Mehrsprachigkeit und Spracherwerb sind zwei eng miteinander verbundene Konzepte, die in der globalisierten Welt eine Schlüsselrolle spielen. In einer Gesellschaft, in der kulturelle Vielfalt und internationale Kommunikation immer wichtiger werden, ist die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen, von großem Vorteil. Spracherwerb bezieht sich auf den Prozess des Erlernens und Beherrschens einer Sprache, während Mehrsprachigkeit die Fähigkeit beschreibt, mehr als eine Sprache fließend zu sprechen. Mehrsprachigkeit und Spracherwerb sind für die persönliche Entwicklung, die kognitive Flexibilität und die beruflichen Möglichkeiten von großer Bedeutung. In diesem Artikel werden die Vorteile und Herausforderungen von Mehrsprachigkeit und Spracherwerb näher beleuchtet.
Phasen des Erstspracherwerbs
Als Erstspracherwerb wird der Prozess bezeichnet, in dem Kinder ihre Muttersprache auf natürliche Weise und ohne formale Anleitung erlernen. Es gibt verschiedene Phasen des Erstspracherwerbs, die im Folgenden näher erläutert werden.
1. Lallphase: Die Lallphase ist die erste Phase des Erstspracherwerbs. In dieser Phase machen Babys verschiedene Lautäußerungen, die als Vokalisationen bezeichnet werden. Sie produzieren Laute wie „ma-ma“, „da-da“ und „ba-ba“ unabhängig von ihrer Muttersprache. Obwohl diese Laute keine Bedeutung haben, sind sie ein wichtiger erster Schritt in der Sprachentwicklung.
2. Holophrastisches Stadium: Das holophrastische Stadium beginnt in der Regel im Alter von etwa einem Jahr und ist dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Wörter oder Lautfolgen verwendet werden, um ganze Gedankengänge oder Botschaften auszudrücken. Beispiele hierfür sind „da“ für „da ist es“ oder „Ba!“ als Aufforderung, einen Ball zu werfen. Obwohl einzelne Wörter verwendet werden, haben sie je nach Kontext oft unterschiedliche Bedeutungen.
3. Zwei-Wort-Satz-Stadium: Im Zwei-Wort-Satz-Stadium beginnen Kinder, zwei Wörter zu kombinieren, um einfache Sätze zu bilden. In dieser Phase werden grammatische Strukturen oft vernachlässigt. Kinder verwenden häufig Wörter und Ausdrücke in vereinfachter Form, z. B. „Mama trinken“ oder „Katze laufen“. Obwohl die Sätze kurz und einfach sind, können sie bereits viele Bedeutungen enthalten.
4. Telegraphische Phase: In der telegraphischen Phase erweitern Kinder ihre sprachlichen Fähigkeiten und beginnen, längere Sätze zu bilden. Sie verwenden jedoch noch keine grammatikalisch korrekten Strukturen und lassen meist Artikel, Pronomen und Hilfsverben weg, z.B. „Ich werfe den Ball“ statt „Ich werfe den Ball“. Dennoch sind die Sätze verständlich und zeigen eine fortschreitende Sprachentwicklung.
5. grammatisch korrekte Phase: In dieser letzten Phase des Erstspracherwerbs verstehen die Kinder die grammatischen Strukturen ihrer Muttersprache und wenden sie korrekt an. Sie bilden vollständige Sätze und verstehen den Gebrauch von Artikeln, Pronomen und Verbkonjugationen. Ihre Satzstruktur und ihr Wortschatz entwickeln sich weiter und sie sind in der Lage, komplexe Gedanken und Ideen auszudrücken.
Doppelter Erstspracherwerb
Als doppelten Erstspracherwerb bezeichnet man den gleichzeitigen oder sukzessiven Erwerb von zwei Muttersprachen in der Kindheit. Er tritt auf, wenn ein Kind in einem zweisprachigen Umfeld aufwächst, in dem von Geburt an zwei verschiedene Sprachen gesprochen werden. Das Kind lernt beide Sprachen als seine Erstsprachen.
Es gibt verschiedene Formen des doppelten Erstspracherwerbs. Zum einen gibt es Kinder, die von Geburt an zwei verschiedene Sprachen von ihren Eltern hören. Beispielsweise spricht der Vater eine Sprache und die Mutter eine andere. Das Kind ist in der Lage, beide Sprachen zu verstehen und zu sprechen, da es von Anfang an regelmäßig mit beiden Sprachen konfrontiert wird.
