Indigenes Wissen, in der Literatur häufig auch als traditionelles Wissen bezeichnet, definiert „Wissen über medizinische oder sonstige nützliche Eigenschaften biologischer Vielfalt, das oft seit Generationen in einer bestimmten oder in mehreren Gemeinschaften vorhanden und Teil der kulturellen Identität dieser Gruppen ist“ (von Hahn 2004:,7 f.). Das Wort indigen stammt vom lateinischen indu- „ein“ und -genus „geboren“ ab (vgl. Duden Online). Zusammengesetzt steht indigen also für eingeboren. Eine einheitliche und vor allem juristische Definition, über welche Bereiche sich das indigene Wissen erstreckt und welche Rechte mit der Nutzung einhergehen, ist nicht bekannt. Dennoch geht es grundsätzlich um die Bereiche „Heilkunde, Landwirtschaft, Religion, Riten und vieles mehr“ (Deacon 2012).
Traditionell verankert – ein Kreislauf
Das indigene Wissen gilt als traditionelles Wissensgut, welches Urvölker seit Jahrzehnten durch Beobachtungen und Erfahrungen gesammelt haben. Es spielt im alltäglichen Leben und vor allem bei Tätigkeiten eine wichtige Rolle, da es als Sammlung von Kenntnissen Entscheidungen beeinflussen kann (vgl. ebd., 11). Dieser Prozess ist vergleichbar mit einem Kreislauf, indem das gelernte Wissen immer wieder an die folgenden Generationen weitergegeben wird (vgl. Homann 2005, 24). Die Form der kontinuierlichen Weitergabe begünstigt die Verbreitung und ebenso die Anpassung des Gelernten. Ausschlaggebend dafür ist vor allem, dass die Übermittlung zu großen Teilen mündlich erfolgt und die Inhalte mithilfe der Sprache veränderbar sein können (vgl. von Hahn 2004, 9).
Traditionelles Wissen steht nach dem konstruktivistischen Ansatz wie das allgemeine Wissen eines Individuums ständig im Wandel und wird als flexibles Konstrukt betrachtet. Vorhandene Umweltbedingungen nehmen Einfluss, sodass das es an die jeweiligen Bedingungen angepasst wird. Folglich ist das indigene Wissen keine starre Einheit, sondern ein wandelbares Konzept, welches über mehrere Jahrhunderte hinweg existieren kann, aber immer einen Teil seiner ursprünglichen Form behält.
Der „Erhalt der kulturellen Integrität“ (ebd.) ist das Bestreben der indigenen Völker. Aufgrund seiner Wandelbarkeit ist es notwendig, dass ein gewisses Maß an Tradition bewahrt und geschützt wird. „Traditionelles Wissen ist an einen spezifischen geographischen und kulturellen Kontext gebunden, sodass sich das Wissen nicht ohne Weiteres außerhalb der jeweiligen Gemeinschaft nutzbar machen lässt“ (ebd., 14). Die geographische Gebundenheit an eine Lebensweise und gleichzeitig auch an einen Standort hat zur Folge, dass das indigene Wissen nur noch eingeschränkt anwendbar oder sogar unbrauchbar wird. Ein beträchtlicher Teil eines solchen Wissens ist bei indigenen Völkergruppen verortet, die meistens zu den Minderheiten in einer Bevölkerung zählen. Sie stehen in einem engen Verhältnis mit ihrer Umwelt.
Stellenwert in der Bevölkerung
Das indigene Wissen stellt für die allgemeine Bevölkerung eine Sammlung an traditionellem Wissen dar, welches besonders in der Pharmaindustrie zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ähnlich überträgt sich dies auch in andere Bereiche. Neben dem Nutzen für die Gesamtbevölkerung, ergeben sich dennoch Probleme für die indigene Gemeinschaften. Diese haben nicht die Möglichkeit, ihr Wissen patentieren zu lassen, wodurch es nicht als eingeschränktes Wissensgut zu betrachten ist und Ausbeutung zur Folge haben kann.
Außerdem ist Indigenes Wissen für die allgemeine Bevölkerung aus verschiedenen Gründen von Bedeutung:
1. Nachhaltigkeit und Umweltschutz: Indigene Völker leben oft im Einklang mit der Natur und haben über Generationen Wissen und Praktiken entwickelt, um die Umwelt nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Ihr Wissen über Pflanzenheilkunde, nachhaltige Landwirtschaft und Naturschutz ist von unschätzbarem Wert für die Bewältigung der heutigen Umweltprobleme.
2. Kulturelle Vielfalt und Identität: Indigenes Wissen ist eng mit der Kultur und Identität indigener Völker verbunden. Es umfasst ihre Sprachen, Bräuche, Mythen und Traditionen. Die Bewahrung indigenen Wissens trägt dazu bei, die kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu fördern.
3. Bewahrung des Weltwissens: Indigene Völker verfügen über einzigartiges Wissen über ihre Umwelt, ihre Gemeinschaften und ihre historischen Erfahrungen. Dieses Wissen ist Teil des globalen Kulturerbes und trägt zur Bereicherung des Weltwissens bei.
4. Anpassung an den Klimawandel: Angesichts des Klimawandels gewinnt indigenes Wissen zunehmend an Bedeutung. Da indigene Völker häufig in Gebieten leben, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, können sie wertvolle Erfahrungen und Lösungsansätze zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels beisteuern.
5. Respektierung indigener Rechte: Die Anerkennung und Achtung indigenen Wissens trägt zur Stärkung der Rechte indigener Völker bei. Durch die Wertschätzung indigenen Wissens werden auch die Landrechte, Konsultationsrechte und Selbstbestimmungsrechte indigener Gemeinschaften gestärkt.
