„Als eine Form des sozialen, handlungsorientierten und emotionalen Lernens vermittelt es Einsichten in unterschiedliche Lernformen, und zwar soll es in der Form kultureller Vergleiche sowohl zu einer genaueren Analyse und Relativierung der eigenen Normen und Sozialsysteme als auch zum Abbau von Vorurteilen und ethnozentrischen Einstellungen führen.“ (Rinschede 2007)
Das Thema Multikulturalität steht immer mehr im Vordergrund, sodass eine Vielzahl an Vorannahmen über das Phänomen der Interkulturalität vorherrschen. Das Interkulturelle Lernen greift diese Problematik auf und setzt sich als Ziel das Bewusstsein für Interkulturalität zu schärfen. Gestützt auf dem Interkulturellen Ansatz, soll das Konzept den Erwerb von interkultureller Kompetenz ermöglichen.
Erklärungsansätze
„Der interkulturelle Ansatz […] geht davon aus, dass es angebliche und faktische Kulturunterschiede gibt, bei deren Zusammentreffen es zu Unwissenheit, Missverständnissen und Probleme kommt oder sogar Vorurteile zu Tage treten“ (Ouelsati 2013, 25). Das Interkulturelle Lernen wird als Prozess mit der Absicht begriffen, diesen Stereotypen entgegenzuwirken. Als Definition von Interkulturellem Lernen schlägt Weidemann zwei Thesen vor:
1. „Interkulturelles Lernen bezeichnet psychische Veränderung aufgrund von Erfahrungen kultureller Differenz;
2. Interkulturelles Lernen bezeichnet psychische Veränderungen, die sich auf eine veränderte Wahrnehmung von und einen veränderten Umgang mit kultureller Differenz beziehen“ (Weidemann 2007, 495).
Die beiden Definitionen beziehen sich auf unterschiedliche Berührungspunkte mit Interkulturalität. In der ersten Definition wird der Lernprozess durch eine Veränderung des Denkens aufgrund subjektiver Berührungspunkte angestoßen, während die zweite sich mit einer veränderten Wahrnehmung und einem Umgang unabhängig von eigenen Erfahrungen befasst. Zu den Erfahrungen, die interkulturelle Kompetenz fördern, zählen beispielsweise Auslandsaufenthalte.
Der Vermittlungsprozess findet hauptsächlich in den schulischen Institutionen statt, in denen sich am stärksten mit dem Prozess des Lernens auseinandergesetzt wird. Dennoch werden Kompetenzschulungen heutzutage „insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Politik“ (Bolten 2007, 89) angeboten. Die Lerninhalte sind flexibel und werden an die Gruppe der Lernenden angepasst. Ziel ist es, die fremden Kulturen ebenso wie die eigene anzuerkennen und von einer kulturellen Pluralität auszugehen, da der „Mensch […] Träger unterschiedlicher Kulturen und Identitäten“ (Hartung/ Nöllenburg/ Deveci 2013, 8) ist. Die Menschen treten sich mit unterschiedlichen Wertehaltungen, Vorstellungen sowie Wahrnehmungsformen gegenüber, weshalb Handlungen anderer Personen innerhalb von kurzer Zeit als ihnen kulturell bekannt bzw. fremd eingeordnet werden (vgl. Ouelsati 2013, 25).
Das Bewusstsein über die Differenzen und das daraus resultierende Handeln formt die interkulturelle Kompetenz. Der dabei entstehende interkulturelle Handlungsprozess ist fortwährend und stets im Wandel.
Ein gutes Beispiel für interkulturelles Lernen im Alltag ist das Essen in verschiedenen Restaurants mit unterschiedlichen kulinarischen Traditionen. Wenn Menschen sich entscheiden, ein Restaurant zu besuchen, das eine andere kulturelle Küche anbietet als die, mit der sie aufgewachsen sind, haben sie die Möglichkeit, neue Geschmackserlebnisse zu entdecken und gleichzeitig etwas über die Essgewohnheiten und Traditionen einer anderen Kultur zu lernen. Angenommen, eine Gruppe von Freunden, die in Deutschland leben, beschließt, ein koreanisches Restaurant auszuprobieren. Sie haben noch nie koreanisch gegessen, sind aber neugierig und offen für neue Erfahrungen. Als sie das Restaurant betreten, fällt ihnen sofort auf, dass die Einrichtung, die Musik und die Tischsitten anders sind als in deutschen Restaurants. Sie nehmen Platz und schauen sich die Speisekarte an, die mit koreanischen Gerichten gefüllt ist, von denen die meisten noch nie etwas gehört haben. Sie beschließen, verschiedene Gerichte zu bestellen, um eine Vielfalt an Aromen und Zutaten zu probieren. Als das Essen serviert wird, stellen sie fest, dass es anders aussieht als das, was sie normalerweise in Deutschland essen. Sie sind etwas unsicher, wie sie die verschiedenen Gerichte richtig essen sollen, aber sie beobachten die anderen Gäste und versuchen, deren Verhalten nachzuahmen. Beim Probieren sind sie überrascht über die ihnen bisher unbekannten Geschmacksrichtungen und Gewürze. Sie geben sich gegenseitig Tipps und tauschen ihre Meinungen über die verschiedenen Gerichte aus. Sie fragen den Kellner nach den Zutaten und der Zubereitung der Speisen, um mehr darüber zu erfahren und ihr Wissen über die koreanische Küche zu vertiefen. Nach dem Essen haben sie das Gefühl, dass sie nicht nur leckeres Essen genossen, sondern auch etwas über die koreanische Kultur gelernt haben. Sie haben verstanden, dass Essen in Korea oft ein Gemeinschaftserlebnis ist, bei dem viele verschiedene Gerichte geteilt und von allen genossen werden. Sie haben auch gelernt, dass in der koreanischen Küche oft fermentierte Lebensmittel wie Kimchi verwendet werden, um den Gerichten einen besonderen Geschmack zu verleihen.
