Catcalling ist ein Anglizismus, der im deutschen Sprachraum für die „verbale sexuelle Belästigung” im öffentlichen Raum steht (Ismail 2020). Im Englischen wird für das Phänomen des Catcalling auch häufig der Begriff Street Harassment , „Belästigung auf der Straße‟, benutzt, der allerdings auch körperliche Übergriffe in der Öffentlichkeit mit einbezieht (vgl. DelGreco/Ebesu Hubbard/ Denes 2021, 1403).
Catcalling beschreibt verbale und paraverbale Äußerungen, die Betroffenen sexualisieren und/oder sich auf körperliche Eigenschaften beziehen. Beispiele hierfür sind Aussagen wie: “Lächeln, junge Frau!”, “Jetzt hab’ dich nicht so, mit dem Kleid bettelst du ja darum”, “Geiler A*sch, ihr F*tzen!” oder “Du bist so schön wie mein Auto!” (vgl. CatcallsOfHildesheim 2020)
Machismus
Psychologischer Hintergrund für das o.g. geschilderte Verhalten ist oftmals die Vorstellung von Männern, Frauen gegenüber überlegen zu sein. Machismus bezieht sich auf ein Verhalten, das die Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen betont. Es handelt sich um eine Form des männlichen Chauvinismus, die auf die Vorstellung abzielt, dass Männer Frauen überlegen oder dominanter sind. Der Begriff leitet sich vom spanischen Wort „macho“ ab, das „männlich“ oder „stark“ bedeutet. Machismus kann verschiedene Formen annehmen, einschließlich sexistischer Einstellungen, der Betonung traditioneller Geschlechterrollen und der Unterdrückung oder Diskriminierung von Frauen in sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Kontexten. Es ist wichtig, zwischen gesunden Geschlechterrollen und schädlichem Machismus zu unterscheiden, da letzterer dazu neigt, Ungleichheiten und Vorurteile zu fördern.
Sexual Harassment, Street Harassment, Catcalling
Sexual Harassment, Street Harassment, Stranger Harassment und Catcalling sind nicht trennscharf voneinander abgrenzbar. Während Sexual Harassment auch körperliche Übergriffe einbezieht, bezieht sich Street Harassment eher auf den Ort der Belästigung, nämlich den öffentlichen Raum. Stranger Harassment determiniert dagegen eine nicht vorhandene Beziehung zwischen Täter:innen und Betroffenen. Sexuelle Belästigung fungiert als Überbegriff, unter dem Street Harassment, Catcalling und Stranger Harassment gefasst werden können.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass in derartigen Kontexten eher von sexualisierter als von sexueller Belästigung zu sprechen ist. Der Hintergrund ist dabei, dass es sich nicht primär um Sexualität, sondern um Belästigung handelt; allerdings ist der Begriff “sexuelle Belästigung” im allgemeinen Sprachgebrauch geläufiger.
Die Motivation und Wahrnehmung der Täter:innen
Täter:innen, die Catcalling ausüben, haben dafür verschieden Motive.
Dabei spielen sowohl sogenannte person factors „personenbezogene Faktoren” als auch situational „situationsbezogene Faktoren” eine signifikante Rolle (vgl. Wesselmann/Kelly 2010, 452). Unter die situationsbezogenen Faktoren zählen Wesselmann/Kelly unter anderem gruppenspezifische Normkonventionen und das Gefühl der Täter:innen, in einer Gruppe anonymisiert und deindividualisiert agieren zu können (ebd., 453). Außerdem senkt ein ausgeprägtes Gruppenzugehörigkeitsgefühl die Hemmschwelle, Mitmenschen zu belästigen (ebd., 457). Die personenbezogenen Faktoren sind komplexer zu definieren und ihre Gewichtung ist bis jetzt noch nicht abschließend geklärt. DelGreco/Ebesu Hubbard/ Denes nennen hier bei den überwiegend männlichen Tätern eine Verlust von Macht als intrinsische Motivation zur Belästigung; d.h., dass Täter häufig versuchen, einen von ihnen wahrgenommenes Machtdefizit durch die Belästigung auszugleichen, um sich gleichzeitig über die Betroffenen überlegen zu fühlen (DelGreco/Ebesu Hubbard/ Denes 2021, 1419).
Bei einer Selbsteinschätzung von männlichen Tätern wird die Belästigung häufig nicht als solche eingeschätzt: Das Catcalling wird von diesen Männern eher als positives Kompliment verstanden, das Wertschätzung und Zuneigung ausdrücken soll.
Konsequenzen für Täter:innen – Konsequenzen für Betroffene
Street Harassment verfügt über Eigenschaften, die Überschneidungen mit sexualisierter Belästigung aufweisen, etwa die Geschlechtsspezifität (vgl. DelGreco/Ebesu Hubbard/ Denes 2021, 1420). Dennoch wird sexualisierte Belästigung aus rechtlicher Perspektive oft anders gehandhabt als sie aus gesellschaftlichem Blickwinkel betrachtet wird/ als der gesellschaftliche Blickwinkel vermuten lässt (vgl. Fileborn., 224). Es gibt in einigen Ländern Gesetze und Gesetzesentwürfe, die Angestellte und Schüler:innen im Falle sexualisierter Gewalt in Schutz nehmen, im Falle von Belästigung auf der Straße gibt es allerdings weniger Rechtsgrundlage (vgl. Sonntag 2020).
Für die Tatbestände von Street Harassment und insbesondere Catcalling gibt es also nach aktueller Rechtsgrundlage begrenzte juristische Handlungsmöglichkeiten.
Auf der anderen Seite leiden Betroffene zum Teil stark unter der ungefragten Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird. Im Versuch, damit zurechtzukommen, neigen einige Betroffene zur selbstobjektifizierenden Verhalten und/oder entwickeln Esstörungen, da die ungewollten Kommentare oft auf den Körper der Betroffenen bezogen sind und diesen sexualisieren, sodass sich dieser Blickwinkel auf den eigenen Körper auch bei den Betroffenen einstellt (Fairchild 2008, 355)
In einigen Bereichen der Forschung wird mittlerweile davon ausgegangen, dass die daraus erwachsenden negativen Konsequenzen wie etwa Depressionen oder essgestörtes Verhalten sogar rechtfertigen, Street Harassment und insbesondere Stranger Harassment als eigene Diskriminierungsform gegen Frauen und weiblich gelesene Personen anzuerkennen (ebd.).
Belästigung ankreiden: Chalk Back
Bei Catcalling und Street Harassment handelt es sich um eine Problematik mit internationaler Tragweite und Studien zeigen, dass weltweit mindestens 65% der Frauen (manchmal bis zu 90%) bereits von Belästigung auf der Straße betroffen waren und/oder sind (vgl. DelGreco/Ebesu Hubbard/ Denes 2021, 1403).
Diese Handlungen finden zwar täglich im öffentlichen Raum statt, dauern allerdings oft nur wenige Sekunden an und sind somit nicht immer leicht nachvollziehbar. Hier setzen die Aktivist:innen des Kollektivs Chalk Back an. Bei Chalk Back handelt es sich um eine internationale Bewegung, die von jungen Menschen geführt wird. Die Aktivist:innen setzen sich mittels Kreidekunst im öffentlichen Raum gegen Catcalling und Street Harassment ein, indem sie derartige Erfahrungen mit handelsüblicher Straßenkreide auf dem Boden dokumentieren – dort, wo sie sich ereignet haben (ebd.). Dadurch erobern sie den Raum für Betroffene zurück, die aufgrund der Erfahrungen ggf. beginnen, die Orte zu meiden, und machen die Belästigung für jedermann sichtbar – während sie sonst im Moment des Aussprechens sofort weider vergeht und unsichtbar für die Allgemeinheit wird.
Um der Aktion mit abwaschbarer Kreide etwas Permanenz zu verleihen, teilen sie Fotos ihrer Kreidekunst auf Social Media, insbesondere auf Instagram.
Damit stoßen sie sowohl im öffentlichen Raum sowie in sozialen Netzwerken Diskussionen über Catcalling und Belästigung an und klären, unter anderem in Workshops, über die Problematik auf. Basierend auf dem Instagram-Konto @catcallsofnyc heißt jedes Chalk Back-Konto @catcallsof*Standort*. Chalk Back-Aktivitäten lassen sich mittlerweile auf 6 Kontinenten, in 49 Ländern und über 150 Städten nachvollziehen.
