Kulturstandards sind nach Thomas die zentralen Kennzeichen einer Kultur. Sie fungieren als Orientierungssystem des Wahrnehmens, Denkens und Handelns. Es handelt sich um Verhaltenserwartungen, die von der Mehrheit der Mitglieder einer Kultur geteilt werden. Kulturstandards dienen den Personen eines Kulturkreises als Orientierung für das eigene, aber auch für fremdes Verhalten. Sie wirken dabei als Maßstäbe, Gradmesser, Bezugssysteme und Orientierungsmerkmale, anhand derer Verhalten gemessen und eingeordnet werden kann.
Kulturstandards werden von den Mitgliedern eines Kulturkreises, sobald sozialisiert, i. d. R. nicht mehr bewusst wahrgenommen. Sie sind routinisiert und werden nur noch in Überschneidungssituationen mit Kulturstandards anderer Kulturkreise deutlich.
Für die Einordnung können verschiedene Kategorien angenommen werden. Diese Kategorien können als normal, typisch, noch akzeptabel oder abzulehnen bezeichnet werden. Eine klare Einordnung in die Kategorien ist möglich, da die Kulturstandards aus einer zentralen Norm und einem Toleranzbereich bestehen. Die zentrale Norm gibt den Idealwert des Verhaltens an, der von den meisten Mitgliedern des Kulturkreises geteilt wird. Der Toleranzbereich hingegen bildet die noch zu akzeptierende Abweichung von der zentralen Norm. Die Abweichung entsteht durch stark heterogene Ansichten, die auch innerhalb eines Kulturkreises vorherrschen können. Kulturstandards können neben allgemeinen Werten auch deutliche Verhaltensvorschriften umfassen.
Je nach Kulturkreis werden die Kulturstandards zudem als verschieden stark bindend empfunden. Dies bedeutet auch, dass Standards nicht als allgemeingültig gesehen werden können. Sie bilden zu keinem Zeitpunkt eine Blaupause für angemessenes Verhalten in einem fremden Kulturraum. Kulturstandards sind überdies dynamisch, d. h. sie unterliegen Veränderungen. Dies ist das Phänomen des so genannten kulturellen Wandels.
Trotzdem werden Kulturstandards in der Praxis vor allem als Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt genutzt. Dabei werden Unterschiede innerhalb der Kulturstandards angesprochen. Besonders die Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild sind im Hinblick auf den Auslandsaufenthalt wichtig und können helfen, sich im neuen Kulturkreis zurechtzufinden.
Die Bestimmung von Kulturstandards erfolgt in zwei Schritten. Zunächst werden Interviews mit Mitgliedern des jeweiligen Kulturkreises durchgeführt. Die Mitglieder des Kulturkreises treffen Aussagen über ihre eigene Kultur. Im zweiten Schritt werden diese Aussagen mit Aussagen über die Kultur von Mitgliedern eines anderen Kulturkreis verglichen. Aus den Interviews ergibt sich ein Bild aus Aussagen von Personen innerhalb und außerhalb des Kulturkreises, dessen Kulturstandards ermittelt werden sollen. Nicht nur die eigene Wahrnehmung wird in die Kulturstandards aufgenommen, sondern auch eine Fremdwahrnehmung. Somit werden die Kulturstandards um eine wichtige Dimension erweitert.
Die Idee der Kulturstandards wird durchaus kritisch gesehen. Die Standardisierung setzt nämlich Grenzen voraus. Kritiker bringen an, dass Kultur keine festen Grenzen besitzt. Dadurch kann es auch nur bedingt zu messbaren, verlässlichen Ergebnissen kommen. So gesehen dürfen Kulturstandards lediglich als Tendenz, aber nicht als feste Größen angesehen werden.
Hier geht es zum Überblick aller Lexikonartikel…
Literatur
Gaitanides, Stefan: Dynamischer Kulturbegriff und Kulturstandards. Im Kontext interkultureller Überschneidungssituationen im Einwanderungsland. http://www.fb4.fh- frankfurt.de/whoiswho/gaitanides/Einf_Kulturbegriff_standards_3.pdf [21.08.2018].