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Literatur
Deacon, Harriet (2012): Wiederentdeckte Geschichte – immaterielles Kulturerbe in Südafrika.
URL: http://www.goethe.de/ins/za/prj/wom/inw/deindex.htm [02.08.2019].
Dudenredaktion (o. J.): „indigen“ auf Duden online. https://www.duden.de/rechtschreibung/indigen#herkunft [06.08.2019].
Hahn, Anja von (2004): Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der „public domain“. Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 170. Berlin/ Heidelberg: Springer.
Homann, Sabine (2005): Indigenous knowledge of Borana pastoralists in natural resource management: a case study from southern Ethiopia. Göttingen: Cuvillier.
Blog Indigenes Wissen | INFOE – Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie
Transkript zum Erklärfilm
Indigenes Wissen nennt man das traditionelle Wissen von Urvölkern über die nützlichen Eigenschaften von Pflanzen oder Tieren. Dieses Wissen wird oft seit Generationen weitergegeben und ist Teil der kulturellen Identität dieser Völker. Indigenes Wissen basiert auf Beobachtungen und Erfahrung und umfasst unter anderem die Bereiche Heilkunde, Landwirtschaft und Religion. Bei veränderten Umweltbedingungen wird das Wissen, wenn nötig, angepasst, es ist also flexibel. Für einen Erhalt einer Kultur ist es also wichtig, dass ein gewisses Maß an Tradition und geographischer Stabilität bewahrt wird, damit das Wissen nicht unbrauchbar wird. Ein Problem für die indigenen Gemeinschaften ist, dass ihr Wissen in der Pharmaindustrie zunehmend an Bedeutung gewinnt. Sie haben jedoch meist keine Möglichkeit, das indigene Wissen patentieren zu lassen, sodass sie unter Umständen ausgebeutet werden.
Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht geschildert:
Essiggurke am Bindfaden
Rachel ist elf Jahre alt und kommt aus dem Bundesstaat Ohio. In zwei Wochen geht ihr Flug nach Deutschland, nach Hannover. Sie möchte dort ein Auslandsjahr machen und freut sich schon sehr. Auch ihre Mutter ist mindestens genauso aufgeregt wie Rachel selbst. Gerade deshalb drängt sie immer wieder darauf, dass Rachel sich besonders gut über die Kultur und Traditionen Deutschlands informieren solle, um bei der Gastfamilie einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie möchte ihnen auch ein Gastgeschenk mitbringen. Nach stundenlanger Suche ist endlich das richtige Mitbringsel gefunden. Es ist typisch für Deutschland und gehört, besonders zur Weihnachtszeit, in jeden Haushalt. Rachel ist stolz und freut sich nur noch mehr auf ihre Abreise.
Nach vielen Stunden im Flieger über dem Atlantik kommt Rachel endlich in Deutschland an und wird von ihren Gasteltern und ihrer Gastschwester am Flughafen abgeholt. Freudig begrüßen sie sich, allesamt erscheinen nett und gastfreundlich, Rachel fühlt sich auf Anhieb wohl. Sofort nach ihrer Ankunft im Haus der Gasteltern setzen sich alle im Wohnzimmer zusammen und tauschen ihre Gastgeschenke aus. Auch Rachel bekommt einiges von ihrer neuen Familie. Dann überreicht Rachel ihrer Gastmutter ganz gespannt ihr Geschenk und beobachtet haargenau, wie sie es auspackt. Doch die Gastmutter wirkt leicht verwirrt und ratlos. Anstatt sich riesig über dieses Geschenk zu freuen, schaut sie ihren Mann und ihre Tochter an. Aber auch sie reagieren leicht irritiert und blicken erstaunt auf das Geschenk. Es ist eine Essiggurke aus Plastik, die täuschend echt aussieht und an einem Bindfaden hängt – traditioneller deutscher Weihnachtsbaumschmuck!
Eine Runde aussetzen
Während meines Auslandssemesters in Granada, im Süden Spaniens, wohnte ich mit vier Spaniern zusammen. Nachdem ich schon ein paar Wochen da war und jeden Abend mit meinen Mitbewohnern ausging – was in Granada normal zu sein schien – wurde mir das allmählich zu viel. Als ich ihnen eines Abends mitteilte, zu Hause zu bleiben, waren sie völlig erstaunt und fragten, ob ich krank sei. Ich erwiderte, dass ich lediglich etwas müde war, ein bisschen Ruhe brauchte und für mich sein wollte. Zu meinem Erstaunen waren auf einmal alle sauer und schimpften, dass ich einfach sagen soll, wenn ich aus irgendeinem Grund sauer bin und deswegen nicht mit ihnen weggehen möchte. Ich war völlig baff und wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Dazu hatte ich allerdings auch keine Gelegenheit mehr, denn im nächsten Moment verließen sie mein Zimmer, schlugen die Tür zu und waren weg. Da ich mich vorher immer sehr gut mit ihnen verstanden hatte, war ich total überfordert mit der Situation und machte mir die ganze Nacht Gedanken, worin eigentlich das Problem bestand. Hatte ich mich auf Spanisch falsch ausgedrückt? Etwas gesagt, das ich gar nicht sagen wollte?
Also ging ich am nächsten Morgen zu meiner Mitbewohnerin und fragte, was gestern los war und wieso sie so sauer auf mich waren. Sie verstand nicht, warum ich nicht den wahren Grund genannt hatte. Offensichtlich müsse es einen anderen, einen gravierenderen als den von mir genannten Grund geben, um einen Abend mal nicht wie üblich auszugehen.