Sprachkontakt, Varietätenkontakt, Transfer, Fremdwort und Lehnwort
Wenn Personen einer Sprachgemeinschaft mehrere Sprachen sprechen, gelten sie als mehrsprachig. Insbesondere Menschen, die bilingual großgeworden sind, verwenden die erlernten Sprachen oft gleichzeitig. Hier führt Mehrsprachigkeit dazu, dass die gesprochenen Sprachen gewissermaßen in Kontakt miteinander stehen. Diese Interaktion besteht ebenso, wenn die Sprachen in ein und derselben Gruppe verwendet werden. Dabei ist es nicht notwendig, dass alle Mitglieder beide Sprachen sprechen. Durch Begegnungsräume wie Klassenverbände, dem jeweiligen Freund:innenkreis oder Sportgruppen werden fremdsprachliche Begriffe und ihre Bedeutungen kennengelernt und gelegentlich adaptiert, auch wenn sie nicht aus der eigenen Sprache stammen. Sprachkontakt kann also als Ergebnis von Mehrsprachigkeit angesehen werden und meint, dass Sprachen sich wechselseitig beeinflussen. Dieses Phänomen bewirkt eine Veränderung der beteiligten Sprachsysteme. Dadurch entsteht Sprachwandel. (Vgl. Riehl, Sprachkontaktforschung S. 12-13)
Varietätenkontakt
Neben dem Sprach- gibt es den sogenannten Varietätenkontakt. Als Varietäten werden beispielsweise Dialekte bezeichnet. Sprecher:innen lernen zuerst den Dialekt und meist erst ab der Schulzeit die Standardsprache, welche im Deutschen das ‚Hochdeutsch‘ ist. Das Phänomen der gegenseitigen Beeinflussung liegt hier ebenfalls vor. (Vgl. Riehl, Sprachkontaktforschung S. 13-14)
Transfer
Durch Sprachkontakt entsteht die Situation, dass bestimmte Muster und Elemente von einer Sprache in eine andere übernommen werden. Bei Elementen kann es sich beispielweise um Wörter handeln, die in den Wortschatz (=Lexik) übernommen werden. Unter Muster wird eine andere Art der Aussprache oder des Satzbaus verstanden. (Vgl. Riehl, Sprachkontaktforschung S. 35)
Fremdwörter versus Lehnwörter
Beim Transfer von Wörtern, also der Übernahme von Wörtern einer Sprache in eine andere, wird von Fremdwörtern oder Lehnwörtern gesprochen. Fremdsprachliche Einflüsse im Deutschen stammen heutzutage insbesondere aus dem Englischen. Beispiele dafür sind Anglizismen wie ‚Background, Date, Bike‘ oder ‚Entertainer‘. Diese Wörter lassen sich auch mit deutschen Begriffen bezeichnen, weshalb sie Fremdwörter genannt werden. Manchmal aber werden Wörter so gut in eine Sprache integriert, dass nicht mehr zu erkennen ist, dass sie ursprünglich aus einer anderen Sprache kamen. Dazu lässt sich die ‚Nase‘ nennen, die aus dem Lateinischen stammt. Der ursprüngliche deutsche Begriff ‚Gesichtserker‘kommt den meisten Sprecher:innen seltsam vor. Das Wort ‚Nase‘ ist also als Lehnwort zu bezeichnen, da es sich komplett in den Sprachgebrauch integriert hat. Kriterien dafür, ob ein Wort als Fremdwort oder Lehnwort angesehen wird, sind vielfältig, weshalb die Unterscheidung nicht immer eindeutig zu treffen ist. (Vgl. Riehl, Sprachkontaktforschung S. 39)
Es spielen viele Faktoren eine Rolle, die für die Unterscheidung herangezogen werden können. Zunächst kann überprüft werden, ob es Synonyme gibt, die sich ebenfalls verwenden lassen. Das schon häufiger genutzte Wort ‚Bike‘ kann ebenfalls mit ‚Fahrrad‘ bezeichnet werden.
