch „colere cultura“ pflegen, anbauen. Ein Begriff, der ursprünglich also etwas mit der Landwirtschaft zu tun hat. Was bedeutet er heute? „Kultur ist die kollektive Programmierung des Geistes, die eine Gruppe von Menschen von einer anderen unterscheidet“ schreibt Gert Hofstede, ein bekannter niederländischer Kulturwissenschaftler. Woanders heißt es: „Kultur ist die Weise, in welcher Menschen sich verständigen, ihre Einstellungen zum Leben weitergeben und entwickeln“. „Kultur ist das Muster der Sinngebung, in dessen Rahmen Menschen ihr Handeln lenken.“ Das liest man bei dem amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz. Und hier? Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Sie schafft einerseits Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest. So Alexander Thomas, Professor für Interkulturelle Psychologie. Zusammengefasst: Es ist also von Geist die Rede, von Einstellungen zum Leben, von Sinngebung, von Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln. All das wird als Kultur definiert. Ein paar Beispiele: Woran glauben Menschen und wie wichtig ist ihnen ihr Glaube? Wie verhalten sich Menschen? An welchen Normen orientieren sie sich dabei? Zum Beispiel beim Umgang mit Emotionen in Liebesfragen, bei Konflikten? Welche Rollenbilder von Kind, Frau und Mann gibt es? Bis wann darf ein Kind noch Kind sein? Was ist mit Frauen, die Frauen lieben? Und was mit dem Mann, der sich nicht als Mann fühlt? All dies sind Beispiele dafür, was wir unter Kultur verstehen. Und wir stellen fest, dass es eine große Vielfalt gibt und auch ein hohes Konfliktpotenzial. Nun zum zweiten Begriff: Was bedeutet hyper ? Aus dem Griechischen „über“ oder „mehr“ als Synonym vielleicht „super“. Also überkulturell oder superkulturell? Rousseaus berühmter Ausruf lautet Naturnatur im Sinne von hyperkulturell. Könnten wir daraus vielleicht Kultur Kultur machen? Was passiert jetzt, wenn wir die beiden Begriffe, also Kultur und Hyper, zusammenbringen? Der noch recht junge Begriff hyperkulturell ist geboren. Er stammt übrigens von dem Philosophen Björn Julian. Ein Südkoreaner, der schon seit 30 Jahren in Deutschland lebt und in Berlin Philosophie lehrt. Hyperkulturell. Dieses Wort bringt eine Haltung zum Ausdruck und eine Perspektive. Und auch ein Ziel die Haltung. Respektvoll. Neugierig. Weltoffen. Die Perspektive. Frieden. Kultureller Reichtum und das Ziel. Eine gemeinsame Zukunft. Der Begriff meint, dass aus verschiedenen Kulturen etwas Neues entsteht. Eine neue Kultur. Es geht um Entgrenzung, Annäherung, Vernetzung. Es geht um eine Form natürlicher Heterogenität ohne kulturelle Grenzen. Vielleicht kann man etwas zugespitzt sagen: Es geht um eine menschliche Superkultur, die von allen geteilt wird. Aber auf welchen Werten lässt sich diese Kultur gründen? Danke fürs Zuhören. Hören Sie mal wieder rein.
Der edle Wilde
Der edle Wilde. Eine schöne Illusion? Das Gras im Nachbarsgarten ist immer grüner und das Pausenbrot von Schulkameraden hat früher immer besser geschmeckt. Kommt Ihnen das bekannt vor? Noch ein Beispiel, das uns hier besonders interessiert: Naturvölker sind viel glücklicher als wir, obwohl sie doch so viel weniger besitzen, in primitiven Verhältnissen leben, von den Errungenschaften der modernen Welt so gar nichts haben. Auf die Frage, ob das eine Tatsache oder aber ein Vorurteil sei, antwortet Christoph Antweiler in einem Interview mit der ARD: „Andere Völker sind auch nicht glücklicher als wir.“ Antweiler ist Professor für Ethnologie. Die spannende Frage, die hinter diesem Phänomen steckt: Woher kommt eigentlich die Vorstellung, dass Naturvölker, mit anderen Worten indigene Völker, glücklicher sind als die sogenannten Zivilisierten der besseren westlichen Welt. Jean-Jacques Rousseau, der französische Aufklärer, sprach im 18. Jahrhundert schon von den edlen Wilden. Die lebten seiner Ansicht nach im Einklang mit der Natur, in Frieden und Freiheit, Unschuld und Idylle, in einer Gesellschaft ohne Verbrechen. Sexuell freizügig, gesund und glücklich. Diese romantische Vorstellung findet sich auch, wer kennt ihn nicht, in Karl Mais‘ Winnetou-Geschichten. Gutmütig, klug, großherzig, so ist Winnetou. Er versteht die Natur und lebt in Harmonie mit ihr. Aber so ganz und gar nicht in dieses Bild passt, was z. B. Marcos Correa, brasilianischer Umweltjournalist, über die Ureinwohner schreibt. Dass sie die Natur schützen, ist ein romantischer Mythos und eigentlich schon längst widerlegt. Doch er hält sich, weil er einfach so schön ist – so weit Marcos Correa. Inuit haben ja angeblich auch mehrere hundert Wörter für Schnee, so eine weitverbreitetee Fehlannahme. Längst ist ausführlich sprachwissenschaftlich untersucht, dass die Zahl maßlos übertrieben ist. Alpenrepubliken übrigens haben außerdem ähnlich viele Wörter für Schnee. Die Gründe liegen auf der Hand. Und kennen Sie diesen Text, die sogenannte Weisssagung der Cree? „only after the last tree has