Krewer, Bernd/ Jäger, Georg (1990): Kulturelle Identität und die subjektive Verarbeitung historischer Ereignisse. In: Belscher, W./ Grubitzsch, S./ Lescynski, C./ Müller-Doohm, S. (Hrsg.): Wem gehört die Heimat. Opladen: Leske & Budrich.
Reisch, Bernhard: Kultur und Kulturstandards. Ein Beitrag zum Impulstag
„Interkulturelle Managementkompetenz“. http://www.ifim.de/reports/kultur_kulturstandards.pdf [21.08.2018].
Thomas, Alexander (2009): Kultur und Kulturstandards. In: Thomas, Alexander/ Kinast, Eva- Ulrike/ Schroll-Machl, Sylvia (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Band 1: Grundlagen und Praxisfelder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 19–31.
Weiterführendes Lernmaterial: Interkulturell kompetent kommunizieren und handeln
Wahre interkulturelle Begebenheiten werden in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht von Benjamin Haag geschildert:
Ein Zeichen der Höflichkeit
An unserem ersten Abend in China gingen wir zu viert essen. Auf einer runden Platte in der Tischmitte wurden vier verschiedene Speisen serviert. Nachdem wir eine Weile hilflos versuchten, mit Stäbchen zu essen, fragte ein Mitglied unserer Gruppe nach Besteck – mittels des Wortes Bitte auf Chinesisch und einer Zeichnung von Besteck. Die Bedienung verstand sofort, nickte und lächelte. Kurz darauf brachte sie uns normales Besteck, sodass wir erfreut weiter essen konnten.
Dann fragten wir mit den Worten Bitte und Reis auf Chinesisch freundlich nach Reis. Die Kellnerin lächelte und nickte. Nach einiger Zeit waren die ersten Platten geleert. Überraschenderweise wurde eine neu gefüllte Platte gebracht. Der Reis war aber immer noch nicht da. Abermals fragten wir nach dem Reis. Die Kellnerin nickte und lächelte wieder. Wir nahmen an, dass sie es vergessen hatte und uns den Reis gleich bringen würde. Da wir nur vier Gerichte bestellt hatten, versuchten wir zu verdeutlichen, die volle Platte nicht bestellt zu haben. Unser Versuch, diese an die Kellnerin zurückzugeben, führte dazu, dass man das Gericht gegen ein anderes austauschte. Wir beschlossen, uns nicht weiter mit diesem Missverständnis herumzuschlagen und aßen weiter.
Auch die zweite geleerte Platte wurde gegen eine neue ausgetauscht. Wir entschieden uns, auch dieses Gericht nicht mehr zu essen, da wir keine sechs Gerichte bestellt hatten und diese auch nicht bezahlen wollten. Nachdem wir völlig satt waren, brachte man uns endlich den Reis. Es standen nun noch drei gefüllte Teller auf dem Tisch, die wir nicht angerührt hatten. Auch ein Nachtisch wurde gebracht, welchen wir aber stehen ließen. Die Bedienung reagierte verwirrt, als wir den Nachtisch ignorierten. Wider Erwarten mussten wir nur die vier ursprünglich bestellten Gerichte bezahlen.
Der Reiseleiter erklärte uns, dass es in China üblich sei, als Zeichen des Sattseins etwas auf den Tellern liegen zu lassen. Ansonsten werde in guten Restaurants Nachschub gebracht. Wir aßen die Teller allerdings aus Zeichen der Höflichkeit komplett leer.
