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Gendern

Gendern, auch geschlechtergerechte Sprache genannt, ist ein Thema, das in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Es bezieht sich auf die bewusste Verwendung sprachlicher Ausdrücke, um die Vielfalt der Geschlechter wahrzunehmen und anzuerkennen. Durch Gendering soll eine Sprache geschaffen werden, die alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht anspricht und einbezieht. Ziel ist es, Diskriminierung und Vorurteile abzubauen und eine inklusive Kommunikation zu fördern. Während die traditionelle Sprachnorm überwiegend von männlichen Formen ausgeht, setzt Gender darauf, sprachliche Alternativen zu finden, um Frauen, Transgender und nicht-binäre Menschen sichtbar zu machen. In diesem Text werden verschiedene Aspekte des Genderns und seiner Bedeutung in unserer Gesellschaft näher beleuchtet.

 

Einige Auszüge aus dem E-Learning-Modul in Textform

Die Psycholinguistik ist ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft. Sie untersucht die menschlichen Denkprozesse, die für das Sprechen und für das Verstehen von Sprache notwendig sind.1 Psycholinguistische Experimente konnten nachweisen, dass das Denken nicht nur die Sprache beeinflusst – sondern dass umgekehrt auch die Sprache das Denken beeinflusst.2 Sprache erzeugt bestimmte Vorstellungen.3 Sie wirkt so auf unsere Sicht auf die Welt und sogar auf unser Handeln: „Durch den Gebrauch von Sprache können […] Menschen identifiziert oder ausgeschlossen, manipuliert und diskriminiert oder als Gleichberechtigte behandelt werden.“4 Dies geschieht vor allem mit Hilfe von Personenbezeichnungen. Wird eine Person gar nicht oder falsch angesprochen, so kann sie davon ausgehen, dass sie nicht wahrgenommen wurde, nicht gemeint war, verwechselt wurde oder absichtlich übersehen wurde.5

Eine Studie mit Daten aus 111 Ländern kam zu dem Ergebnis, dass die Sprache auch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine Rolle spielt. In Ländern mit Sprachen, die den Personenbezeichnungen ein Geschlecht zuordnen, konnte eine niedrigere Geschlechtergerechtigkeit beobachtet werden: Frauen und Männern sind dann beispielsweise unterschiedlich gut gebildet, unterscheiden sich in ihrem gesellschaftlichen Ansehen oder verdienen unterschiedlich viel Geld.6 Eine solches Land ist Deutschland. Die meisten Personenbezeichnungen im Deutschen sind maskulin oder feminin – zu ihnen gehören die Artikel der oder die. Man spricht hier auch von dem grammatischen Geschlecht. Das grammatische Geschlecht deutscher Personenbezeichnungen stimmt in der Regel mit dem biologischen Geschlecht der bezeichneten Person überein, zum Beispiel bei der Vater (maskuline Bezeichnung, männliche Person) oder die Mutter (feminine Bezeichnung, weibliche Person).7 Das biologische Geschlecht einer Person wird in der deutschen Sprache also in der Regel sprachlich sichtbar gemacht.8

Wenn eine maskuline oder feminine Personenbezeichnung eigentlich beide Geschlechter ansprechen soll, ergeben sich Probleme. Im Deutschen werden häufig maskuline Wortformen verwendet, obwohl gemischtgeschlechtliche Gruppen gemeint sind: Anstatt von Bürgerinnen und Bürgern ist dann nur von Bürgern die Rede. Solche grammatisch männlichen Gruppenbezeichnungen für gemischtgeschlechtliche Gruppen nennt man generisches Maskulinum.

