„Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“, schrieb der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer 1947. Was Klemperer meint: Sprache wirkt und das nicht im luftleeren Raum. Mit Worten können wir Menschen verletzen („Dummkopf“), sie oberflächlich abstempeln („Wirtschaftsflüchtling“) oder verniedlichen („Fräulein). Denn Sprache bildet unsere Realität nicht nur ab, sie erschafft diese auch. Mehr über die Macht der Sprache lesen Sie hier: https://www.hyperkulturell.de/fluechtling-eine-verniedlichung/
Für Marlies Krämer, die nun mit ihrem Anliegen sogar bis vor den BGH zog, ist der Sparkassen-Fall eine Frage der Gerechtigkeit. So beruft sie sich auf das Grundgesetz, welches die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festschreibt: „Es ist mein verfassungsmäßig legitimes Recht, dass ich als Frau in Sprache und Schrift erkennbar bin.“ Das Gericht entschied nun: die Formularsprache darf männlich bleiben. Das generische Maskulinum („Kunde“) ist eine verallgemeinernde Form, die zwar eindeutig männlich ist, aber alle Geschlechter umfassen soll – Frauen erleiden durch diese Verwendung keinen Nachteil. Doch ist die Debatte mit diesem Urteil wirklich abgehakt?
Bisherige Versuche von Frauen (und auch Männern) sich gegen männerorientierte Sprache einzusetzen belächelte man häufig. Die Gleichstellungsbeauftragte des Bundes, Kristin Rose-Möhring, stieß mit ihrem Vorschlag, die Nationalhymne sprachlich gendergerechter zu gestalten, nicht überall auf Gegenliebe. Aus „brüderlich mit Herz und Hand“ solle „couragiert mit Herz und Hand“ werden – so ihr Vorschlag. Und aus „Heimat bist du großer Söhne“ könne „Heimat großer Töchter und Söhne“ werden. Hitzige Diskussionen und Unverständnis waren die Folge. Doch bleibt eine Frage ungeklärt: Wo beginnt subtile Diskriminierung?
Das Gefühl was angemessen ist, verändert sich laufend und sicherlich auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Dennoch belegen psychologische Experimente: Es macht einen Unterschied, wenn eine Stellenausschreibungen einen Ingenieur (m/w) oder ein/ne Ingenieur/in sucht. Frauen fühlen sich auf diese Weise weniger einbezogen, auch im Beruf, wenn nur von „Kollegen“ gesprochen wird.
Die amerikanische Juristin Tracy Higgins befürchtet sogar, dass durch die sprachliche Unsichtbarkeit von Frauen eine verzerrte Wahrnehmung von Frauen als Bürgerinnen entstehen würde. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Frauen lange nicht als Bürgerinnen gelten durften und ihnen gleichzeitig politische Mündigkeit verwehrt blieb. Sie schrieben nie Verfassungen und profitierten lange nicht von deren Rechten – das zeigt sich auch sprachlich.
Sicherlich ist gendergerechte Sprache kein Wundermittel für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Die Nennung beider Geschlechter bedeutet vor allem bürokratischen Aufwand, doch: „Am Ende geht es nämlich um nichts weniger als eine Gesellschaft, in der alle Geschlechter gleichwertig sind, gleichwertig abgebildet werden und gleichermaßen Zugang zu Macht und sozialer und kultureller Teilhabe haben.“
Die Zeit berichtet: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-03/sparkasse-formulare-gleichberechtigung-sprache-bgh-urteil/komplettansicht