Eine andere Form des doppelten Erstspracherwerbs liegt vor, wenn ein Kind in einem zweisprachigen Umfeld aufwächst, in dem nicht nur die Eltern, sondern auch andere Familienmitglieder, Freunde oder die Gesellschaft im Allgemeinen zwei Sprachen sprechen. In diesem Fall wird das Kind sowohl in der Familie als auch im sozialen Umfeld mit beiden Sprachen konfrontiert und erwirbt sie auf natürliche Weise.
Der doppelte Erstspracherwerb unterscheidet sich vom Zweitspracherwerb dadurch, dass das Kind beide Sprachen gleichzeitig und von Anfang an lernt. Im Gegensatz dazu lernt ein Kind, das erst später im Leben mit einer zweiten Sprache konfrontiert wird, diese als Zweitsprache.
Der doppelte Erstspracherwerb hat mehrere Vorteile. Zum einen ermöglicht er dem Kind, beide Sprachen von klein auf nativ zu erwerben. Das bedeutet, dass das Kind die Sprachen mit der gleichen Leichtigkeit und dem gleichen Sprachgefühl beherrscht wie Muttersprachler. Dies kann in vielerlei Hinsicht von Vorteil sein, z. B. im Hinblick auf spätere Berufschancen oder die kulturelle Identität des Kindes.
Darüber hinaus kann der doppelte Erstspracherwerb auch kognitive Vorteile mit sich bringen. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die früh mit dem Erlernen von zwei Sprachen beginnen, eine höhere kognitive Flexibilität, bessere Problemlösungsfähigkeiten und ein besseres Arbeitsgedächtnis haben können als Kinder, die nur eine Sprache lernen.
Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass der doppelte Erstspracherwerb auch Herausforderungen mit sich bringen kann. Es kann für das Kind schwierig sein, die beiden Sprachen voneinander zu trennen, insbesondere wenn es noch nicht über eine ausreichende Sprachentwicklung verfügt. Es kann zu Verwechslungen oder Code-Switching zwischen den beiden Sprachen kommen. Außerdem kann es manchmal zu Verzögerungen beim Spracherwerb kommen, wenn das Kind beide Sprachen gleichzeitig lernen muss.
Daher ist es wichtig, dass die Eltern und das Umfeld des Kindes den doppelten Erstspracherwerb unterstützen und das Kind angemessen fördern. Dazu gehört zum Beispiel, dass beide Sprachen konsequent und regelmäßig verwendet werden und dass das Kind in beiden Sprachen ausreichend Lerngelegenheiten hat, sei es durch Gespräche, Bücher oder andere sprachliche Aktivitäten.
Zweitspracherwerb
Zweitsprachenerwerb bezieht sich auf den Prozess des Erlernens einer neuen Sprache neben der Muttersprache. Er bezieht sich in der Regel auf das Erlernen einer zweiten Sprache im schulischen oder alltäglichen Kontext und nicht auf das Erlernen einer Sprache als Kind im häuslichen Umfeld.
Beim Zweitspracherwerb spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, unter anderem das Alter und die Dauer der Exposition gegenüber der neuen Sprache. Es gibt einige grundlegende Prinzipien, die den Zweitspracherwerb beeinflussen:
1. Alter: Ein frühes Alter gilt als optimal für den Zweitspracherwerb. Kinder haben eine größere Fähigkeit, neue Sprachen zu erlernen, und können dies oft mühelos tun, da sie von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen. Das Erlernen einer neuen Sprache im Erwachsenenalter ist jedoch schwieriger, da die Fähigkeit, neue Laute und grammatische Strukturen zu erfassen, nachlässt.
2. Exposition: Die Quantität und Qualität der Exposition gegenüber der neuen Sprache ist entscheidend. Regelmäßiger und intensiver Kontakt mit der neuen Sprache ermöglicht ein besseres Verständnis und eine schnellere Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten.
3. Motivation: Motivation spielt eine wichtige Rolle beim Zweitspracherwerb. Wenn Menschen motiviert sind, die neue Sprache zu lernen, werden sie eher Fortschritte machen und an ihrer Kommunikationsfähigkeit arbeiten.
4. Soziale Interaktion: Um eine Sprache effektiv zu lernen, ist es wichtig, sie in sozialen Situationen anzuwenden. Das Üben des Sprechens, Hörens, Lesens und Schreibens in authentischen Situationen mit Muttersprachlern führt zu einer schnelleren und effektiveren Beherrschung der Zweitsprache.
Beim Zweitspracherwerb können auch Fehler auftreten, die durch unterschiedliche Strukturen und Regeln in der Muttersprache und der zu erlernenden Sprache verursacht werden. Diese Fehler werden als Interferenzfehler bezeichnet und können durch korrigierendes Feedback und gezieltes Training reduziert werden.