Die Verbindung zwischen maskulinen Wortformen und männlichen Personen wird durch das generische Maskulinum gestärkt, denn in jedem Fall sind männliche Personen gemeint:9 In einer Gruppe von Einwohnern sind immer auch Männer vorhanden, sie kann sogar ausschließlich aus Männern bestehen. Andernfalls spräche man von Einwohnerinnen. Um zu entscheiden, ob eine maskuline Personenbezeichnung auch Frauen meint, sind hingegen stets weitere Informationen nötig. Dies führt dazu, dass maskuline Wortformen automatisch mit männlichen Personen in Verbindung gebracht werden.10 Sie werden männlich anstatt neutral verstanden. Gleichzeitig treten männliche Personenbezeichnungen durch die Verwendung des generischen Maskulinums häufiger auf als weibliche.11 Deshalb verstärken männliche Gruppenbezeichnungen für gemischtgeschlechtliche Gruppen die Geschlechterstereotype: Unter Anwälten oder Ärtzten werden sich zuerst Gruppen von Männern vorgestellt.12 Eine Anwältin oder Ärztin erscheint dagegen als Ausnahme und wird möglicherweise trotz gleicher Qualifikation als weniger kompetent empfunden. Traditionelle Annahmen über die Geschlechter und Erwartungen an die Geschlechter verfestigen sich also.

Wenn ungerechte Sprache häufig genug verwendet wird, „gewöhnen wir uns daran und empfinden es als normal. Dann wird das sprachliche Handeln nicht mehr als falsch interpretiert und Diskriminierung ist unsichtbar geworden.“13 Eine geschlechtergerechte Sprache, durch die alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht angesprochen und sichtbar gemacht werden, ist also eine wichtige Voraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft.

1 Vgl. Dietrich, Rainer/ Gerwien, Johannes (2017): Psycholinguistik. Eine Einführung. 3. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart: Metzler, S. 8.
2 Vgl. Elsen, Hilke (2020): Gender – Sprache – Stereotype. Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto, S. 65.
3 Vgl. ebd., S. 70.
4 Hellinger, Marlis (1990): Kontrastive Feministische Linguistik. Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und Deutschen. Ismaning: Hueber, S. 67.
5 Vgl. ebd., S. 67.
6 Vgl. Elsen: Gender – Sprache – Stereotype, S. 98.
7 Vgl. ebd., S. 61.
8 Vgl. Hellinger: Kontrastive Feministische Linguistik, S. 83.
9 Vgl. ebd., S. 847.
10 Vgl. Lévy, Arik/ Gygax, Pascal/ Gabriel, Ute (2014): Fostering the generic interpretation of grammatically masculine forms: When my aunt could be one of the mechanics. Journal of Cognitive Psychology 26, S. 27.
11 Vgl. Gabriel, Ute/ Gygax, Pascal/ Kuhn, Elisabeth (2018): Neutralising linguistic sexism: Promising but cumbersome? Group Processes & Intergroup Relations 21, S. 847.
12 Vgl. Schoenthal, Gisela (1989): Personenbezeichnungen im Deutschen als Gegenstand feministischer Sprachkritik. Zeitschrift für Germanistische Linguistik 17, S. 300.
13 Elsen: Gender – Sprache – Stereotype, S. 69.

Geschlechtergerechte Sprache dient der Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung innerhalb von Schrift und Sprache. Darüber hinaus soll sie geschlechtergerechtes Denken und Handeln fördern. Diesen Beitrag kann geschlechtergerechte Sprache leisten, indem sie eindeutig benennt, wer gemeint ist, alle Geschlechter repräsentiert und eine Ausgrenzung verhindert.Dabei können die Umsetzungsstrategien für geschlechtergerechte Sprache zwei Bereichen zugeordnet werden: dem Neutralisieren und dem Sichtbarmachen.

Bei dem Neutralisieren von geschlechterspezifischer Sprache werden Begriffe umgangen, ersetzt oder so verändert, dass sie nicht länger geschlechterspezifisch sind. Für diese Umwandlung können beispielsweise substantivierte Partizipien und Adjektive im Plural eingesetzt werden.[3] Sichtbar werden sie durch die Endung -ierende oder -ende.

Beispiel:

„Der Student muss die Klausur bestehen.“

  • „Der/Die Studierende muss die Klausur bestehen.“

„Der Forscher hat erste Funde gemacht.“

  • „Der Forschende hat erste Funde gemacht.“

Es gibt aber auch Substantive, die bereits geschlechterneutral sind.