been cut down, only after the last river has been poisoned, only after the last fish has been caught, then will you find that money cannot be eaten. Auf Deutsch: Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann. Der Satz geht zurück auf den amerikanischen Literaturhistoriker und Filmregisseur Ted Perry. Er hat ihn so formuliert: Kein Indianer. Der edle Wilde ist ein Idealbild. Es hat ihn nie gegeben. Oder doch? Parallelen zu Adam und Eva im Paradies sind unverkennbar. Auch die lebten glücklich und in Harmonie in paradiesischer Natur, bis zum Sündenfall. Moderne Ethnologie kann mit der Vorstellung vom edlen Wilden jedenfalls längst nichts mehr anfangen. In der Süddeutschen Zeitung ist ein Beitrag mit dem Titel „Die Meer vom edlen Wilden“ zu lesen. Darin heißt es: „Es ist ein schönes, falsches Märchen, das Unheil anrichtet.“ Lendenschurz und Lederhose seien in den seltensten Fällen tatsächlich noch Alltagskleidung, auch wenn sie das mal waren. Jetzt handelt es sich vielmehr eine erfundene Tradition. Dieser Begriff stammt vom britischen Historiker Eric Hobsbawm und findet sich in dessen Aufsatzsammlung The Invention of Tradition. Es handelt sich kulturelle Symbole, die in der Gegenwart erfunden wurden und in die Vergangenheit projiziert werden. So soll Identität gestiftet werden. Indigene Völker, zum Beispiel in Südethiopien, machen inzwischen sogar ein gutes Geschäft mit Stereotypenvorstellungen von deren Kultur. Für Fotos werfen sie sich in traditionelle Schale und verkaufen ihren Schatten, wie es in Äthiopien heißt. Dieses touristische Interesse führt sogar dazu, dass bestimmte Rituale und Traditionen stärker gepflegt werden in indigenen Kulturen, aus finanziellen, mutmaßlich auch aus identitären Gründen. Die sogenannten edlen Wilden stellen sich als exotische Objekte bereit zeitwillig in den Schaukasten. Wollen wir das? Schwer zu beantworten. Die Romantisierung indigener Völker scheint keine Grenzen zu kennen. Aber was ist mit deutlich niedrigerer Lebenserwartung, Hexenglaube, Gewalt, zum Beispiel bei Initiation-Riten, außerdem Beschneidung, Witwen-Tötungen und so weiter? Umweltschutz ist häufig auch eher ein zufälliger Effekt mangels Möglichkeiten, denn Chemikalien und Technik sind zum Beispiel kaum verfügbar. Merkwürdigerweise werden derlei Phänomene von vielen Ethnologen aber kulturrelativistisch interpretiert. Sie werden aus der inneren Logik der jeweiligen Kultur gerechtfertigt. Die Idee des Kulturrelativismus stammt von Franz Boas, ein Anthropologe, der in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts lebte. Was aber ist mit Menschenrechten? Ohne Zweifel eine Erfindung der westlichen Welt. Aber gar keine so schlechte, oder? Es gibt auch garkeinen Zweifel daran, dass sich indigene Völker stark voneinander unterscheiden. Sie dürfen also keinesfalls über einen Kamm geschoren werden, was allerdings eher von denen gemacht wird, die sie romantisieren. Es gibt aber auch diese Perspektive: In Thomas Jaya’s Buch „Das große Buch der Indianer“ aus dem Jahr 2008, findet der international anerkannte Indianerkenner das bestätigt, was wir spätestens seit Karl Mai über Indianer wissen können. Naturliebe und Toleranz gehören zu den wesentlichen Tugenden aller Indianervölker Nordamerikas. Homosexualität wurde toleriert. Frauen konnten sich scheiden lassen. Gegenseitige Wertschätzung stand in hohem Kurs. Zu diesem Ergebnis kommt Thomas Jaya nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit. Andere Völker sind auch nicht glücklicher als wir. Professor Antweiler erklärt dazu weiter: „Das ist ein Vorurteil oder präziser eine verschobene Sehnsucht. Es ist die nostalgische Sehnsucht nach glücklicheren Zeiten in unserer eigenen Kultur.“ Heutige fremde Kulturen werden als Frühstufen der eigenen wahrgenommen. Folglich wird das vermeintliche eigene, frühere Glück auf fremde gegenwärtige Kulturen projiziert. „Das ist übrigens mittlerweile ein weltweites Phänomen“, so Antweiler. Eskapismus, also Weltflucht in eine imaginäre, bessere Wirklichkeit? Auch das Phänomen des sogenannten Bongo-Bongoismus spielt ganz offensichtlich eine Rolle bei derlei Betrachtungen. Wir suchen nach dem Exotischen, das sich möglichst stark von uns unterscheidet. Selbst in der Ethnologie waren vermeintlich exotische Funde lange Zeit ein Garant für eine wissenschaftliche Karriere. Jared Diamond, ein amerikanischer Kulturanthropologe, stellt in seinem Buch „Vermächtnis“ dar, was wir von traditionellen Kulturen tatsächlich lernen können über Krankheit, Jugend und Alter und den Umgang damit. Es ließe sich vermutlich eine Menge lernen, in beide Richtungen vielleicht. Eine Romantik des Exotischen steht solchen Bestrebungen wohl eher im Wege. Übrigens eine Variation des edlen Wilden, vielleicht ein Gegenbild: der Barbar. Auch dies ist ein Stereotyp mit spannender Kulturgeschichte. Der edle Wilde, ein Traumbild, idealisierte Fantasie, Projektion einer großen Sehnsucht.
