Das Eisbergmodell der Kultur wird in der Kulturforschung verwendet, um den Zusammenhang zwischen direkt wahrgenommener Kultur und verborgener Kultur und die damit verbundenen Ursachen interkultureller Kommunikationskonflikte zu visualisieren.
Die Eisberg-Analogie (Eisberg-Modell) leitet sich von der Verwendung des Begriffs durch E. Hemingway in den 1930er Jahren zur Beschreibung seines Schreibstils ab. Er war der Meinung, dass ein Autor nicht alle Details über seine Hauptfigur preisgeben sollte. Es wäre ausreichend, wenn nur die Spitze des Eisbergs sichtbar wäre, oder ein Achtel davon.
Die Spitze des Eisbergs
Diese Metapher wurde später von S. Freuds Bewusstseinstheorie übernommen, die die Grundlage für das Eisbergmodell der Kultur bildet. Freud entwickelte die Theorie, dass nur ein kleiner Prozentsatz menschlicher Handlungen absichtlich bestimmt wird, und entwarf dann das Strukturmodell der Psyche. Dabei entspricht das „Ich“ (Realitätsprinzip) dem bewussten Bereich der Persönlichkeit, der bestimmt, welche Teile der unbewussten Persönlichkeitsbereiche („Es“ (Lustprinzip) und „Über-Ich“ (Moralprinzip)) verwirklicht werden. Im Gegensatz zu einem Eisberg bewohnt das bewusste „Ich“ nur den kleineren, wahrnehmbaren Teil, die Spitze des Eisbergs, die sich über der Wasseroberfläche befindet. Die unbewussten Regionen „Über-Ich“ und „Es“ machen den Großteil des verborgenen Inhalts des Wassers aus.
Unter der Oberfläche
In Bezug auf die Kultur scheint dies so zu sein: Der kleinere Teil des Eisbergs, seine Spitze, stellt die sichtbaren und hörbaren Teile dar, z. B. leicht unterscheidbarer Bestandteil der Kultur (Sprache, Aussehen, Verhalten usw.). Der entfernte größere Teil der Kultur (Regeln, Vorschriften, Konventionen usw.) liegt „unter der Wasseroberfläche“ und ist daher nicht sofort erkennbar. Es hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf den kleinen, wahrnehmbaren Teil und führt aufgrund seiner Unsichtbarkeit daher häufig zu Konflikten in der Kommunikation zwischen Kulturen. Das Verstehen der verborgenen kulturellen Aspekte und ein sensibler Umgang damit können die Wahrscheinlichkeit dieser Fehleinschätzungen verringern.
Beispiel für einen interkulturellen Konflikt
Ein Beispiel für einen interkulturellen Konflikt könnte sein, dass eine Gruppe internationaler Studierender in ein Wohnheim in einer deutschen Stadt zieht und dort auf ihre indische Mitbewohnerin trifft.
In diesem Beispiel gibt es mehrere Aspekte, die zu einem interkulturellen Konflikt führen können. Ein wichtiger Aspekt sind die unterschiedlichen kulturellen Normen und Werte.
Die deutschen Studierenden haben vielleicht eine direkte und sachliche Art zu kommunizieren, während die indische Mitbewohnerin eine indirekte und höfliche Art bevorzugt. Dies kann zu Missverständnissen führen, da die deutschen Studierenden die indischen Studierenden als zurückhaltend und passiv wahrnehmen, während die Inder die Deutschen als unhöflich und direkt interpretieren.
Ein weiterer Aspekt könnten die unterschiedlichen Essgewohnheiten sein. Die deutschen Studierenden sind es vielleicht gewohnt, spät zu essen und eventuell Bier oder Wein zu trinken, während die indische Mitbewohnerin vielleicht vegetarisch lebt und aus religiösen Gründen keinen Alkohol trinkt. Diese Unterschiede können zu Konflikten beim gemeinsamen Kochen oder Essen führen, da die deutschen Studierenden vielleicht nicht auf Fleisch oder Alkohol verzichten möchten, während die indische Mitbewohnerin ihre religiösen Überzeugungen respektiert sehen möchte.
Ein dritter Aspekt könnte der unterschiedliche Umgang mit Privatsphäre und persönlichem Freiraum sein. Die deutschen Studierenden sind es vielleicht gewohnt, ihre Türen offen zu lassen und frei mit anderen Mitbewohnern zu interagieren, während die indische Mitbewohnerin vielleicht mehr Privatsphäre und Raum benötigt. Dies kann zu Konflikten führen, wenn sich die indische Mitbewohnerin durch zu offene und einladende Mitbewohner gestört fühlt.