Beispiel:

Mensch, Person, Personal, Publikum, Leute, etc.

„Der Schuldige soll vortreten.“

  • „Die schuldige Person soll vortreten.“

So wird aus dem geschlechterspezifischem Schuldigem die geschlechterneutrale schuldige Person.

Weiter dienen geschlechterneutrale Pronomen als Hilfsmittel, wodurch geschlechterspezifische Personenbezeichnungen umgangen werden können.

Beispiel:

„Studenten, die Nachhilfe benötigen, können am Schwarzen Brett fündig werden.“

  • Wer, Alle, Diejenigen, Niemand, Jemand, etc.
  • „Wer Nachhilfe benötigt, kann am Schwarzen Brett fündig werden.“

Durch die geschlechterneutralen Pronomen wird die Aussage verallgemeinert und schließt alle Geschlechter ein.

Eine beliebte Methode, um Personenbezeichnungen gänzlich zu umgehen, ist die Passivbildung.[6] Hierbei kann der Sachverhalt so formuliert werden, dass keine Personenbezeichnung notwendig ist.

Beispiel:

  • „Die Studenten müssen die Klausur bestehen.“
    • „Die Klausur muss bestanden werden.“

Der Inhalt bleibt der gleiche, nur die Personenbezeichnung fällt weg. Diese Anwendung funktioniert natürlich nur, wenn klar ist, in welchem Kontext die Aussage steht bzw. welche Personengruppe angesprochen ist.

Je nach Kontext können auch noch andere kreative Lösungen eingesetzt werden, die mal mehr und mal weniger viel Platz oder Zeit im Schreiben und Sprechen einnehmen. Sätze können sich beispielsweise auch so formulieren lassen, dass das geschlechterspezifische Substantiv in einer geschlechterneutralen Weise umschrieben werden kann. Dafür lassen sich auch Ableitungen einsetzten, die auf -ung, -ion, -ium oder -kraft enden.

Beispiel:

  • „Wir brauchen freundliche Onlineberater.“
    • „Wir brauchen Personen, für eine freundliche Onlineberatung.“
  • „Wir suchen neue Helfer.“
    • „Wir suchen neue Hilfskräfte.“

Hier wird auch wieder auf eine Personenbezeichnung verzichtet und auf ein verallgemeinernde Alternative zurückgegriffen.

Die Alternative zum Neutralisieren und Verallgemeinern ist das Sichtbarmachen und Spezifizieren. Während beim Neutralisieren also möglichst jede Spezifizierung umgangen wird, greift das Sichtbarmachen die geschlechtliche Vielfalt auf und ermöglicht dadurch einen eindeutigeren Ausdruck davon, welche Personen gemeint sind. Die Sichtbarmachung unterscheidet sich in dem binärem (männlich und weiblich) und dem non-binärem (alle Geschlechter) Geschlechterverständnis.

Innerhalb des binärem Sichtbarmachens gibt es drei gängige Verfahren. Die Beidnennung oder Paarform, die mehr Platz und Zeit einnimmt, dafür aber besonders höflich und eindeutig ist. Das Splitting, welches weniger Platz benötigt, ebenso eindeutig, aber nicht so höflich ist und letztlich das Binnen-I, welches einen größeren Fokus auf die Repräsentation der Frau legt und am meisten Platz spart.

Beidnennung: „Sehr geehrte Studenten, sehr geehrte Studentinnen, das Semester beginnt.“

Splitting: Sehr geehrte Studenten/Studentinnen, das Semester beginnt.“

Binnen-I: Sehr geehrte StudentInnen, das Semester beginnt.“

Abseits dieser Verfahren gibt es Begriffe, die eine geschlechtstragende Bedeutung besitzen, wie etwa „Hausfrau“ oder „Geschäftsmann“. Diese Begriffe können teilweise direkt umgewandelt werden („Hausmann“ bzw. „Geschäftsfrau“). Manchen Begriffen fehlt allerdings ein Gegenüber. Mannschaft, Zimmermädchen oder Blaumann haben keinen entgegengeschlechtlichen Begriff. In solchen Fällen heißt es letztlich weiterhin aufmerksam sein für Ungleichberechtigung in der Sprache und Offenheit gegenüber neuen, kreativen, anti-diskriminierenden Alternativen.

