Das Völkerrecht unterscheidet zwischen Menschen, die aufgrund definierter äußerer Einflüsse zur Flucht gezwungen sind und Menschen, die aus eigenem Antrieb auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven ihre Heimat verlassen. Laut Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention gilt eine Person als Flüchtling, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet“ (UNHCR 2017, 2). In weit über 120 Staaten wird diese Definition der Konvention als geltendes Völkerrecht anerkannt.
Menschen verlassen ihre Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen. Als hauptsächliche Fluchtursache lassen sich hierbei Krieg und Verfolgung anführen. Zumeist handelt es sich dabei um innerstaatliche Bürgerkriege, bei denen machtpolitische Konflikte zwischen den Zentralregierungen und der bewaffneten Opposition oder rivalisierender Milizen gewaltsam ausgetragen werden. In den letzten Jahrzehnten sind weltweit Millionen von Menschen vor solchen Kriegen geflohen oder als ethnische Minderheit vertrieben worden. Diese Kriege unterscheiden sich von den klassischen Kriegen. Neue Kriege werden zwischen Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Staates geführt. Im Gegensatz zu Kriegen, bei denen die Überwindung der gegnerischen Armee verfolgt wird, richten sich Neue Kriege direkt gegen die Zivilbevölkerung. „Obwohl bei diesen […] nur ein Staat betroffen ist, verursachen sie vielfach grenzüberschreitende Flüchtlingsströme“ (Heintze 1999, 59). Ein Beispiel für Kriegsflüchtlinge in Deutschland sind syrische Familien, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland geflohen sind. Viele von ihnen sind aus ihren Häusern vertrieben worden und haben Familienangehörige oder Freunde durch die Gewalt verloren. Auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben sind sie nach Deutschland gekommen. Nach ihrer Ankunft durchlaufen sie in der Regel ein Asylverfahren, um den Status als anerkannte Flüchtlinge zu erlangen. Während dieses Zeitraums werden sie in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, wo sie medizinische Versorgung, Unterkunft und Verpflegung erhalten. Dort erhalten sie auch Informationen über ihr Rechtssystem und die deutsche Kultur. Sobald ihr Asylantrag bewilligt wurde, werden sie in andere Unterkünfte wie Gemeinschaftsunterkünfte oder Wohnungen verlegt. Dort haben sie die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Viele Kinder werden in Schulen eingeschult und haben die Chance auf eine bessere Bildung. Während ihrer Zeit in Deutschland können Kriegsflüchtlinge auch staatliche Unterstützung erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Unterstützung soll ihnen helfen, sich eine stabile Existenz aufzubauen und sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Darüber hinaus gilt Armut, insbesondere Massenarmut, als strukturelle Ursache von Flucht. In diesem Zusammenhang spielt Hunger eine tragende Rolle. Obwohl weltweit genügen Lebensmittel vorhanden sind, um die Gesamtbevölkerung zu ernähren, sterben immer mehr Menschen an ernährungsbedingten Krankheiten. Als Armutsflüchtlinge werden die Menschen bezeichnet, „die aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs von Staaten oder Regionen fliehen bzw. sich auf die Suche nach besseren Lebensbedingungen machen“ (Eid 1999, 70). In der Regel erfolgt die Flucht vor Armut mehrstufig. Zunächst verlassen die Menschen ihre angestammten Wohnsitze, die ihnen mangelnde oder keine Lebensmöglichkeiten mehr bieten. Anschließend ziehen sie in die nächstgelegene Stadt des eigenen Landes. Danach ziehen sie weiter in Nachbarstädte, Nachbarstaaten und andere Regionen des Südens. Bieten sich keine lebenssichernden Perspektiven, suchen sie Zuflucht in den Ländern des Nordens, um nach Arbeit und finanziellem Auskommen zu suchen (vgl. Eid 1999, 70). Ein Beispiel für Armuts- und Hungerflüchtlinge sind die Menschen, die aus ländlichen Regionen in Afrika nach Europa fliehen. Aufgrund von Armut und der Unfähigkeit, ihren Lebensunterhalt zu sichern, entscheiden sich viele Menschen in diesen Regionen dazu, ihre Heimat zu verlassen und in Länder zu ziehen, in denen sie bessere Lebensbedingungen und die Möglichkeit haben, sich und ihre Familien ausreichend zu ernähren.
Als weitere Fluchtursache lässt sich das weltweite Bevölkerungswachstum anführen, das zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen führt. Auch wenn westliche Industriestaaten zum Teil eine höhere Bevölkerungsdichte aufweisen als einige Entwicklungsländer, stellt das Bevölkerungswachstum insbesondere Entwicklungsländer vor eine große Herausforderung. Diese besitzen im Vergleich zur Bevölkerungsdichte viel zu geringe Ressourcen, um menschenwürdig leben zu können (vgl. Eid 1999, 76). Ein starkes Bevölkerungswachstum kann eine Fluchtursache sein, da es zu einer Reihe von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen kann:
Zu den universell geltenden Menschenrechten gehört das Recht auf Achtung des Lebens, das Verbot von Leibeigenschaft, Sklaverei und Folter, der Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug und das Verbot der Diskriminierung aus rassischen sowie religiösen Gründen (vgl. Maier-Borst 1999, 97). Eine Verletzung dieser Menschenrechte bringt Menschen häufig dazu, Sicherheit in anderen Gebieten zu suchen.
Neben Krieg und Verfolgung, Hunger und Armut sowie Menschenrechtsverletzungen gelten auch Umweltzerstörungen als Ursache von Flucht. Übermäßige Umweltverschmutzungen können dazu führen, dass betroffene Gebiete unbewirtschaftbar oder sogar unbewohnbar werden. Die heute weitgehend verlassene Umgebung des Kernreaktors im ukrainischen Tschernobyl ist das bekannteste Beispiel. Aber auch Pestizidrückstände oder die Deposition von Schadstoffen können ein Land unbewohnbar machen. Weitaus mehr Umweltflüchtlinge schafft die schleichende Degradation der Umwelt, welche mit einer Verhinderung der Nutzung von Naturressourcen einhergeht. Auch von Menschen verursachte Naturkatastrophen wie der Klimawandel können dazu führen, dass Gebiete unbewohnbar werden, sodass eine Flucht oftmals die einzige Lösung darstellt (vgl. Biermann 1999, 87 ff.). Langfristige Veränderungen des Klimas, wie steigende Temperaturen, zunehmende Dürren, Überschwemmungen oder verstärkte Stürme können Gründe für eine Flucht hinsichtlich der Umwelt sein. Es kann aber auch auf kurzfristige Ereignisse wie Naturkatastrophen, wie beispielsweise Hurrikane oder Erdbeben, zurückzuführen sein, die durch den Klimawandel verstärkt werden. Es wird geschätzt, dass die Anzahl der Klimaflüchtlinge in den kommenden Jahren erheblich ansteigen wird. Laut einem Bericht des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) waren im Jahr 2020 rund 30,7 Millionen Menschen weltweit aufgrund von Umweltveränderungen und Naturkatastrophen vertrieben.
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Literatur
Biermann, Frank (1999): Stirbt die Natur, flieht der Mensch. Umweltzerstörung als Fluchtursache. In: Hutter, Franz-Joseph/ Mihr, Anja/ Tessmar, Carsten (Hrsg.): Menschen auf der Flucht. Opladen: Leske + Budrich, 87–95.
Eid, Uschi (1999): Armut, Hunger, Überbevölkerung. In: Hutter, Franz-Joseph/ Mihr, Anja/ Tessmar, Carsten (Hrsg.): Menschen auf der Flucht. Opladen: Leske + Budrich, 69–86.
Heintze, Hans-Joachim (1999): Kriege, Flucht Vertreibung. In: Hutter, Franz-Joseph/ Mihr, Anja/ Tessmar, Carsten (Hrsg.): Menschen auf der Flucht. Opladen: Leske + Budrich, 59–68.
Maier-Borst, Michael (1999): Menschenrechtsverletzungen als Fluchtursache. In: Hutter, Franz- Joseph/ Mihr, Anja/ Tessmar, Carsten (Hrsg.): Menschen auf der Flucht. Opladen: Leske + Budrich, 97–112.
UNHCR (2017): Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951. Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967: https://www.uno- fluechtlingshilfe.de/uploads/media/GFK_Pocket_2015_01.pdf [26.03.2020].
Wahrig, Gerhard (2011): Wahrig Deutsches Wörterbuch. 9. Aufl. Gütersloh/ München: Wissen Media.
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Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch von Benjamin Haag geschildert:
Gefährliche Dunkelheit
Eine Studentin aus Mexiko machte ein Auslandssemester in Münster. Eines Abends schlugen wir vor, zu Freunden zu fahren. Sie willigte ein. Da Münster eine Fahrradstadt ist, besorgten wir ihr kurzerhand einen Drahtesel.
Als wir losfahren wollten, war es bereits dunkel. Wir gingen nach draußen und zeigten ihr ihr Fahrrad, doch plötzlich verkündete die Austauschstudentin voller Panik, dass sie nicht auf dieses Rad steigen würde. Sie fing an zu weinen und verweigerte die Fahrradfahrt komplett.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie panische Angst davor hatte, in der Dunkelheit Fahrrad zu fahren. In Mexiko ist es extrem gefährlich, in der Dunkelheit rauszugehen, weil die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, überfallen zu werden.