Vorurteile
Die Deutschen, pünktlich natürlich, ordentlich und fleißig, ein bisschen humorlos vielleicht. Die Russen, Säufer, grob, ohne Manieren. Und die Polen, klauen natürlich. Die Schotten, sind geizig und die Schweizer, Inbegriff der Genauigkeit. Italiener, Amore, pure Leidenschaft, modebewusste Hitzköpfe. Und die Chinesen, höflich, fleißig, vielleicht ein bisschen hinterlistig. Kommen Ihnen diese Charakterisierungen bekannt vor? Zumindest haben Sie wahrscheinlich schon mal davon gehört oder gelesen. Wir sprechen von Stereotypen oder in der Alltagssprache synonym von Vorurteilen oder Klischees. Stereotyp. Das Wort kommt aus dem Griechischen von stereos und typos, zusammengesetzt die „feste Form“. Damit werden relativ starre, weitverbreitete Vorstellungen über Menschen bezeichnet. Die können wertschätzend sein: alle Deutschen sind zuverlässig, aber auch abwertend: alle Polen sind Diebe. Oder auch einfach nur neutral: alle Engländer trinken viel Tee, alle Schweden sind blond. Walter Lipman bezeichnet Stereotype als „pictures in our heads“, also als „Bilder in unseren Köpfen“. Meistens schauen wir nicht erst und definieren dann, wir definieren erst und schauen dann, so Walter Lipman in seinem Buch „die öffentliche Meinung“. Vorurteile sind im Vergleich zu Stereotypen emotional stärker aufgeladen und häufiger oder eindeutiger negativ. Das Vorurteil ist das Kind der Unwissenheit, schreibt William Hazlet. Ein Stereotyp kann zum Vorurteil werden, wenn es zu Konsequenzen im Handeln führt. Wer aufgrund einer bestimmten Vorstellung oder ungeprüften Vorannahme so oder so handelt, der vorverurteilt. Das Wort Klischee schließlich kommt aus dem Französischen und hier aus dem Bereich der Drucktechnik. Es kann mit Abklatsch übersetzt werden. Im Sachwörterbuch der Literatur von Gero von Wilpert wird wie folgt definiert: „Klischees sind vorgeprägte Wendungen, abgegriffene und durch allzu häufigen Gebrauch verschlissene Bilder, Ausdrucksweisen, Rede- und Denkschemata, die ohne individuelle Überzeugung einfach unbedacht übernommen werden.“ Es ist deutlich zu sehen, dass Stereotyp, Vorurteil und Klischee mit sehr ähnlichen Bedeutungen aufgeladen sind. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden sie nahezu synonym verwendet. Und nun zurück zu den Italienern, den Polen, Russen, Deutschen und Chinesen. Sie haben gesehen, wir wissen allerhand über uns und die anderen zu sagen, über Mentalität oder Volkscharakter. Was soll das genau sein? Ein Blick in die Vergangenheit offenbart Erstaunliches. Eine sogenannte Völkertafel aus der Steiermark im heutigen Österreich, aus dem Jahre 1725 charakterisiert verschiedene Ethnien Europas. Darunter zum Beispiel die Deutschen. Die waren damals alle angeblich so: Offenherzig und mit witzigem Verstand, also schlau, gleichzeitig verschwenderisch, dem Wein verfallen und im Krieg unüberwindlich, vergleichbar mit Löwen. Die Russen lieben die Prügel, sind boshafte Esel, verrät uns die Völkertafel aus der Steiermark. Und die Franzosen, leichtsinnig, gesprächig, lieben den Krieg, mit betrügerischen Füchsen werden sie verglichen. Die Polen sind wie wilde Bären in langen Röcken, die den Streit lieben. Dergleichen wenig Schmeichelhaftes liest sich auch über Spanier, Türken, Engländer, Schweden, Ungarn und Italiener. Was hat es nun genau auf sich mit diesen festgeformten allgegenwärtigen Vorstellungen, die wir von uns und anderen haben? Woher kommen sie und worin liegt die Bedeutung von Stereotyp, Vorurteil und Klischee? Zunächst: Stereotype, Vorurteile und Klischees sind das Resultat historisch-politischer, geographischer und sozialer Entwicklungen. Sie sind gesellschaftlich konstruiert. Es gibt eine weitere Besonderheit: Sie sind janusköpfig. Was bedeutet das? Es handelt sich um eine Metapher. Janus war ein römischer Gott. Er ist doppelgesichtlich und ein Symbol für Zwiespältigkeit. Stereotype, Vorurteile und Klischees erfüllen sinnvolle Funktionen, haben aber auch Schattenseiten. Sie sind also janusköpfig. Zunächst zu den drei sinnvollen Funktionen: Stereotype, Vorurteile und Klischees vereinfachen und reduzieren Komplexität. Sie helfen uns somit bei der Orientierung in einer nahezu unüberschaubaren Welt. Auf diese Weise erfüllen sie eine wichtige kognitive Funktion. Außerdem: Mit festgeformten Vorstellungen grenzen wir uns von anderen ab. Wir stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der eigenen Gruppe. Wir sind so und die sind anders. Stereotype, Vorurteile und Klischees haben also auch eine soziale Funktion. Viele festgeformte Vorstellungen geben uns das Gefühl, anderen überlegen zu sein. Dies scheint auf den ersten Blick nicht gerade sympathisch, ist psychologisch betrachtet aber von Vorteil. Wir fühlen uns in unserem Selbstbewusstsein gestärkt. Damit erfüllen starre Vorstellungen eine wichtige affektive Funktion. Jede der soeben genannten sinnvollen Funktionen hat aber auch eine Schattenseite. Der große Nachteil von Vereinfachungen: wichtige Details und Besonderheiten bleiben unberücksichtigt. Die bunte Vielfalt auch innerhalb einer Kultur kommt zu kurz. Wir scheren alle über einen Kamm. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe ist wichtig, kann aber auch dazu führen, dass andere ausgeschlossen werden, weil unsere Vorstellungen sagen, dass ein Mensch nicht zu uns passt. Selbstbewusstsein ist wichtig und natürlich wollen wir uns alle gut fühlen, aber müssen wir uns deshalb gegenseitig abwerten? Und wohin führt das? Die Grenzen zwischen Überlegenheit und Überheblichkeit sind fließend. Stereotype, Vorurteile und Klischees sind janusköpfig. Mit diesem Wissen können wir unsere starren Vorstellungen und Vorurteile kritisch prüfen, wenn wir anderen Menschen begegnen. Danke fürs Zuhören.