Insgesamt sind diese Unterschiede in den kulturellen Normen und Werten oft die Ursache für interkulturelle Konflikte. Um diese Konflikte zu lösen, ist es wichtig, dass alle Parteien offen und respektvoll miteinander kommunizieren und versuchen, die Perspektive des anderen zu verstehen. Ein offener Dialog kann dazu beitragen, Misstrauen und Missverständnisse abzubauen und eine harmonische Zusammenarbeit und Interaktion zu ermöglichen.
Unmittelbar wahrnehmbare Kultur Vs. verborgene Kultur
Unmittelbar wahrnehmbare Kultur bezieht sich auf alle Aspekte einer Kultur, die öffentlich sichtbar sind und von Außenstehenden leicht erkannt werden können. Sie umfasst Elemente wie Sprache, Kleidung, Kunst, Musik, Tanz, Essgewohnheiten, öffentliche Rituale, Architektur und andere äußere Ausdrucksformen einer Kultur. Diese Aspekte der unmittelbar wahrnehmbaren Kultur sind leicht zugänglich und vermitteln oft wichtige Informationen über die Identität und die Werte einer Gemeinschaft.
Ein Beispiel für unmittelbar wahrnehmbare Kultur ist die traditionelle Kleidung, die in einer bestimmten Kultur getragen wird. Diese Kleidung kann bestimmte Farben, Muster oder Schnitte aufweisen, die für die Identität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft stehen. Ein anderes Beispiel wäre die Sprache, die in einer Kultur gesprochen wird. Die Sprache kann einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie eine Kultur kommuniziert und ihre Gedanken und Ideen ausdrückt.
Im Gegensatz dazu bezieht sich die verborgene Kultur auf die Aspekte einer Kultur, die nicht offensichtlich oder leicht erkennbar sind. Diese Aspekte sind oft Teil der informellen und unsichtbaren sozialen Strukturen einer Gemeinschaft und können nur durch längere Beobachtung, aktive Teilnahme oder tieferes Eintauchen in die Kultur erkannt werden. Verborgene Kultur umfasst Werte, Normen, Überzeugungen, Traditionen, Rituale, Tabus, Weltanschauungen und andere implizite Regeln, die das Verhalten und die Interaktionen innerhalb einer Gemeinschaft prägen.
Ein Beispiel für versteckte Kultur wäre die Rolle von Traditionen und Ritualen. Eine Gemeinschaft kann bestimmte Traditionen haben, die tief in ihrer Geschichte und Kultur verwurzelt sind, aber für Außenstehende nicht sofort erkennbar sind. Zu diesen Traditionen können bestimmte Rituale oder Zeremonien gehören, die für die Gemeinschaft eine wichtige Bedeutung haben, aber der Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Ein weiteres Beispiel für verborgene Kultur ist die Wertschätzung bestimmter sozialer Normen oder Verhaltensweisen, die in einer Gemeinschaft als selbstverständlich angesehen werden. Beispielsweise können in einigen Kulturen höfliches Verhalten und Respekt gegenüber Älteren stark betont werden, während unmittelbar sichtbare Merkmale wie Kleidung oder Sprache je nach Kultur weniger wichtig sein können.
Lösungen und Erklärungen aus den E-Learning-Einheiten
Lückentext
Der kleinere Teil des Eisbergs, seine Spitze, steht für den sicht- und hörbaren, also schnell zu erkennenden Teil der Kultur (Sprache, Aussehen, Verhalten, …). Der weitaus größere Teil der Kultur (Normen, Werte, Glaube, Ideale, Traditionen, Erfahrungen, Rollenbilder, …) hingegen liegt unter der Wasseroberfläche verborgen und ist somit nicht unmittelbar wahrnehmbar. Er beeinflusst den kleinen wahrnehmbaren Teil jedoch wesentlich und ist somit aufgrund seiner Unsichtbarkeit oft die Ursache für interkulturelle Kommunikationskonflikte. Wissen um die verborgenen kulturellen Aspekte und ein sensibler Umgang mit ihnen kann die Gefahr solcher Missverständnisse eindämmen.