Dieses Beispiel zeigt, wie ein einfacher Restaurantbesuch zu einer interkulturellen Lernerfahrung werden kann. Durch die Offenheit und Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, konnten die Freunde nicht nur neue kulinarische Erfahrungen sammeln, sondern auch etwas über die koreanische Kultur und Essgewohnheiten lernen. Solche Alltagserfahrungen können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, Verständnis für andere Kulturen zu entwickeln und interkulturelle Sensibilität zu fördern.
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Literatur
Bolten, Jürgen (2007): Interkulturelle Kompetenz. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.
Hartung, Regine/ Nöllenburg, Katty/ Deveci, Özlem (2013): Vorwort. In: ders. (Hrsg.): Interkulturelles Lernen. Ein Praxisbuch. Schwalbach am Taunus: Debus Pädagogik.
Nothnagel, Steffi (2018): Interkulturelles Lernen. Die Rekonstruktion kultureller Differenzerfahrung auf Basis narrativ-biographischen Längsschnittstudien. In: Sabisch, K./ Sorensen, E./ Straub, J. (Hrsg.): Schriftenreihe Kultur, Gesellschaft, Psyche. Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien. Bd. 12. Bochum: Bochumer Universitätsverlag.
Ouelsati, Ramses Michael (2013): Interkulturelle Bildung in der Schule. In: Hartung, Regine/ Nölleburg, Katty/ Deveci, Özlem (Hrsg.): Interkulturelles Lernen. Ein Praxisbuch. Schwalbach am Taunus: Debus Pädagogik, 22–35.
Rinschede, Gisbert (2007): Geographiedidaktik. Paderborn: Schöningh.
Schrüfer, Gabriele (2012): Interkulturelles Lernen. Schritte auf dem Weg zur interkulturellen Sensibilität. In: Praxis Geographie 11, 10–11.
Weidemann, Doris (2007): Akkulturation und Interkulturelles Lernen. In: Straub, Jürgen/ Weidemann, Arne/ Weidemann, Doris (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Grundbegriffe – Theorien – Anwendungsfelder. Stuttgart/ Weimar: Metzler, 488–498.
Interkulturelles Lernen – Definition | anderskulturelle Perspektiven (ikud.de)
Transkript zum Erklärfilm
Das Interkulturelle Lernen setzt sich als Ziel, das Bewusstsein für die kulturelle Vielfalt zu schärfen. Interkulturelle Kompetenzen sollen durch interkulturelles Lernen gefördert werden, indem kulturelle Differenzen sichtbar gemacht werden. Dennoch werden sowohl fremde Kulturen als auch die eigene Kultur anerkannt. Dies soll Stereotypen entgegenwirken. Interkulturelles Lernen findet hauptsächlich in schulischen Institutionen statt. Allerdings werden Kompetenzschulungen heutzutage zunehmend auch in den Bereichen Wirtschaft und Politik angeboten.
Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht geschildert:
Dumm gelaufen
Meine Freunde und ich gingen während unserer Studienfahrt in Paris in einem Supermarkt einkaufen. Wir nahmen zunächst mehrere Baguettes mit und wollten anschließend noch verschiedene Beläge (Käse/Marmelade/Fleisch) kaufen. Da zwei Mitglieder unserer Clique aus persönlichen und religiösen Gründen aus dem Fleischsortiment nur Geflügelsorten aßen und wir nichts Falsches von der Theke mitnehmen wollten, schlug ich vor, eine der Lebensmittelverkäuferinnen zu fragen, welcher Aufschnitt vom Geflügel sei. Ein Kumpel von uns nahm allen Mut zusammen und begann trotz schlechter Französischkenntnisse einen Satz zu formulieren: „Entschuldigen Sie, könnten Sie uns helfen? Wir möchten für unsere Freunde … kaufen.“ Uns war weder bekannt, was Geflügel noch was Hähnchen auf Französisch heißt. Während wir noch überlegten, um vielleicht doch noch auf die Vokabeln zu kommen, sagte ein Kumpel fatalerweise: „Und Pute?“ Daraufhin war die Verkäuferin sehr erbost und wollte uns aus dem Geschäft werfen. Später erfuhren wir, dass Pute im Französischen Nutte bedeutet.
Kloklopfen
Während meines sechsmonatigen Studienaufenthaltes in Spanien teilte ich mir mit einer Spanierin, einer Argentinierin und einer Südkoreanerin eine Wohnung. Eines Abends machte ich mich ausgehbereit und wollte noch einmal kurz in unser Badezimmer, um mein Parfum zu holen. Doyeon, die Südkoreanerin, ging wie jeden Abend früh schlafen und putzte sich gerade die Zähne, als ich an der Badezimmertür anklopfte und fragte, ob ich kurz eintreten könne. Statt einer Antwort oder dem Öffnen der Tür klopfte Doyeon zurück. Darüber wunderte ich mich sehr und klopfte noch einmal. Nach wiederholtem Zurückklopfen war ich mir sicher, dass sie einen Scherz machte und teilte ihr mit, dass ich nun reinkäme. Ich öffnete die Tür. Sie erschrak so sehr, dass sie mir die Tür mit voller Wucht entgegenschlug.
Als ich Doyeon am nachfolgenden Tag traf, war sie mir gegenüber sehr kalt und beachtete mich kaum. Ich entschuldigte mich bei ihr, ohne eigentlich recht zu wissen, weshalb ich sie an jenem Abend so verärgerte. Daraufhin erklärte sie mir, dass das Zurückklopfen in Südkorea bedeutet, es sei besetzt.