Bei dem Betrachten der non-binären Verfahren fallen zwei in die gängige Verwendung. Damit alle Geschlechter sichtbar gemacht werden können, wird das „Gender-Sternchen“ oder die „Gender-Gap“ verwendet. Das Gender-Sternchen trennt dabei die binären Formen voneinander und ergänzt alle non-binären Geschlechter mit einem „*“. Die Gender-Gap greift in der gleichen Situation auf den Unterstrich „_“ zurück. Diese Zeichensetzungen sollen auf den Bereich zwischen dem binären Verständnis aufmerksam machen. Beide haben ihre Für- und Widersprecher*innen.

Beispiel:

Gender-Sternchen:

  • Student*innen, Dozent*innen, Verkäufer*innen

Gender-Gap:

  • Student_innen, Dozent_innen, Verkäufer_innen

Eine letzte Möglichkeit, die im Rahmen der Inklusion am geeignetsten erscheint, ist der Doppelpunkt. Hierbei dient der Doppelpunkt „:“ zwischen den binären Formen ebenfalls als Ergänzung aller non-binären Geschlechter, kann aber von Hilfsprogrammen für Menschen mit Sehbehinderung erkannt und entsprechend korrekt vorgelesen werden.

Beispiel:

Doppelpunkt:

  • Student:innen, Dozent:innen, Verkäufer:innen

 

Transkript zum Erklärfilm 1

Warum ist geschlechtergerechte Sprache eigentlich so wichtig? Nina hält ein Referat. Nicht schon wieder ein Referat. Geschlechtergerechte Sprache? Was soll das denn? Langweilig, unnötig. Nina überlegt. Ihr kommt eine Idee. Okay, wie wäre es stattdessen mit einer Geschichte. Macht doch mal die Augen zu und stellt euch das, was ich jetzt vorlese, bildlich vor. Ein Vater fährt mit seinem Sohn an einem regnerischen Tag in die Stadt. Die Beiden wollen ins Kino. Auf dem Weg dorthin kommt das Auto auf der nassen Straße jedoch ins Schleudern. Der Vater versucht hektisch, das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen. Vergebens. Der Wagen kollidiert mit einem Baum. Obwohl ein anderer Fahrer schnell den Rettungswagen ruft, stirbt der Vater noch am Unfallort. Der Sohn lebt, muss jedoch sofort operiert werden. Im OP-Saal warten bereits die diensthabenden Chirurgen. Als sie sich über den Jungen beugen, erschreckt plötzlich jemand im Chirurgenteam und ruft: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn“. „Hä?“, fragen sich alle sofort. Habt ihr euch eben gefragt: „Wie kann das sein?“ Der Vater ist doch gestorben. Falls ja, seid ihr damit nicht alleine. Das zeigen verschiedene Studien aus der Psycholinguistik mit ähnlich aufgebauten Texten. Die Psycholinguistik ist ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft. Sie untersucht unter anderem, welche Gedanken die Sprache in unseren Köpfen auslöst. Eine Erkenntnis aus der Psycholinguistik ist: Wenn von Chirurgen die Rede ist, denken die meisten Menschen an eine Gruppe männlicher Chirurgen. Wäre aber von den diensthabenden Chirurginnen und Chirurgen die Rede gewesen, hättet ihr euch wohl nicht gewundert. Unter den Chirurginnen und Chirurgen war natürlich die Mutter des Jungen. Sprache beeinflusst also, wie und was wir denken. Obwohl Frauen bei männlichen Gruppenbezeichnungen häufig mit gemeint sind, werden sie oft nicht mitgedacht. Das ist nicht gerecht. Sie können sich dadurch nicht angesprochen oder sogar ausgeschlossen fühlen. Deshalb sollten wir versuchen, so zu sprechen, dass sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht angesprochen fühlen. Geschlechtergerechte Sprache ist wichtig.