Weltraumfahrer
Weltraumfahrer, über Bongo-Bongoismus, Universalien und Globalisierung. Wer weit genug reist, entdeckt eine neue Welt. Weltraumfahrer wissen das zu gut. Aber gilt das auch für Ethnologen? Die Geschichte der Ethnologie zeigt, dass man das zumindest einmal glaubte. Bongo-Bongoismus wird das Phänomen genannt, möglichst exotische Kulturen zu entdecken und damit wissenschaftlichen Ruhm zu erlangen. In einem Interview mit der Zeit erklärt der Ethnologe Professor Dr. Christoph Antweiler den Begriff Bongo-Bongoismus so: Auch ich bin als Relativist in der Ethnologie groß geworden. Da galt es als besondere wissenschaftliche Leistung nachzuweisen, dass irgendetwas, das wir für selbstverständlich halten, nicht beim Volk der Bongo Bongo vorkommt. In Fachkreisen spricht man von Bongo-Bongoismus. Ein überzogener Relativismus ist heute leider der Mainstream in den Kulturwissenschaften, soweit Professor Antweiler. Was ist daran problematisch? Antweilers Antwort: Wir sollten nicht werten, denn alle Kulturen sind grundsätzlich gleichwertig und in sich stimmig. Ich warne aber vor übertriebenem Kulturrelativismus, der schnell in Kulturrassismus umschlägt. Der alte Rassismus hat gesagt: Wir leben in einer Welt, aber wir sind verschiedene Menschen, die Gelben, die Schwarzen, die Roten usw.Der Ultrarelativismus sagt: Wir sind alle Menschen, aber leben in völlig verschiedenen Welten, sprich Kulturen. Im Extremfall wird dann behauptet, die Kulturen seien inkompatibel und könnten sich nicht verständigen. Das ist wissenschaftlich nicht fundiert und politisch gefährlich, soweit Professor Antweiler. Als Kontrastbegriff zum BongoBongoismus kann der sogenannte Adamismus genannt werden. Damit ist die vor allem religiöse Vorstellung gemeint, dass alle Menschen einen göttlichen Ursprung haben, Adam und Eva, und sich daher grundsätzlich sehr ähnlich sind. Antweiler verwendet dafür den Begriff Universalien. Mit kulturübergreifenden Mustern sind aber keine trivialen Ähnlichkeiten gemeint, zum Beispiel, dass Frauen Kinder bekommen. Es geht vielmehr um Dinge, die anders möglich wären, aber trotzdem ähnlich gehandhabt werden, weltweit. Obwohl es biologisch nicht notwendig ist, ziehen in vielen Kulturen die Frauen die Kinder auf. Auch Gastfreundschaft, Inzestverbote und Vetternwirtschaft zählen zu den Universalien. Letzteres, die Aufwertung und Bevorzugung der eigenen Gruppe führt Antweiler unter anderem auf die evolutionär gewachsene Psyche zurück. So hat homo sapiens die meiste Zeit seiner Entwicklung in kleinen Gemeinschaften gelebt. Aber es gibt auch Erklärungen abseits der biologischen Komponenten. Die Haltung von Haus oder Nutztieren sowie die Herstellung von Feuer wurden mutmaßlich von Einzelpersonen entdeckt und haben sich dann aufgrund ihres Nutzens über die ganze Welt ausgebreitet. Zudem führt Antweiler an, dass bestimmte Umstände nur bestimmte Lösungen zulassen. Beispielsweise ist Bürokratie in einer Gesellschaft mit vielen Menschen notwendig, da das Zusammenleben so vieler koordiniert werden muss. Laut Antweiler macht uns Globalisierung gleich und ungleich zugleich. Er nennt das Glokalisierung. Oft handelt es sich um globale Phänomene, die lokal unterschiedlich interpretiert werden. Antweiler spricht hierbei von weltweiten Ähnlichkeiten, auch wenn sie nicht hundertprozentig universal sind. Globalisierung funktioniere demnach nur wegen der Ähnlichkeit der Menschen. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen möchte Antweiler den Kulturen nicht ihre Unterschiede absprechen. Er sagt dazu: Ich möchte die Vielfalt ja gerade nicht gegen die Universalien ausspielen. Aber die Vielfalt ist begrenzt und es gibt Muster in der Vielfalt. Und diese Strukturen haben mit dem zu tun, was wir gemein haben. Kehren wir nun zum einleitenden Bild der Weltraumfahrer zurück. Mit Antweiler gesprochen, geht es also nicht mehr nur darum, Unterschiede zu erkennen, sondern sich auf eine Reise nach den Gemeinsamkeiten unserer Kulturen zu begeben. Es lässt sich sicher auch in der Fremde ein Stückchen Heimat finden. Überall auf der Welt. Der vielsagende Titel von Antweilers Buch lautet „Heimat? Mensch“ Danke fürs Zuhören. Hören Sie mal wieder rein.
Die Welt der Sprachen
6.500, die Welt der Sprachen. Derzeit gibt es circa 6.500 Sprachen auf der Welt. Davon ist ungefähr die Hälfte vom Aussterben bedroht. Alle zwei Wochen verschwindet eine Sprache. Sprache, das Haus des Seins, so Martin Heidecker, ein deutscher Philosoph. Was bedeutet das? Wir alle wissen, was Sprache ist, denn wir alle kennen verschiedene Sprachen. Wir alle können eine oder mehrere Sprachen. Sprache war schon immer da. Ein Leben ohne Sprache wäre kaum vorstellbar. Sprache ist omnipräsent. Aber wie würden wir Sprache definieren? Sprache zu definieren ist etwas seltsam, denn darüber zu sprechen, was Sprache ist, setzt immer schon Sprache voraus. Es ist schwierig, etwas zu erklären, was ganz unbewusst geschieht. Der Mensch schwimmt in der Sprache wie der Fisch im Wasser. Er würde sie erst richtig bemerken, wenn er hinausgeworfen würde, so Hans-Jürgen Heringer, ein deutscher Linguist. Sprache ist also etwas ganz Natürliches und sie läuft weit umgehend unbewusst, zumindest die Muttersprache. Ludwig Wittgenstein, Sprachphilosoph des 20. Jahrhunderts, definiert Sprache als die Gesamtheit der Sätze. Das Besondere einer Sprache ist, dass aus einer endlichen Anzahl von Elementen unendlich viele Äußerungen erzeugt werden können. Doch Sprache ist mehr als nur ein System aus Wörtern und Grammatik. Sprache ist nicht, Sprache geschieht, so Heinz von Förster, ein österreichischer Philosoph. Sprache bedeutet auch immer handeln. Wir benutzen Sprache mit einer gewissen Intention, etwas zu erreichen, zum Beispiel das Verhalten unserer Mitmenschen zu steuern. Dies wird als Pragmatik bezeichnet und ist eine Disziplin der Sprachwissenschaft. Sprache ist uns nicht angeboren. Uns ist lediglich die Fähigkeit angeboren, eine oder mehrere Sprachen zu erlernen. Ferdinand de Saussure, ein Schweizer Sprachwissenschaftler, bezeichnet diese Fähigkeit als „Langage“. Er unterscheidet „Langage“ von zwei weiteren Aspekten der Sprache: „Langue“ und „Parole“. „Langue“ meint das abstrakte System einer bestimmten Sprache, zum Beispiel die Sprache Deutsch oder die Sprache Englisch. „Parole“ hingegen bezeichnet das Sprechen. Also den konkreten Sprachgebrauch. Aber eine bestimmte Sprache können wir nur im sozialen Kontext erwerben. Spracherwerb funktioniert nicht ohne den Kontakt zu anderen Sprechern. Beim Spracherwerb spielt vor allem das Verstehen eine wichtige Rolle. Erst äußert ein Baby einen Laut nur willkürlich, zufällig. Anhand der Reaktionen der Erwachsenen bemerkt es dann, dass es damit etwas bewirkt. Das Kind lernt, was es damit bewirkt. Hier wären wir übrigens wieder im Bereich der Pragmatik. Sprache ist Handeln. Vielleicht haben Sie schon einmal etwas von der merkwürdigen Geschichte Kasper Hausers gehört. 1828 tauchte Kasper Hauser, damals 16 Jahre alt, wie aus dem Nichts in Nürnberg auf. Hauser war ein seltsamer Kerl. Er nahm lediglich Brot und Wasser zu sich, konnte im Dunkeln verblüffend scharf sehen, erschrak bei lauteren Geräuschen. Und Hauser gab nur unverständliche Laute, nur Fetzen von Wörtern und Sätzen von sich. Laut dem Bürgermeister Nürnbergs war Hauser weder verrückt noch blödsinnig. Der Bürgermeister vermutete, dass Hauser mehrere Jahre in absoluter Isolation in einem Verließ ohne Licht gelebt hatte. Dass sich Spracherwerb nur durch Interaktion mit anderen Sprechern vollzieht, zeigt die traurige Geschichte von Genie. Genie ist ein sogenanntes Wolfskind, das aufgrund von Missbrauch und sozialer Isolation keine Muttersprache erwarb. Fast 14 Jahre lang wurde Genie von ihrem Vater gefesselt in einem dunklen Raum eingesperrt. Ohne Reize, ohne jegliche Interaktion. Ohne Sprache zu rezipieren, können wir sie also auch nicht produzieren. In der Psycholinguistik ist in Bezug zu Genie oft von der Critical Period Hypothesis die Rede. Die Hypothese besagt, dass die ersten Lebensjahre die entscheidenden Jahre für den Erwerb der Muttersprache sind. Nach dieser Periode könne die Sprache nicht mehr vollständig erworben werden. Demnach konnte Genie mit fast 14 Jahren keine Muttersprache mehr erwerben. Sprache ist so alt wie der Mensch. Sie existiert nicht ohne Sprecher. So ist Sprache auch die Grundlage menschlicher Kommunikation. Sprache ist das Werkzeug dafür, dass Menschen miteinander kommunizieren können. Betrachten wir Sprache beziehungsweise Kommunikation mal aus einer konstruktivistischen Sicht. Ernst von Glasersfeld, Philosoph und Kommunikationswissenschaftler, vergleicht Kommunikation, das heißt Sprache, Sprechen und Verstehen, mit einer Weinflasche. Wenn wir uns ein Auto teilen, bleibt das Auto das Gleiche, egal wer es fährt. Doch wenn wir uns eine Flasche Wein teilen, ist der Wein, den du trinkst, nicht der Wein, den ich trinke. Genauso verhält es sich mit der Sprache beziehungsweise mit der Kommunikation. Was Personen beim Sprechen sagen oder verstehen, ist immer von ihren persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen abhängig. Viele Menschen betrachten Sprache aber als eine in einem Container verpackte Botschaft, die vom Empfänger lediglich wieder ausgepackt werden muss. So ist es nicht verwunderlich, dass Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, Sprache als die Quelle aller Missverständnisse bezeichnet. Wir benötigen Weltwissen, sprachliche Handlungen zu verstehen. Oder andersherum gedacht: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt – so Ludwig Wittgenstein, der österreichische Sprachphilosoph. Neben all diesen Aspekten ist beim Thema Sprache auch der Sprachwandel von Bedeutung. Der deutsche Philosoph Carl Jaspers sagt: „Sprache ist nicht ist als ein fertiges Gebilde, als brauchbares Werkzeug dem Menschen gegeben worden, denn sie ist in ständiger Verwandlung und Bewegung. Sprache ist also kein starres Gebilde, sondern im ständigen Wandel. Trotzdem kann der Mensch die Sprache nicht ändern. Er ist ihr gewissermaßen unterworfen. Dass Sprache einem ständigen Wandel unterzogen ist, zeigen zum Beispiel auch die Globalisierung und die Digitalisierung. Sprachen sterben aus, neue Sprachen entstehen. Ein ganz natürlicher Prozess, den es schon immer gegeben hat. Doch durch die Globalisierung geschieht dies nun schneller als zuvor. Große Sprachen, Weltsprachen, wie zum Beispiel Englisch, Spanisch oder Chinesisch, sind heutzutage zum Beispiel der Schlüssel zu einem guten Job und werden somit kleineren Sprachen, Lokalsprachen vorgezogen. Auch die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Sprache. Sprache wird kürzer. Sie ist beispielsweise gekennzeichnet von diversen Auslassungen. Zudem wird Sprache immer stärker und systematisch zur Manipulation von Menschen eingesetzt. Vielleicht haben Sie schon einmal die Begriffe Framing oder Frame gehört. Ein Frame bezeichnet einen gedanklichen Deutungsrahmen, der durch Sprache konstruiert wird. Unbewusst wird unser Denken von Frames beeinflusst, manipuliert. Demnach kann derselbe Inhalt, aber verpackt in unterschiedliche Äußerungen, verschiedenes Verhalten beim Empfänger auslösen. So wird zum Beispiel die Sprache in der Politik zu einem Instrument. Was kommt Ihnen beispielsweise bei Begriffen wie Flüchtlingswelle, Asylturismus oder Steuerlast in den Sinn? Danke fürs Zuhören. Höre Sie mal wieder rein.