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Quellen:
Birte Bredow: Petition gegen „Catcalling“: „Sexuelle Belästigung geht nicht erst bei Körperkontakt los“. In: Spiegel Online. Abgerufen am 31. Oktober 2020.
Birthe Berghöfer: „Catcalling“ ist kein Kompliment. In: neues deutschland. Abgerufen am 27. Oktober 2020.
Olivia Farmer, Sara Smock Jordan: Experiences of Women Coping With Catcalling Experiences in New York City: A Pilot Study. In: Journal of Feminist Family Therapy. Band 29, Nr. 4, 2. Oktober 2017, S. 205–225, doi:10.1080/08952833.2017.1373577
Wahre interkulturelle Begebenheiten werden in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht von Benjamin Haag geschildert:
Euphorischer Spaziergang
Mein Vater musste geschäftlich nach Hawaii, wohin ihn meine Mutter begleitete. Die beiden machten einen gemütlichen Strandspaziergang mit dem Ziel, am Ende zu einem besonders schönen Aussichtspunkt zu gelangen. Als sie auf dem Rückweg waren, kam ihnen ein anderes amerikanisches Paar entgegen und fragte sie, ob sich der Aussichtspunkt lohne. Daraufhin entgegneten meine Eltern: „Yes, it’s nice there.“ Die Amerikaner bedankten sich freundlich, gingen ein Stück weiter und drehten nach kurzer Zeit wieder um. Meine Eltern wunderten sich und überlegten, was der Grund für die rasche Umkehr sein könnte. Nach einigem Überlegen kamen sie auf die Idee, dass ihre Aussage „It’s nice there“ für das amerikanische Paar so viel heißen musste wie „Es lohnt sich nicht wirklich“. Meine Eltern hätten wahrscheinlich deutlich euphorischer antworten müssen, z. B: „It’s awesome, a once in a lifetime experience!“ Doch die deutsche Art, etwas auszudrücken, ist bekanntlich eher schlicht und nicht sehr überschwänglich. Durch die Art meiner Eltern deuteten die Amerikaner diese Aussage vermutlich falsch, da es sich eigentlich gelohnt hätte, den Aussichtspunkt zu besuchen.
Unsittlich
Charlotte (19) war zur Freiwilligenarbeit auf einer Farm im indischen Himalayavorland. Zusammen mit einer Gruppe anderer ausländischer Freiwilliger, dem indischen Besitzer der Farm und einem indischen Hirten arbeitete und lebte sie eineinhalb Monate dort. Die Freiwilligen und der Besitzer Sharif redeten Englisch, sodass sie sich über ihre unterschiedlichen Kulturen austauschen konnten. Sie alle schliefen in einem Haus, Sharif war allerdings nur manchmal auf der Farm, er lebte in einem Haus einige Autostunden entfernt.
Der Hirte Chandon konnte kein Englisch, nur ein paar Worte Hindi und er sprach meist in der dort gesprochenen Regionalsprache. Die Kommunikation zwischen ihm und den Freiwilligen beschränkte sich also auf Zeichensprache und Gesten. Nach einiger Zeit hatten sich alle einige Fantasiewörter, gemischt aus Hindi, Chandons Sprache und Englisch, angeeignet, die es sogar erlaubten, gemeinsam Witze zu machen.
Charlotte erlebte eine wunderschöne Zeit auf der Farm. Als es an der Zeit für sie war, zu gehen, verabschiedete sie sich von allen. Sie umarmte alle Freiwilligen, die sie eng ins Herz geschlossen hatte, und ging dann zu Chandon weiter, um sich auch von ihm zu verabschieden. Sie setzte an, ihn zu umarmen, doch er zuckte zurück und protestierte.
Mando, einer der Freiwilligen, kannte sich ein bisschen mehr mit der indischen Kultur aus und erklärte Charlotte daraufhin, dass Chandon keine andere Frau berühren könne außer seiner Ehefrau. Schließlich verabschiedete sich Charlotte mit einem Handschlag von Chandon.