Transkript zum Erklärfilm 2

Können Mädchen eigentlich Feuerwehrmann werden? Ein Feuerwehrmann wird am Berufstag in die Grundschule eingeladen und soll dort von seinem Beruf erzählen. Die kleine Anne fühlt sich jetzt schon sehr verbunden mit dem Beruf des Feuerwehrmanns. Anne bringt alle Eigenschaften, die ein Feuerwehrmann haben sollte, mit. Sie ist sportlich, klug, mutig und hilfsbereit. Doch da wird eine sehr traurig, weil sie sich fragt, ob sie als Mädchen überhaupt Feuerwehrmann werden kann. Das fragt einer den Feuerwehrmann. Dieser ist zuerst verdutzt, antwortet dann aber, dass alle Feuerwehrleute werden können.

Transkript zu Podcast 1

Teil zwei: Identifizierung nichtgeschlechtergerechter Sprache im Alltag. Hier erfahrt ihr, wo wir auf nicht geschlechtergerechte Sprache stoßen, wie es in anderen Ländern damit aussieht und wie wir durch sie beeinflusst werden. Schlagen wir erst einmal die Zeitung auf. Schon werden wir fündig. In einem Artikel über Tumorzellen heißt es etwa: Beispiel Leberkrebs. Würden bei einem Patienten zu viele oder ungünstig gelegenen Metastasen festgestellt, die operativ nicht zu entfernen sein, können Wiegemann und seinem Team dem Chirurgen zur Seite treten. Was fällt hier auf? Es ist anzunehmend, dass nicht nur männliche Patienten ungünstige Metastasen bilden können und dass Dr. Wiegemann und seinem Team auch weiblichen Chirurginnen weiterhelfen würden. Deswegen wäre es sinnvoll, Zeitungsartikel wie diese umzuformulieren. Der Grund dafür ist, dass Sprache und Denken eng zusammenhängen und sich wechselseitig beeinflussen, wie ihr bereits im vorangegangenen Teil eins „Psycholinguistik“ erfahren habt. Nun soll es weiterhin darum gehen, wo geschlechterungerechte Sprache im Alltag auftritt. Dafür ein weiterer Fall. Denken wir an das Wort Bürger. Dieses kann a) als generisches Maskulinum benutzt werden, also in der männlichen Form, die verallgemeinert auch für Frauen verwendet wird. Diese Form des generischen Maskulinums kommt aus der Zeit, in der der Mann eine stark bevorzugte Stellung in der Gesellschaft einnahm. Frauen wurden somit nicht nur gesellschaftlich, sondern auch sprachlich benachteiligt, da somit ihre Sichtbarkeit und damit ihr Einfluss unterdrückt wurden. Noch heute werden Frauen häufig benachteiligt, etwa bei der Bezahlung, den Aufstiegschancen, oder eben bei der Sprache. Außerdem kann Bürger als b, spezifisch männlicher Ausdruck, verwendet werden. Für jeden der beiden Fälle ein Beispiel. Zunächst für A: Am kommenden Sonntag sind 57 Millionen Bürger zur Stichwahl aufgerufen. Die 29 Millionen Frauen und 28 Millionen Männer bestimmen durch ihre Wahl direkt das zukünftige Staatsoberhaupt. Das Wort Bürger steht hier sowohl für männliche als auch für weibliche Bürger und Bürgerinnen. Nun zu B: Am kommenden Sonntag sind 57 Millionen Bürger zur Stichwahl aufgerufen. Im Vorfeld der Wahlen ist es seit Wochen zu Demonstrationen und Unruhen gekommen, da zahlreiche Parteien und Menschenrechtsorganisationen die Einführung des Frauenwahlrechts fordern. Hier steht das Wort Bürger ausschließlich für männliche Bürger. Somit werden die Männer in beiden Beispielen angesprochen, im Gegensatz zu den Frauen. Frauen müssen sich demnach erst aus dem Kontext erschließen, ob sie mit gemeint sind oder nicht. Das ist diskriminierend und benachteiligend. Auch in Stellenausschreibungen sieht es häufig nicht besser aus. So wird nach Sozialpädagogen, Kaufmännern, Ingenieuren, Juristen und Objektleitern gesucht. Häufig ist zwar in Klammern dahinter männlich, weiblich, divers gesetzt. Das reicht aber nicht aus, Geschlechterstereotype zu überwinden. Doch wie sieht es eigentlich in anderen Ländern aus? Die englische Sprache ist recht neutral. Wörter wie teachers gelten für alle Lehrer*innen. Wenn man speziell darauf hinweisen möchte, dass man eine weibliche Lehrerin meint, stellt man einfach ein female vorweg oder eben ein male für einen männlichen Lehrer. Andere Berufsbezeichnungen werden abgeändert. So wird aus postman mailcarrier oder aus stewardess flight attendant. Nun ein kurzer Blick nach Schweden. In Schweden heißt han er und sie. Ein schwedischer Schriftsteller erschuf das Kunstwort hen als neutrales Personalpronomen, das gleichermaßen für Männer, Frauen und nicht Binäre gilt und immer mehr Beachtung findet. Ansonsten werden für Berufe meist männliche Formen verwendet, wobei auch männliche Krankenpfleger als sius kötister, also Krankenschwester, bezeichnet werden. Im Russischen gibt es ausschließlich männliche Form der Berufsbezeichnung für männlich dominierte Berufe, wie Arzt, Pilot, Autor oder Präsident, und weibliche Formen für weiblich dominierte Berufe, wie Krankenschwester oder Lehrerin. Das wollen Feministinnen ändern und hinter die männlichen Formen das Suffix Ka hängen, eine weibliche Form zu erschaffen. Dieses Suffix wird stark diskutiert, denn die neue Endung wirkt anscheinend verniedlichend. Ihr seht also, dass in vielen Ländern ein Diskurs zu geschlechtergerechter Sprache stattfindet.