Transkript zum Erklärfilm
Das ist Lisa. Lisa ist eine echte Berlinerin. Sie trägt das Herz auf der Zunge. Und das ist Yamato. Yamato kommt aus Tokio. Er ist das erste Mal in Europa und noch nicht lange in Berlin. Lisa und Yamato haben sich kürzlich in Berlin kennengelernt. Die beiden treffen sich zufällig am Brandenburger Tor. Yamato will die Stadt erkunden. Er begrüßt Lisa mit einer kurzen Verbeugung. So ist es üblich in seinem Land. Lisa aber ist ganz außer sich. Sie ärgert sich über einen Busfahrer, der nicht auf sie gewartet hat. Sie hat noch gewunken. Er muss sie gesehen haben. Lisa ist wütend. Schimpft auf offener Straße. „So ein Mist!“ Yamato ist irritiert. Lisa wird sich nun nicht mehr von ihrer kleinen Schwester Hannah verabschieden können, die heute für ein Austauschjahr nach Amerika fliegt. Sie ärgert sich dermaßen, dass ihr die Tränen in die Augen steigen. Sie schaut Yamato an, der scheint zu lachen. Lisa wundert sich. Weil es nun ohnehin zu spät ist, schlägt sie vor, ins Café Vier zu gehen. Das ist gleich um die Ecke. Yamato lehnt höflich ab. Schade, denkt Lisa. Aber wahrscheinlich hat Yamato andere Pläne. Dieser würde schon gerne in ein Café mit. Lisa, kennt aber keine Alternative. Verlegenes Schweigen. Lisa und Yamato wissen natürlich, dass sich ihre Kulturen voneinander unterscheiden. So einiges ist ihnen auch gleich aufgefallen. Dennoch erscheint ihnen manches rätselhaft. Sie haben einen Verdacht. Etwas liegt im Verborgenen und wirkt trotzdem stark. Wie lässt sich dieses Phänomen beschreiben? Das Eisbergmodell der Kultur. Was verstehen wir eigentlich unter Kultur? Der Begriff lässt sich mit einer Metapher gut erklären. Die menschliche Kultur gleicht einem Eisberg. Es gibt einen sichtbaren und auch hörbaren Teil, den wir schnell erkennen. Das ist die Sprache. Yamato hat Deutsch als Fremdsprache gelernt und auch das Aussehen. Verhaltensweisen gehören auch dazu. Yamato grüßt zum Beispiel mit einer Verbeugung. Diese kulturellen Besonderheiten können wir meist gut erkennen. Sie sind sichtbar. Erstaunlich allerdings ist, dass der weitaus größere Teil von Kultur zunächst unsichtbar bleibt wie bei einem Eisberg. Was genau verbirgt sich unter der Oberfläche? Normen des menschlichen Miteinanders. Dazu gehören Erwartungen an den Umgang mit Emotionen, privat und öffentlich. Lisa zeigt in der geschilderten Situation starke Emotionen. Für Yamato, der aus Japan kommt, wirkt das sehr befremdlich. Er versucht sogar, diese für ihn peinliche Situation wegzulachen. Dies wiederum kann Lisa nicht verstehen. Eine Irritation für beide Seiten. Glaube? Woran glauben Menschen und wie wichtig ist ihnen der Glaube? In der japanischen Kultur ist die Zahl vier sehr negativ besetzt, da das Wort klanglich dem Wort für tot ähnelt. Yamato versteht statt des englischen Wortes vier die Zahl vier und reagiert also ablehnend. Ein Missverständnis. Es gibt noch viele weitere kulturelle Aspekte, die im Verborgenen liegen, zum Beispiel Wertvorstellungen, Ideale, Traditionen, Erfahrungen, Rollenbilder. Diese kulturellen Besonderheiten sind auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen. Sie bleiben unsichtbar. Ist das nicht erstaunlich? Ein großer Teil der Kultur bleibt uns bei oberflächlicher Betrachtung verborgen. Unwissenheit kann leicht zu unerwarteten Kollisionen führen, zu interkulturellen Konflikten. Wir ecken an, weil wir unsere Kultur wie selbstverständlich für die richtige halten. Tückisch ist also der große kulturelle Bereich, der unter der Oberfläche liegt. Sensibilität gegenüber verborgenen kulturellen Unterschieden ist ein erster Schritt zu erfolgreicher Kommunikation. Das bedeutet, aufmerksam, neugierig und empathisch zu sein. Und was können wir konkret tun? Uns vorab informieren. Fragen stellen. Irritationen klären. Wer achtsam mit fremden Kulturen umgeht, segelt sicherer.