Migration
Und woher kommst du wirklich? Über Migration und die vier Formen der Akkulturation. Woher kommst du eigentlich? Aus Hamburg. Und wo kommst du wirklich her? Ach so, geboren bin ich in Köln. Und woher kommen deine Eltern? Solche oder ähnliche Unterhaltungen kennen bestimmt viele von uns aus ihrem Alltag. Besonders Menschen mit Migrationshintergrund. Moment. Migrationshintergrund. Migration. Was bedeutet das eigentlich? Migration kommt vom lateinischen Verb migrare und bedeutet wandern, wegziehen. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Migration als räumliche Verlegung des Lebensmittelpunkt einer Person. Meist ist mit dem Begriff die internationale Migration gemeint, also die räumliche Verlegung des Lebensmittelpunkt einer Person über Staatsgrenzen hinweg. Bei der Person aus dem anfangs genannten Beispiel handelt es sich nicht um eine Migrantin, denn sie ist in Köln geboren und lebt in Deutschland. Sie ist genauso Deutsche wie die fragende Person. Trotzdem wird sie offensichtlich als anders wahrgenommen, da sie aufgrund ihres Migrationshintergrundes vielleicht anders aussieht oder einen anderen Namen hat. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die ethnische Zugehörigkeit oft mit der Staatsbürgerschaft gleichgesetzt wird. Wer das Kind deutscher Vorfahren ist, ist automatisch auch deutsch. Wer nur in Deutschland geboren wurde, ist es nicht. Die langgeltende Vorstellung, dass die deutsche Staatsbürgerschaft vererbt wird, spiegelt sich noch häufig im Alltag wider. Aber im Jahr 2000 wurde das Staatsangehörigkeitsgesetz um das sogenannte Recht des Bodens ergänzt. Das bedeutet, dass Kinder, die in Deutschland geboren sind und von denen ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Bei der Definition deutscher Identität fand also ein Wandel von der ethnischen Zugehörigkeit zur Staatsbürgerschaft statt. Egal wie angepasst oder integriert man ist, egal ob man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und einen deutschen Pass besitzt. Menschen mit Migrationshintergrund werden oft nicht als Deutsche wahrgenommen, obwohl sie sich allein hier beheimatet und deutsch fühlen, was auch immer das heißen mag. Wird dies von anderen hinterfragt? Migration und ihre Bedeutung für die Menschen, das ist ein komplexes Thema und Gegenstand der Forschung. Nach John Berry, einem kanadischen Migrationsforscher, lassen sich vier Formen der Akkulturation, also der kulturellen Anpassung, unterscheiden: die Segregation, die Integration, die Assimilation und die Marginalisierung. Zur ersten Form: Bei der Segregation behalten die Zugewanderten ihre eigene Kultur bei und lehnen die Kultur der Mehrheitsgesellschaft ab. Sie verfolgen eine kulturelle Isolation im Aufnahmeland. Zur zweiten Form. Bei der Integration wird die eigene Kultur zwar auch größtenteils beibehalten, jedoch besteht Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Das Ziel beider Kulturen ist hierbei die Multikulturalität. Apropos Integration. Das Wort stammt vom lateinischen integratio ab und meint so viel wie Wiederherstellung eines Ganzen. Laut Bundesministerium setzt Integration die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus, wie auch die Bereitschaft der Zugewanderten, die Regeln des Aufnahmeland zu respektieren und sich um die eigene Integration zu bemühen. Zur dritten Form: Die Assimilation meint die Aufgabe der eigenen Kultur und die Verschmelzung mit der Kultur des Gastlandes. Schließlich die vierte Form von kultureller Anpassung, Marginalisierung, auch Exklusion genannt. Darunter versteht Berry, die eigene Kultur aufzugeben und ausgeschlossen von der Kultur des Aufnahmelandes zu leben. Kommen wir zurück zu dem kurzen Gespräch am Anfang. Menschen mit Migrationshintergrund sind oft genervt von der Frage, woher sie denn eigentlich kommen, weil sie sich dadurch ausgegrenzt fühlen, auch wenn es vielleicht gar nicht so gemeint war. Die Frage kann auch einfach Interesse ausdrücken. Das Interesse an anderen Kulturen, wenn auch etwas unglücklich formuliert. So könnte es wichtig sein, sich selbst zu fragen, warum man diese Frage überhaupt stellt, ob man sie überhaupt stellen sollte und wie man sie stellt. Migration, Akkulturation, Segregation, Integration, Assimilation und Marginalisierung das sind Schlüsselbegriffe interkultureller Kommunikation. Übrigens, wo kommen Sie denn eigentlich her? Danke fürs Zuhören, wenn Sie mal wieder rein.
Körpersprache
Körpersprache, die Bewegung unseres Geistes. Die einzige Sprache, die jeder versteht, ist die Sprache des menschlichen Gesichts, schrieb einst der deutsche Philosoph Ernst-Bloch. Und bis heute würde wohl niemand die kommunikative Macht der Mimik abstreiten. Ob bewusst oder unbewusst, wenn wir kommunizieren, beziehen wir immer die Körpersprache unseres Gegenübers mit ein. Oder nutzen unsere eigene, indem wir etwa durch ein Nicken oder Lächeln Zustimmung signalisieren. Aber wovon reden wir eigentlich, wenn wir von Körpersprache sprechen und stimmt es, dass sie von allen gleichermaßen verstanden wird? Die nonverbale Kommunikation, wie die Körpersprache auch genannt wird, ergänzt unsere Aussagen, und das sowohl bewusst als auch unbewusst. Sie transportiert unsere Gefühlsregungen, die wir einer Sache gegenüber empfinden und kann so das Gesagte ebenso untermauern und bestärken oder diesem widersprechen. Sie spiegelt unsere Überraschung wider und offenbart über die Stimme oder den Gesichtsausdruck eine humoristische Intention. Damit bildet die Körpersprache eine Art kommunikatives Framing, das immer kontextabhängig zu betrachten ist und das wir automatisch in die Bewertung einer Aussage mit einbeziehen. Das Repertoire der nonverbalen Kommunikation umfasst mehr als nur unsere Mimik oder unsere Stimme. Auch unsere Gestik, unser Habitus, unsere gesamte Haltung, unser Raumverhalten, die sogenannte Proxemik, und unsere Blickführung und Fokussierung sind Teil der täglichen Körpersprache. Ist unsere Stimme laut, hoch, tief oder klangvoll? Reden wir schnell oder langsam? Klingen wir überzeugt, zögerlich, abwägend oder trotzig? Ist unser Blick konstant auf die sprechende Person gelenkt oder wandert er durch den Raum, die eigenen Gedanken zu ordnen? In welcher Distanz positionieren wir uns zu den anderen? Sind wir ihnen zugeneigt oder zeigen wir ihnen die kalte Schulter? All diese kommunikativen Verhaltensweisen signalisieren wir über unseren Körper. Ein Versuch, ein wenig Ordnung in diese schier unendlichen Bedeutungen zu bringen, stammt von