Transkript zu Podcast 2

Das Video „Können Mädchen eigentlich Feuerwehrmann werden?“ spricht hierbei einen wichtigen Aspekt an, denn es beeinflusst Kinder bewiesenermaßen, ob ein Beruf geschlechtergerecht formuliert ist. In einer Studie wurden in zwei Experimenten 591 Grundschüler und Grundschülerinnen im Alter von 6 bis 12 aus niederländischen und deutschen Schulklassen 16 Berufsbezeichnungen im generischen Maskulinum oder aber in geschlechtergerechter Form vorgelesen. Davon waren acht jeweils typisch männliche fünf typisch weibliche Berufe und drei neutrale Berufe dabei. Die Kinder sollten daraufhin im ersten Teil bewerten, wie viel man in diesen Berufen verdienen und was man für einen Status durch diesen Beruf erlangen kann. Im zweiten Teil wurden die Kinder gefragt, ob der Beruf schwer zu erlernen und auszuführen ist oder ob sie ihn sich selbst zutrauen. Dabei wurde festgestellt, dass bei geschlechtergerechten Berufsbezeichnungen das Selbstvertrauen der Kinder einiges höher war, als bei denen im generischen Maskulinum, und sie sich dem Beruf eher zutrauten, als bei den Bezeichnungen mit männlicher Pluralform. Außerdem wurden die geschlechtergerechten Berufe als leichter erlernbar und weniger schwierig von den Kindern bewertet. Dies könnte daran liegen, dass Kindern fälschlicherweise von klein auf vermittelt wird, dass männlich besetzte Tätigkeiten mit mehr Herausforderungen verbunden sind. Professor Dr. Hannover schlussfolgert aus ihrer Studie: „Unsere Ergebnisse zeigen: Geschlechtergerechte Sprache verstärkt die Zuversicht von Kindern, in traditionell männlichen Berufen erfolgreich sein zu können.“ Nun stellt sich natürlich die Frage: „Wie verwendet man geschlechtergerechte Sprache?“

 

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