MultilingualitätMehrsprachigkeit – oder Multilingualität – bezeichnet die Fähigkeit, mehrere (diverse) Sprachen zu sprechen oder zu verstehen (Duden 2018). „Diese verschiedenen Sprachen schließen nicht nur offizielle Sprachen mit ein, sondern auch Regional-, Minderheiten- und Gebärdensprachen und sogar Sprachvarietäten wie Dialekte“ (Riehl 2014, 9).

Etymologie

Das Wort „Mehrsprachigkeit“ setzt sich aus den beiden lateinischen Wörtern „multi“ (viel, mehrere) und „lingua“ (Sprache) zusammen.

Die Vorsilbe „multi-“ weist auf die Vielzahl oder das Vorhandensein mehrerer Elemente hin. Es wird auch in anderen Begriffen wie „Multikulturalität“ verwendet, um das Vorhandensein und die Interaktion verschiedener Kulturen zu beschreiben. Der Begriff „Lingua“ bezieht sich auf die Sprache. Er findet sich auch in Wörtern wie „linguistisch“ oder „Linguistik“. Der Ursprung des Wortes geht auf das lateinische „lingua“ zurück, was „Zunge“ oder „Sprache“ bedeutet.

Ein Begriff der extremen Unschärfe

Der (Ober-)Begriff der Mehrsprachigkeit assoziiert gleichzeitig diverse Formen des Spracherwerbs in der Ontogenese eines Menschen sowie den Gebrauch im Alltag, im Arbeitsleben und den Institutionen (vgl. ebd., 9). So kommt es im deutschsprachigen Raum häufig zur synonymen Verwendung der Begriffe Mehrsprachigkeit und Bilingualität sowie polyglott. Dies weist auf die Fluidität und nicht klar determinierte Begriffsbestimmung hin (vgl. Petersen 2014, 19). Vielmehr zeichnet sich der Begriff der Multilingualität durch seine definitorische Unschärfe aus, da er „unendlich viele Niveaustufen kommunikativer Kompetenz“ umfasst (Hernig 2005, 163).

Insgesamt wird Multilingualität an vier Definitionskriterien ausgemacht:

Art des Erwerbs

Hier wird auf den simultanen sowie sukzessiven Erwerb Bezug genommen und dahin gehend differenziert. Die Lebensphasen (z. B. Kindheit oder Erwachsenenalter) spielen dabei eine entscheidende Rolle (vgl. Lüdi/ Py 2017, 7; Riehl 2014, 11 f.).

Mehrsprachenerwerb bezieht sich auf den Prozess des Lernens und Verstehens mehrerer Sprachen durch eine Person. Er kann sich auf verschiedene Situationen und Altersstufen beziehen, in denen ein Kind oder ein Erwachsener mehrere Sprachen gleichzeitig oder nacheinander erwirbt. Der Erwerb mehrerer Sprachen kann auf natürliche Weise erfolgen, wenn eine Person in einer mehrsprachigen Umgebung aufwächst. In diesem Fall lernt das Kind von klein auf verschiedene Sprachen durch tägliches Hören und Sprechen. Diese Art des Mehrsprachenerwerbs kann zu einer hohen Sprachkompetenz in allen erworbenen Sprachen führen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der Mehrsprachenerwerb nicht von Anfang an stattfindet, sondern erst in einem späteren Alter, z. B. während der Schulzeit oder im Erwachsenenalter, einsetzt. In diesen Fällen ist der Spracherwerb möglicherweise weniger natürlich und erfordert mehr Anstrengung und Training. Es gibt verschiedene Theorien und Modelle, die den Prozess des Mehrsprachenerwerbs erklären. Zum Beispiel postuliert das so genannte Interlanguage-Modell, dass Menschen eine „Zwischensprache“ entwickeln, wenn sie mehrere Sprachen lernen. Diese Zwischensprache enthält Elemente und Strukturen aus verschiedenen erlernten Sprachen und wird von der Person verwendet, um sich in verschiedenen Sprachen auszudrücken. Im Laufe der Zeit entwickelt sich diese Zwischensprache weiter und wird immer ausgefeilter, je mehr Erfahrung die Person in den Sprachen sammelt, die sie lernt. Das Erlernen mehrerer Sprachen kann viele Vorteile mit sich bringen. Mehrsprachige Menschen verfügen häufig über bessere kommunikative Fähigkeiten, da sie mehrere Sprachen beherrschen und in verschiedenen kulturellen Kontexten agieren können. Darüber hinaus wurden kognitive Vorteile wie eine verbesserte Aufmerksamkeit, Problemlösungsfähigkeit und kulturelle Sensibilität bei mehrsprachigen Menschen festgestellt.

 

Gesellschaftliche Bedingungen

Bei diesem Definitionskriterium wird zwischen individueller, gesellschaftlicher und institutioneller Mehrsprachigkeit unterschieden (vgl. Riehl 2014, 12).

Individuelle Mehrsprachigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, mehrere Sprachen zu verstehen, zu sprechen und zu schreiben. Dies kann bedeuten, dass eine Person verschiedene Sprachen in verschiedenen Situationen verwendet oder sich fließend in mehreren Sprachen ausdrücken kann. Individuelle Mehrsprachigkeit kann durch persönliche Erfahrung, Erziehung und formales oder informelles Lernen erworben werden.

Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit bezieht sich auf die Mehrsprachigkeit in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft. In mehrsprachigen Gesellschaften werden mehrere Sprachen von verschiedenen Gruppen von Menschen gesprochen. Diese Sprachen können Amtssprachen sein oder von ethno-linguistischen Minderheiten gesprochen werden. Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit kann verschiedene Aspekte wie Sprachenvielfalt, Sprachwechsel, Sprachplanung und politische Fragen im Zusammenhang mit dem Umgang mit mehreren Sprachen in einer Gesellschaft umfassen.

Institutionelle Mehrsprachigkeit bezieht sich auf die Verwendung mehrerer Sprachen auf institutioneller Ebene, z. B. in Schulen, Regierungen, Unternehmen oder Medienorganisationen. Institutionen können politische Entscheidungen treffen, um Mehrsprachigkeit zu fördern oder zu unterdrücken, und müssen möglicherweise Richtlinien und Praktiken für den Umgang mit mehreren Sprachen entwickeln. Institutionelle Mehrsprachigkeit kann auch Übersetzungs- und Dolmetschdienste umfassen, um sicherzustellen, dass Informationen für alle Sprachgruppen zugänglich sind.

Diese drei Arten von Mehrsprachigkeit sind eng miteinander verbunden und können sich gegenseitig beeinflussen. Die individuelle Mehrsprachigkeit beeinflusst die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, da die Summe der individuellen Mehrsprachigkeit die Gesamtzahl der in einer Gesellschaft gesprochenen Sprachen beeinflusst. Gleichzeitig kann die institutionelle Mehrsprachigkeit die individuelle Mehrsprachigkeit beeinflussen, da sie den Zugang zu Ressourcen und Gelegenheiten zur Entwicklung von Mehrsprachigkeit beeinflusst.

Kompetenz

Die Definition der Mehrsprachigkeit von Oksaar (Oksaar 1980, 43) wird häufig verwendet und als das Kompetenzniveau beschrieben: „Mehrsprachigkeit definiere ich funktional. Sie setzt voraus, da[ss] der Mehrsprachige in den meisten Situationen ohne weiteres von der einen Sprache zur andern umschalten kann, wenn es nötig ist. Das Verhältnis der Sprachen kann dabei durchaus verschieden sein – in der einen kann, je nach der Struktur des kommunikativen Aktes, u. a. Situationen und Themen, ein wenig eloquenter Kode, in der andern ein mehr eloquenter Kode verwendet werden“ (Lüdi/ Py 2017, 8).

Sprachkonstellationen

Hiermit ist der Status der involvierten Sprachen gemeint. Die Mehrsprachigkeit ist entweder ausgehend durch zwei (oder mehr) voll ausgebauten Kultursprachen von internationalem Prestige geprägt, z. B. Deutsch-Russisch oder durch eine Sprache mit einem regionalen, kommunikativen Radius, wie dies bei einem Dialekt der Fall ist (vgl. Lüdi/ Py 2017, 6; Riehl 2014, 16 f.).

Die Bedeutung von Sprachkonstellationen für die Mehrsprachigkeit liegt darin, dass sie den Umgang mit und die Verwendung von mehreren Sprachen beeinflussen. Sprachenkonstellationen können sich auf verschiedene Aspekte beziehen, wie z.B. die Anzahl der Sprachen, die in einer bestimmten Region oder einem bestimmten Land gesprochen werden, die Muttersprachen der Menschen in einer bestimmten Gemeinschaft oder die häufigsten Sprachkombinationen in multinationalen Unternehmen. Sprachliche Konstellationen wirken sich auch auf den sozialen und kulturellen Austausch aus. Wenn Menschen in einer bestimmten Gemeinschaft zwei oder mehr Sprachen sprechen, können sie effektiver miteinander kommunizieren und unterschiedliche kulturelle Hintergründe besser verstehen. Dies fördert das interkulturelle Verständnis und den Austausch von Ideen und Wissen.

Vom Mythos der Einsprachigkeit

Mehrsprachigkeit wird häufig als etwas Einzigartiges deklariert, während der monolinguale Habitus institutionell verankert scheint. Doch in Zeiten einer globalisierenden Gesellschaft ist der Monolinguismus eher als ‚Rarität‘ zu betrachten (vgl. Boschung/ Dietrich 2011, III; Riehl 2014, 9 f.). Natarajan spricht sogar von einer Erfindung der Einsprachigen: „Es zeigt sich in der Konsequenz bis heute, dass Mehr- und Vielsprachigkeit zwar im Kontext von Vielfalt und Diversität betont werden, aber im Rahmen des vorherrschenden Denkens gesteht man dennoch jeder Person nur eine Sprache, die zu. Damit wird das Individuum nicht als unterschiedlich kompetent in mehreren Sprachen wahrgenommen. Der mehrsprachigen Person fehlt es somit an Identifikation-, Benennungs- und Beschreibungsmöglichkeiten.“ (Ziese/ Gritschke 2016, 261)

Als Ursachen für Mehrsprachigkeit kommen zumeist politische (wie z. B. Migration), wirtschaftliche oder historische Gründe in Frage. Zudem wird zwischen natürlicher oder didaktisch vermittelter Multilingualität unterschieden.

 

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Literatur

Boschung, Dietrich/ Riehl, Claudia M. (Hrsg.) (2011): Historische Mehrsprachigkeit: Workshop des Zentrums für Antike Kulturen des Mittelmeerraumes (ZaKMiRa) und des Zentrums Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit (ZSM) an der Universität Köln im Juli 2008. Aachen: Shaker.

Duden (2018): Mehrsprachigkeit | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition. https://www.duden.de/rechtschreibung/Mehrsprachigkeit [22.06.2018].

Hernig, Marcus (2005): Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Wiesbaden: VS.

Lüdi, Georges/ Py, Bernard (2017): Zweisprachig durch Migration: Einführung in die Erforschung der Mehrsprachigkeit am Beispiel zweier Zuwanderergruppen in Neuenburg (Schweiz). Tübingen: Niemeyer.

Oksaar, Eis (1980): Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt und Sprachkonflikt. In: Nelde, Peter Hans (Hrsg.): Sprachkontakt und Sprachkonflikt. Wiesbaden: Franz Steiner.

Petersen, Inger (2014): Schreibfähigkeit und Mehrsprachigkeit. Berlin: De Gruyter.

Riehl, Claudia M. (2014): Mehrsprachigkeit: Eine Einführung. Darmstadt: WBG.

Ziese, Maren/ Gritschke, Caroline (2016): Geflüchtete und kulturelle Bildung. Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld. Bielefeld: Transcript.

Mehrsprachigkeit : Mehrsprachigkeit : Universität Hamburg (uni-hamburg.de)

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