der Sprachwissenschaftlerin Christa Heilmann, die unsere Körpersprache nach vier Funktionen unterteilt: in die syntaktische, die pragmatische, die semantische und die dialogische Funktion. Syntaktisch agieren wir dann, wenn wir beispielsweise unsere Mimik oder Gestik dazu nutzen, das Gesagte zu strukturieren. Pragmatisch, wenn wir mithilfe unserer Körpersprache unsere Stimmung und Gefühle ausdrücken, falls die Worte dazu nicht ausreichen. Die semantische Funktion kommt zum Tragen, wenn wir eine mangelnde Übereinstimmung mit dem Gesagten signalisieren wollen. Der russisch-amerikanische Dichter Joseph Brodsky formuliert es wie folgt: Eines Menschen schiere Lippenbewegung ist wesentlicher als das, was sie sagt. Die vierte Funktion der Körpersprache bezeichnet Heilmann als die dialogische, da sie direkt den Gesprächsfluss betrifft. Nonverbal einigen wir uns darauf, wer wann spricht und ob wir uns unterbrechen dürfen. Nun wissen wir zwar, was wir unter Körpersprache zu verstehen haben, aber was ist mit der zweiten Frage: Wird sie von allen gleich verstanden? Die kurze Antwort ist: Nein. Ein und dieselbe Ausdrucksform kann je nach Kontext und je nach Perspektive unterschiedlich gedeutet werden. Die Körpersprache kann allerdings von unseren kulturell geformten Erwartungen abweichen. Beispiele hierfür finden sich insbesondere in der interkulturellen Kommunikation. Unsere Erwartungen werden von unserem jeweiligen Kulturkreis beeinflusst. Sie sind abhängig von dem, was wir gewohnt sind, was wir gelernt und internalisiert, organisiert haben. Aus diesem Grund ist die Körpersprache in interkulturellen Begegnungen häufig eine Quelle von Missverständnissen. Um sich nicht misszuverstehen, bedarf es also einer ständigen Reflexion kultureller Körpersprachen, nicht zur passivgelenkten Marionette der eigenen Kultur zu werden. Neben diesen kollektiven kulturellen Bedeutungen ist und bleibt die Körpersprache allerdings zugleich stark subjektiv. Eine passende Beschreibung stammt vom Psycholinguisten David McNeill, der die individuelle Gestik als in Bewegungen übertragende Gedanken versteht. Über unsere Körpersprache können wir uns also gewissermaßen beim Denken zusehen. Und auch der französische Literat François Delaroche-Foucault scheint an der nonverbalen Sprache ebenso viel Gefallen zu finden, wie an der gesprochenen, wenn er schreibt: Da ist oft ebenso viel Beredsamkeit im Ton der Stimme, in den Augen und in der ganzen Atmosphäre, die ein Redner sich verbreitet, wie in der Wahl seiner Worte. Auch die digitale Welt macht sich die Funktionen der Körpersprache zunutze, etwa wenn sie diese mithilfe von Emojis zu imitieren versucht. Im Übrigen mit nicht minder großen Bedeutungsvarianten. So steht ein digitales lächelendes Exkrementhäufchen in unterschiedlichen Kulturkreisen für unterschiedliche Zeichen. In Japan zum Beispiel bedeutet es Glück. Das Symbol für Beten wird als High Five verwendet und das gebärdensprachliche Zeichen für „Ich liebe dich“ gerne mal mit dem Heavy-Metal-Zeichen der Hörner, auch Pommesgabel genannt, verwechselt. Dabei sind diese Emojis ebenso relevant für die Organisation schriftlicher Interaktion geworden, wie es unsere Körpersprache bezüglich der direkten Kommunikation ist. Emojis sind also gewissermaßen als unsere digitale Körpersprache zu verstehen. Halten wir also fest: Körpersprache strukturiert unsere Äußerungen. Diese Strukturierung hilft aber nicht nur unseren Kommunikationspartnern, sondern auch uns selbst. Wie oft ertappen sie sich dabei, beim Telefonieren zu gestikulieren? Die einzige Sprache, die jeder versteht, ist die Sprache des menschlichen Gesichts, lautete das eingangs genannten Zitats. Vielleicht müssen wir dieses nun etwas anpassen. Körpersprache ist die einzige Sprache, die jeder spricht. Das Verstehen von Körpersprache ist jedoch kulturell und auch individuell sehr unterschiedlich. Körpersprache: Die Sprache, die alle sprechen. Die Sprache, die alle anders verstehen. Die Bewegung unserer Gedanken. Ein wesentlicher Bestandteil interkultureller Kommunikation und eine ständige Herausforderung. Danke fürs Zuhören. Hören Sie mal wieder rein.
Das Eisbergmodell der Kultur
Das Eisberg-Modell der Kultur. Bestimmt haben wir schon einmal von der Redewendung „Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs“ gehört. Sie impliziert, dass es sich bei dem besagten nur einen kleinen Teil eines viel größeren, auf den ersten Blick nicht zu erkennenden, im Verborgenen liegenden großen Ganzen handelt. Von dieser Implikation macht auch das kulturwissenschaftliche Eisbergmodell Edgar Scheinz Gebrauch, indem es den unmittelbar wahrnehmbaren Teil von Kultur in der Spitze des Bergs und den verborgenen Teil unter der Wasseroberfläche verortet. Die Spitze des Eisbergs, also der kleinere, sichtbare Teil, ist das, was wir sehen und hören können. Dieser Teil der Kultur, zum Beispiel die Sprache, das Aussehen oder das Verhalten, ist schnell zu erkennen. Die größere Masse des Eisbergs, der unter der Wasseroberfläche verborgene, nicht unmittelbar wahrnehmbare Teild beeinflusst den oberen Teil. Er bildet das kulturelle Fundament, bei dem es sich beispielsweise Normen, Werte, Ideale, Traditionen, Erfahrungen, Rollenbilder oder den Glauben handelt. Da dieser Teil der Kultur unsichtbar ist, ist er häufig die Ursache interkultureller Missverständnisse. Wenn sich zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen treffen, werden gewisse Eigenschaften der jeweiligen anderen Kultur also nicht sofort erkannt. Das Gegenüber wird vorerst nur anhand der äußerlichen Merkmale, wie zum Beispiel Kleidung oder Sprache, wahrgenommen. Da die Werte und Normen dieser Person nicht sichtbar sind, interpretieren wir die Situation vor dem Hintergrund unserer eigenen Kultur, deren Ideale uns selbstverständlich erscheinen. Erst nach einer längeren Beschäftigung mit der anderen Kultur erkennen wir ihren inneren Kern und können Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zu unserer eigenen Norm feststellen. Die naturwissenschaftlichen Merkmale des Eisbergs sind also gut geeignet um aufzuzeigen, dass nur ein Bruchteil kultureller Eigenheiten ad hoc erkennbar ist. Das Bewusstsein über die eigene Unkenntnis, frei nach dem sokratischen Motto „Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich nichts weiß“ kann also dabei behilflich sein, interkulturellen Konflikten vorzubeugen. Haben Sie schon einmal interkulturelle Konflikte erlebt? Danke fürs Zuhören. Hören Sie mal wieder rein.
Barbaren
Barbaren. Zur Geschichte der Unmenschen, über Barbarei, Zivilisation und Xenophobie. Kulturlos, unzivilisiert, primitiv, roh, ungebildet und gewalttätig. Dies alles sind mögliche Adjektive, einen Barbaren zu beschreiben. Barbar? Barbarei, barbarisch? Was bedeutet das eigentlich? Ursprünglich war ein Barbar für die Griechen und Römer in der Antike ein Angehöriger eines fremden Volkes. Das Wort Barbar geht auf das griechische Wort Barbaros zurück und bedeutet Stammler. Dies waren im antiken Griechenland Personen, die nicht oder nur schlecht Griechisch sprachen. Gemeint waren also alle Nicht-Griechen. Später bezog sich der Begriff Barbar generell auf kulturell unterlegene Personen, egal ob Griechen oder Nicht-Griechen. Julius Cäsar bezeichnet Barbaren als grobschlächtige Krieger. Ansehen erlangten sie allerdings, indem sie ihre Nachbarn gewaltsam leben konnten. Barbaren waren früher die Völker des Nordens, vor allem die Germanen. Sie kannten keine Schrift, keinen Kalender und kein Geld. Sie lebten durch Tauschhandel und versorgten sich mithilfe von Jagd, Viehzucht und Getreideanbau selbst. Die Stämme der Barbaren waren nicht in großen Städten ansässig. Sie lebten in einzelnen Dörfern mit nur wenigen Einwohnern. So werden barbarische Stämme auch als lose Ansammlung von mehr oder weniger unabhängigen Familien und Individuen bezeichnet. Außerdem wohnten sie in Hütten aus Holz und Lehm. Die Römer hingegen wohnten in Häusern aus Stein. Vegetius, Kriegstheoretiker und Verfasser eines Werkes über antike Kriegskunde, führte die Unterschiede zwischen dem wilden Norden und dem zivilisierten Süden auf das Klima zurück. Demnach seien die Völker heißer, trockener Gebiete intelligent und nicht sehr mutig. Sie hätten größere Angst vor Wunden, weil sie weniger Blut besaßen. Völker des Nordens hingegen seien weniger klug, aber dafür mutiger, denn sie besäßen mehr Blut und seien dadurch besonders kriegstüchtig. Wissenschaftlich seriös ist das freilich nicht. Der Begriff Barbarei steht immer im Zusammenhang mit dem Begriff der Zivilisation, bezeichnet geradezu sein Gegenteil. Zivilisation leitet sich vom lateinischen Wort civis ab und bedeutete ursprünglich römischer Bürger, seit dem Hochmittelalter dann nur noch Bürger. Der Duden schlägt als Synonyme für Zivilisation Kultur oder Lebensart vor. Es handelt sich eine Gesellschaft, die sich zum Beispiel durch technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, durch komplexe politische und wirtschaftliche Strukturen auszeichnet. Bei dem Begriffspaar Barbarei und Zivilisation handelt es sich eine Dichotomie. Das bedeutet, dass sich die beiden Begriffe gegenüberstehen und gegenseitig ausschließen. Jemand ist entweder barbarisch oder zivilisiert. Hierbei geht es angeblich eine Eigenschaft, die angeboren wird. Sie kann nicht erworben werden. Damit geht auch der Gegensatz von Natur und Kultur einher. Barbaren gelten als Naturvölker, Zivilisierte als Kulturvölker. Ein Barbar ist also Angehöriger eines Volkes jenseits der Zivilisation. Er stammt von außerhalb einer zivilisierten Gesellschaft. Barbarei meint also die Abwesenheit von Zivilisation. Im Laufe der Jahrhunderte fand ein Wandel des ursprünglich abwertenden, abgrenzenden Verständnisses eines Barbaren statt. So können heute zum Beispiel in Fantasy-Filmen mit einem Barbaren auch eher positive Attribute wie Mut, Stärke und Entschlossenheit assoziiert werden. Auf der anderen Seite ist und bleibt der Barbar das Sinnbild des Unmenschen. Mit dem Begriff der Barbarei ist auch die Xenophobie verknüpft. Xenophobie? Das Wort Xenophobie setzt sich aus den griechischen Wörtern Xenos und Phobia zusammen. Xenos bedeutet Fremd, Fremder. Phobia bedeutet Angst, Furcht. Xenophobie meint also so viel wie Angst vor dem Fremden und ist das bildungssprachliche Wort für Fremdenfeindlichkeit. Menschen anderer Kulturen werden auf aggressive Art und Weise abgelehnt. Warum? Wegen religiöser, sozialer, kultureller, sprachlicher oder wirtschaftlicher Unterschiede. Denn in diesen Differenzen sehen xenophobe Menschen eine Bedrohung. Die Folge von Xenophobie ist die Benachteiligung von Fremden innerhalb einer Gesellschaft. Was assoziieren Sie mit einem Barbaren? Einen kulturlosen, primitiven Fremden? Einen ungebildeten Menschen? Oder doch eher einen tapferen Krieger aus einem Fantasiefilm? Danke fürs Zuhören. Hören Sie mal wieder rein.