Eine weitere Differenzierung lässt sich anhand der Pluralendungen vornehmen. Werden die Wörter in der Mehrzahl so genannt wie in der Herkunftssprache, handelt es sich vornehmlich um Fremdwörter. Sind sie an die deutschen Endungen angepasst, kann von Lehnwörtern ausgegangen werden. Typisch für englische Pluralendungen ist das ‚-s‘, welches sich noch bei dem Begriff ‚die T-Shirts‘ finden lässt. Des Weiteren sind Anpassungen der Aussprache zu beachten. So liegt die Betonung des Wortes ‚Büro‘ beispielweise auf dem ‚o‘ am Ende, was untypisch für das Deutsche ist. Das Wort stammt aus dem Französischen und dieser fremde Akzent wurde übernommen. Ebenso wichtig ist, ob das Wort nur von bestimmten Gruppen gesprochen wird oder sich bereits im gesamten Sprachgebrauch (in allen Altersgruppen, Bildungsschichten und Regionen) verbreitet hat. (Vgl. Riehl, Sprachkontaktforschung S. 39-40)
Sprachkontakt im Deutschen
Die europäischen Sprachen wurden von einem ständigen Sprach- und Kulturkontakt und deren gegenseitiger Beeinflussung begleitet. Aus diesem Grund wurden im Deutschen viele Wörter aus anderen Sprachen übernommen. Im Laufe der Geschichte gab es zu manchen Kulturen und dessen Sprachen besonders enge Kontakte, weshalb sie einen besonders großen Einfluss hatten. Eine erste Kontaktphase gab es bereits zwischen dem römischen Imperium und den German:innen. Die German:innen lernten damals viel Neues kennen und übernahmen beispielsweise Gegenstände und deren Namen in ihre Kultur. So bauten sie ursprünglich Häuser ohne Fenster, weshalb es diesen Begriff in ihrem Wortschatz nicht gab. Durch den Kontakt zur römischen Kultur übernahmen sie also dessen Erfindung und die jeweiligen Wörter aus dem Lateinischen. Weitere Beispiele sind ‚Straße, Markt oder Pfeffer‘. (Vgl. Riehl, S. 200, 202)
Im Mittelalter fanden weitere lateinische Begriffe durch die Schriftkultur der Klöster und Kirchen in das Althochdeutsche. Selbst das Schreiben war neu, da vorher Runen in Holz geschnitzt wurden. Neben dem Wort ‚schreiben‘ setzten sich ebenfalls die Begriffe ‚Kloster, Arzt, Tinte‘ oder ‚Zwiebel‘ durch. (Vgl. Riehl, S.202-203)
Bis zum 14. Jahrhundert wurde die Sprache von der französischen Kultur beeinflusst, wodurch Wörter wie ‚Turnier, Tanz‘ oder ‚Melodie‘ ihren Weg ins Mittelhochdeutsch fanden. (Vgl. Riehl, S. 205)
Anschließend ereignete sich eine dritte Welle des lateinischen Einflusses, in der Latein die Sprache an den Universitäten wurde. Es wurde bis ins 17. Jahrhundert hinein nicht nur geschrieben, sondern auch gesprochen. Ein großer Unterschied zu heutiger Mehrsprachigkeit liegt darin, dass niemand Latein als Muttersprache konnte, sondern jede:r es als Zweitsprache erlernte, da es kein sprachliches Herkunftsland gab. Bis dahin wurden viele Begriffe übernommen. Dazu zählen die Wörter ‚Universität, Humanität, Text, diskutieren‘ oder ‚Prozess‘. Auch deutsche Monatsnamen wurden ersetzt. So hieß der Monat ‚Juli‘ vorher ‚Heumonat‘ und ‚Dezember‘ ‚Christmonat‘. (Vgl. Riehl, S. 207)
Im 18. Jahrhundert gab es erneut einen französischen Einfluss als Sprache der Höfe, in dem sich heute alltägliche Wörter wie ‚Mode, Balkon, Omelette, Tasse, Parfüm‘ oder ‚Sofa‘ in die deutsche Sprache integrierten. (Vgl. Riehl, S. 211)
Der Einfluss des Englischen setzt ab dem 17. und 18. Jahrhundert ein. Später im 19. Jahrhundert verstärkte er sich durch die industrielle Revolution und die beginnende Demokratisierung. Gerade im Bereich des Verkehrs und der Presse gab es viele neue Errungenschaften und somit auch Wörter, die ins Deutsche übernommen wurden. Dazu zählen ‚Partner, Interview, Reporter, Film, Song, Pullover, tanken‘ oder ‚Manager‘. (Vgl. Riehl, S. 213-214)
Neben den starken Spracheinflüssen von Latein, Französisch und Englisch lassen sich jedoch auch Wörter aus anderen Sprachen finden (Vgl. Pfeifer):
Roboter – Tschechisch: künstlicher (Maschinen)mensch; Automat, der ferngesteuert oder programmiert bestimmte Tätigkeiten ausführt
Marmelade – Portugiesisch: eingedickter, süßer Brotaufstrich aus Obst oder Beeren
Sauna – Finnisch: Heißluftbad
Lama – Ketschua-Mundarten (indigene Sprachen aus Peru): Name der südamerikanischen Kamelart, des höckerlosen Schafkamels
Gulasch – Ungarisch: Gericht aus Fleischwürfeln mit scharf gewürzter Soße
Schlamassel – Jiddisch: unangenehme Situation, Unglück, Missgeschick
Fata Morgana – Italienisch: durch bestimmte atmosphärische Bedingungen erzeugte Luftspiegelung, Trugbild, Sinnestäuschung, Wunschbild
Basar – Persich: orientalischer Markt; Warenverkauf, dessen Erlös für Aktionen der Hilfe oder Solidarität verwendet wird
Bambus – Malaiisch: (sub)tropisches Rohrgras
Joghurt – Türkisch: durch bakterielle Gärung gesäuerte dicke Milch
Manche dieser Wörter fanden ihren Weg über andere europäische Sprachen ins Deutsche, welche mit der Entdeckung und Kolonialisierung anderer Teile der Welt sowie der zunehmenden kulturellen Vernetzung einhergingen. Anzuerkennen bleibt, dass der Kultur- und Sprachkontakt bis heute unsere Sprachen beeinflusst.
Hier geht es zum Überblick aller Lexikonartikel…
Literatur
Pfeifer, Wolfgang u.a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/d/wb-etymwb [30.03.21].
Riehl, Claudia Maria: Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. 3. korr. Aufl. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG 2014.
Sprachkontakt – Schreibung, Definition, Bedeutung, Synonyme, Beispiele | DWDS
A true intercultural incident is described in the book Intercultural stories: Human encounters from all over the world – funny, instructive, true to life:
The sound makes the music
My uncle is married to a Chinese woman. He often tells the story of how they went on a trip to China as newlyweds and he met his in-laws for the first time in Beijing. He was very excited and memorized a greeting phrase in Chinese in advance. The phrase he had memorized contained the Chinese word for mother („ma“). However, after this first greeting, the elderly lady, who came from a modest background, seemed strangely stiff and distant.
When my uncle had a moment to talk to his wife in private shortly afterwards, she told him with amusement that he had pronounced the word „ma“ completely wrong. Depending on the pronunciation, the word also means „horse“ as well as „mother“.