Verbotener Ort
Ich war vor drei Jahren mit einem Kurs aus der Schule auf einer geführten Rundreise durch Israel. Während unseres Aufenthalts in Tel Aviv erzählte uns unser Guide, dass nicht weit von unserem Hostel ein Viertel streng orthodoxer Juden sei. Er bot uns an, dieses anzuschauen, da es eine neue Erfahrung für alle sein würde. Der Guide wies uns im Voraus darauf hin, wie wir uns zu verhalten hatten: Jungen und Mädchen sollten getrennt und in Gruppen von nicht mehr als fünf Leuten hineingehen, da sich die streng orthodoxen Juden sonst schnell unwohl und bedroht fühlen würden. Als wir in dem Viertel waren, gingen wir auf der rechten Seite auf dem Bürgersteig, dann sahen wir schon von Weitem, dass uns ein orthodoxer Jude auf unserer Seite entgegenkam. Sobald er uns sah, wechselte er sofort die Straßenseite und hatte sein Gesicht die ganze Zeit von uns weggedreht. Diese Erfahrung machten alle Kleingruppen. Einer fing auch an, uns von der anderen Straßenseite mit weggedrehtem Gesicht zu beschimpfen. Man hatte das Gefühl, einen verbotenen Ort betreten zu haben.
Bei Beduinen
Während desselben Aufenthaltes in Israel verbrachten wir mit unserer Gruppe zwei Nächte in der Wüste bei Beduinen. Wir schliefen wie sie auf Teppichen in Zelten und aßen mit ihnen. Die erste gemeinsame Mahlzeit war das Abendessen. Sie kochten für uns ein Hühnchen, Gemüse und selbstgemachtes, ganz dünnes Brot. Sie baten uns, sich zu ihnen auf den Boden zu setzen. Als das Essen für alle in der Mitte serviert wurde, begann keiner anzufangen. Wir waren uns nicht sicher, wie wir es essen sollten, da uns kein Besteck zur Verfügung stand. Die Beduinen schauten uns verwundert an und dachten, dass uns das Essen nicht gefalle und wir es nicht essen wollen. Sie selbst wiederum fingen nicht an, sich zu bedienen, da sie uns, ihren Gästen, den Vortritt lassen wollten. Erst als unser Guide dazu kam, fing er an zu essen und erklärte uns, dass man das Gemüse mit dem Brot greife und zusammen in den Mund stecke. So wurde die unangenehme Situation letztlich aufgelöst und allen schmeckte das Essen sehr gut.
Katze mit Schokolade
Ich unterrichte schon seit vielen Jahren Spanisch und Französisch, habe in beiden Ländern auch längere Zeit gewohnt. Doch bei meinem letzten Besuch in Madrid ist mir etwas passiert, worüber ich noch heute lachen muss.
In einer kleinen Bäckerei wollte ich Kuchen für den kommenden Tag bestellen. Ich wollte gerne einen ganzen Kuchen haben, denn meine Nichte hatte Geburtstag. Die Verkäuferin guckte mich sehr irritiert an und fragte nach, was genau ich haben wolle. Ich sagte ihr abermals, dass ich gerne einen ganzen Kuchen hätte, am liebsten mit Schokolade. Die Dame guckte mich weiterhin nur sehr befremdlich an. Ich fragte sie, welche Auswahl sie hätten und wann ich den Kuchen am nächsten Tag abholen könne. Die Dame guckte immer noch sehr irritiert und langsam wurde sie böse. Sie begann, mir langsam und wie mit einem Kranken sprechend zu erklären, dass sie keinen Kuchen hätten. Sie würden Plätzchen verkaufen und Brötchen.
Nun war ich diejenige, die sich komisch vorkam. In der Auslage vor mir befanden sich Kuchen, genau solche, die ich auch für den Geburtstag haben wollte. Ich zeigte auf den Kuchen und sagte ihr, dass da doch welcher sei und ich so einen für den Folgetag auch haben wolle. Sie guckte mich an und sagte, das sei ein Kuchen. Sie lachte und erklärte mir, dass ich eine Katze (el gato) mit Schokolade bestellt hatte. Und erst da fiel mir auf, dass ich das französische Wort für Kuchen (gâteau) benutzt hatte und nicht das spanische. Das französische Wort klingt sehr ähnlich, allerdings bedeutet es im Spanischen Katze.