Der Erwerb einer Zweitsprache kann in verschiedenen Umgebungen stattfinden, z. B. in der Schule, am Arbeitsplatz oder durch Selbststudium. Es gibt auch verschiedene Methoden und Strategien, die beim Zweitspracherwerb angewendet werden können, z. B. das immersive Lernen, bei dem die neue Sprache in allen Aspekten des täglichen Lebens verwendet wird, oder der gebrauchsbasierte Ansatz, bei dem der Schwerpunkt auf der Verwendung der Sprache zur Kommunikation liegt.
Gesteuerter vs. ungesteuerter Zweitspracherwerb
Der gesteuerte und ungesteuerte Zweitspracherwerb bezieht sich auf die Art und Weise, wie eine Person eine neue Sprache als Zweitsprache lernt.
Beim gesteuerten Zweitspracherwerb liegt der Schwerpunkt auf einem strukturierten und formalen Lernprozess. Er kann in einer institutionellen Umgebung stattfinden, z. B. in einer Schule oder in einem Sprachkurs. In dieser Umgebung gibt es Lehrkräfte, die die Lernenden anleiten, den Unterricht strukturieren und formale Lernziele vorgeben. Der gesteuerte Zweitspracherwerb kann auch durch Selbststudium mit Hilfe von Lehrbüchern oder Online-Ressourcen erfolgen, wobei die Lernenden ihren eigenen Lernprozess organisieren und steuern.
Im Gegensatz dazu bezieht sich der ungesteuerte Zweitspracherwerb auf einen informelleren und weniger strukturierten Ansatz. Er findet außerhalb eines institutionellen Rahmens statt und wird oft als eine natürlichere Art des Spracherwerbs angesehen. Beim ungesteuerten Zweitspracherwerb hat der Lernende in der Regel mehr Freiheit, wie, wann und wo er die Sprache lernt. Dies kann durch alltägliche Interaktionen mit Muttersprachlern oder durch das Eintauchen in die Kultur und das soziale Umfeld der Zielsprache geschehen. Der ungesteuerte Zweitspracherwerb basiert eher auf Immersion und Exposition gegenüber der Zielsprache, um ein intuitives Verständnis zu entwickeln, als auf formalem Unterricht oder bewusstem Sprachenlernen.
Der Unterschied zwischen gesteuertem und ungesteuertem Zweitspracherwerb liegt also im Grad der Strukturierung und Kontrolle des Lernprozesses. Während der gesteuerte Zweitspracherwerb eine formale Lernumgebung und formale Lernziele beinhaltet, basiert der ungesteuerte Zweitspracherwerb auf informelleren Methoden und einer immersiven Erfahrung mit der Zielsprache.
Code-Switching
Code-Switching bezieht sich auf die Praxis, während eines Gesprächs oder einer Kommunikation zwischen verschiedenen Sprachen, Dialekten oder Sprachvarianten zu wechseln. Es tritt häufig auf, wenn Sprecher mehrere Sprachen beherrschen oder wenn sich Personen in einer mehrsprachigen Umgebung befinden.
Code-Switching kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden, z. B. auf Satzebene, Wortebene oder Phonemebene. Auf der Satzebene kann eine Person beispielsweise einen Satz in einer Sprache beginnen und ihn dann in einer anderen Sprache beenden. Auf der Wortebene können einzelne Wörter oder Phrasen aus einer anderen Sprache eingefügt werden. Auf der Phonemebene können bestimmte Laute oder Ausspracheregeln aus einer anderen Sprache übernommen werden.
Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen Code-Switching betreiben. Oft ist es eine bewusste Entscheidung, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln oder sich besser auszudrücken. Zum Beispiel kann ein Sprecher einen Begriff in einer anderen Sprache verwenden, weil er in dieser Sprache präziser oder besser ausgedrückt werden kann. Code-Switching kann auch als soziales und kulturelles Merkmal verwendet werden, um eine gemeinsame Identität oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu demonstrieren.
Code-Switching ist in vielen mehrsprachigen Gemeinschaften weit verbreitet und kann als normal angesehen werden. Für manche Sprecher kann es jedoch auch eine Herausforderung darstellen, insbesondere wenn sie nicht alle Sprachen oder Dialekte gleichermaßen gut beherrschen. Manche Menschen können Code-Switching auch als störend oder verwirrend empfinden, insbesondere wenn sie die verwendete Sprache nicht verstehen.
Insgesamt ist Code-Switching eine komplexe sprachliche Praxis, die in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften vorkommt. Es kann verschiedene Funktionen haben und ermöglicht den Sprechern, ihre Kommunikation an unterschiedliche soziale Kontexte und sprachliche Anforderungen anzupassen.
Richtige Antworten des Quiz aus der E-Learning-Einheit: