Traditionen (lat. traditio, zu: tradere) werden im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen und die Kultur in der Geschichte von Generationen, innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft, entwickelt und weitergegeben. Eine alte Tradition, eine Tradition bewahren und an einer Tradition festhalten sind Phrasen, die allen Menschen bekannt sind (vgl. Duden 2015, 1592).
Traditionen sind im historischen Prozess überlieferte Wissensbestände, Fertigkeiten, Bräuche, Überzeugungen und deren Weitergabe. Nicht angeborene Verhaltensweisen und Handlungsmuster werden fortgeführt und weitergegeben. Die Quelle der Geschichte ist die Tradition und das Organ der Tradition ist die Sprache (vgl. Paul 2002, 1012). Außerdem findet sich eine Tradition zwischen mehreren Personen, innerhalb einer Gruppe oder zwischen den Generationen wieder und kann mündlich und schriftlich erfolgen. Besonders durch Erziehung und Vorbildfunktionen werden Traditionen innerhalb der Familie oder einer Gemeinschaft geprägt. Die soziale Gruppe erzielt somit den Status einer Kultur. Sprache, Bewegung und Fertigkeiten sind wichtige Bestandteile der Tradition (vgl. Paul 2002, 1012; vgl. Toynbee 1970, 36).
Die zwei Deutungen der Tradition
Tradition kann einerseits als ‚kulturelles Erbe‘ und andererseits als ‚Tradierung‘ verstanden werden (vgl. Eisenstadt 1979, 148). Unter Tradition als kulturelles Erbe wird die Überlieferung von Wissen, Sitten, Sprache und Fähigkeiten einer Kultur oder Gemeinschaft verstanden. In Arbeits- und Kommunikationsprozessen werden Rituale, Regeln und Wissen von Generation zu Generation weitergegeben und werden somit zu einem kulturellen Erbe, z. B. Bräuche an Feiertagen und auf Hochzeiten. Die Tradition als Tradierung beschreibt hingegen den Prozess der Überlieferung an sich. Normen, Werte, Sprachformen und Vorstellungen werden tradiert und als Traditionsprozess beschrieben (vgl. Duden 2015, 1592).
Traditionen stellen für alle von uns und für jede Kultur etwas anderes dar und können sich über Generationen hinweg verändern. Für den einen ist es Tradition, an Heiligabend in die Kirche zu gehen, für den anderen, samstags ins Stadion zu gehen oder freitags seine Freunde zu besuchen. Tradition ist vielseitig, genauso vielseitig wie jeder Mensch und jede Kultur vielseitig ist. Traditionen zu bewahren, zu halten und weiterzugeben, sind ein Teil unserer Identität.
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Literatur
Duden (2015): Deutsches Universalwörterbuch. 8. Aufl. Berlin: Duden.
Eisenstadt, S. N. (1979): Tradition, Wandel und Modernität. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Paul, Hermann (2012): Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10. Aufl. Tübingen: Niemeyer.
Toynbee, Arnold (1970): Tradition und Instinkt. In: d’Astorg (Hrsg.): Vom Sinn der Tradition. München: Beck.
Tradition – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS
Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht von Benjamin Haag geschildert:
Der Affe oder ich! (Elfenbeinküste)
Als ich noch klein war, reisten meine Eltern und ich regelmäßig an die Elfenbeinküste, in die Heimat meines Vaters, um meine große Familie dort zu besuchen. Ein sehr guter Freund meiner Eltern begleitete uns manchmal.
Um die folgende Geschichte zu verstehen, ist es hilfreich, zu wissen, dass er Vegetarier ist.
Der Freund meiner Eltern war an diesem Tag allein zu Hause. Er bekam Hunger und ging zum Kühlschrank, um sich etwas zu Essen zu holen. Kaum hatte er die Tür geöffnet, ließ er sie hastig wieder zufallen. Der Schreck war ihm in alle Glieder gefahren – denn im Kühlschrank steckte ein nacktes, totes Baby. Völlig aufgelöst erzählte er meinem Vater von seinem Fund.
Es stellte sich heraus, dass es sich um einen toten Affen handelte, den mein Vater tags zuvor von einem Jäger geschenkt bekommen hatte. Da ihm bereits das Fell abgezogen worden war, ähnelte er einem Säugling. Affenfleisch gilt an der Elfenbeinküste als Delikatesse und es war eine ganz besondere Ehrerbietung des Jägers meinem Vater gegenüber, ihm das erlegte Tier zu schenken. Meine Tante brannte darauf, diese Rarität für die Familie zuzubereiten.
Für den Freund meiner Eltern aber war es einfach nur abstoßend, dieses Tier im Ganzen im Kühlschrank zu haben, vor allem wegen des ersten Schocks, den er bei seinem Anblick erlebt hatte. Überhaupt hielt er es für barbarisch, Affen zu essen, vor allen anderen Tieren, weil sie dem Menschen so ähnlich sind.
Für ihn stand fest: der Affe oder ich! Er war bereit, den nächsten Flieger zu nehmen, sollte das Tier nicht umgehend aus dem Kühlschrank verschwinden. Mein Vater redete mit Engelszungen auf ihn ein, doch es half alles nichts: sie mussten das „gute Fleisch“ verschenken, um den Freund zu besänftigen.
Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht