Die Sprechakttheorie ist eine von Austin und Searle entwickelte Position der Sprachphilosophie und neben Erkenntnissen von Noam Chomsky* ein Meilenstein der Linguistik. Die Sprechakttheorie geht von der Grundannahme aus, dass das Sprechen einer Sprache eine regelgeleitete Verhaltensform ist. Damit verbunden ist die zweite Annahme, dass die Grundeinheit sprachlicher Kommunikation nicht das Wort oder der Satz ist, sondern der Vollzug eines Sprechaktes, in dem ein sprachliches Symbol zum Ausdruck gebracht wird. Um den Handlungscharakter der Sprache näher zu bestimmen, trifft Searle im Anschluss an Austin folgende Unterscheidung: Bei jeder Äußerung vollzieht ein Sprecher gleichzeitig drei Akte: den Äußerungsakt, den propositionalen Akt und den illokutionären Akt. Äußerungsakte bestehen in der bloßen Äußerung von Wortfolgen, während propositionale und illokutionäre Akte anzeigen, dass Wörter im Satzzusammenhang mit einer bestimmten Intention des Sprechers in bestimmten Kontexten und unter bestimmten Bedingungen geäußert werden. Die Notwendigkeit, zwischen illokutionärer und propositionaler Rolle zu unterscheiden, zeigt sich darin, dass derselbe Äußerungsinhalt (d.h. der propositionale Gehalt) wie z.B. »der Hund ist bissig« von einem Sprecher mit verschiedenen Intentionen geäußert werden kann; z.B. als Warnung an andere, als (vorsichtige) Frage, als Empfehlung (eines Hundehändlers), als Feststellung (einer spezifischen Eigenschaft eines ganz bestimmten Hundes oder einer Hunderasse). Die Intentionen werden durch die illokutionäre Rolle des Sprechaktes ausgedrückt, der propositionale Gehalt bezieht sich auf ein Objekt (den Hund) und prädiziert das Objekt (»ist bissig«). Auf der Basis dieser Unterscheidung erscheint es plausibel, dass jeder propositionale Akt in Abhängigkeit von einem illokutionären Akt steht, d.h. man kann nicht auf ein Objekt referieren und es prädizieren, ohne irgendeinen illokutionären Akt zu vollziehen (wie z.B. eine Behauptung aufstellen oder eine Frage stellen). Für jeden möglichen Sprechakt muss es also ein sprachliches Element geben, dessen Bedeutung sicherstellt, dass seine aufrichtige Äußerung den Vollzug des betreffenden Sprechaktes darstellt.
Damit Regeln für die Äußerung bestimmter sprachlicher Elemente mit Regeln für den Vollzug von Sprechakten gleichgesetzt werden können, muss die Bedingung erfüllt sein, dass alles, was man meinen kann, auch gesagt werden kann. Diese Bedingung formuliert Searle als das Prinzip der Ausdrückbarkeit (vgl. im Gegensatz dazu Ernst von Glasersfelds* Ansatz der Viabilität – auch Ludwig Wittgenstein* verfolgt einen anderen Ansatz in seinen Philosophischen Betrachtungen). Es besagt, dass auch im Falle von sprachlichen Beschränkungen eines Sprechers (zu einem gegebenen Zeitpunkt) diese keine notwendige, sondern nur eine kontingente Grenze darstellen, die zumindest potentiell überwunden werden kann, so dass dem Sprecher ein sprachliches Element zur Äußerung einer Intention zur Verfügung steht. In der weiteren sprachphilosophischen Diskussion zeigt Searle, wie Sprechakte durch die Äußerung von Ausdrücken in Übereinstimmung mit einer Reihe von konstitutiven Regeln vollzogen werden. Die Fundierung durch konstitutive Regeln bedeutet, dass diese Regeln (oder Regelsysteme) erst die Form und die Möglichkeit sprachlichen Verhaltens schaffen – vergleichbar den Regeln des Schachspiels. Searle fasst diesen Sachverhalt in der These zusammen, dass die semantische Struktur einer Sprache als eine auf Konventionen beruhende Realisierung bestimmter zugrundeliegender Regeln zu verstehen ist. Searle nennt folgende Regeln: (1) Die Regel des propositionalen Gehalts (rules of propositional content) besagt, dass der propositionale Akt dem illokutionären entsprechen muss, z.B. darf bei einem Versprechen der propositionale Akt nicht in der Vergangenheit liegen (»ich verspreche, etwas getan zu haben«). (2) Die Einleitungsregeln (preperatory rules) bestimmen die sprechhandlungstypischen Einschränkungen des Kontextes, z.B. ist ein Versprechen nur dann sinnvoll, wenn die versprochene Handlung vom Gegenüber auch erwünscht ist, oder eine Aufforderung zu einer Handlung, wenn diese nicht ohnehin schon ausgeführt wird. (3) Die essentielle Regel (essential rule) bestimmt den Charakter der pragmatischen Verbindlichkeit oder Ernsthaftigkeit, der mit einem illokutionären Akttyp verbunden ist, z.B. bei einem Versprechen die Verpflichtung, es zu halten, bei einer Frage das Interesse an einer Information, bei einem Befehl die Erwartung, dass er befolgt wird. (4) Die Aufrichtigkeitsregel (sincerity rule) legt für einen bestimmten Sprechakttyp bestimmte Einschränkungen hinsichtlich der Einstellung des Sprechers fest, z.B. bei einem Versprechen die Bereitschaft zur Einlösung, bei einer Bitte den tatsächlichen Wunsch nach Erfüllung. Der konstitutive Charakter dieser Regeln zeigt sich darin, dass sie die unabdingbaren Voraussetzungen für Sprache als regelgeleitete Form intentionalen Handelns darstellen und ihre Erfüllung die Voraussetzung für das Gelingen von Sprechakten ist.
Literatur:
J.L. Austin: Zur Theorie der Sprechhandlung. Stuttgart 1972
Metzler Lexikon der Philosophie
Wolfgang B. Sperlich: Noam Chomsky. London 2006
https://amor.cms.hu-berlin.de/~h2816i3x/Lehre/2007_HS_Sprechakte/HS_Sprechakte_2007_03_Searle.pdf
*Noam Chomsky ist ein weltbekannter Linguist, Philosoph, Kognitionsforscher, Schriftsteller und politischer Aktivist. Er wurde am 7. Dezember 1928 in den Vereinigten Staaten geboren. Chomsky hat zahlreiche bedeutende Beiträge in verschiedenen Bereichen geleistet, darunter Linguistik, politische Theorie und kognitive Psychologie.
In der Linguistik ist Chomsky vor allem für seine bahnbrechenden Arbeiten zur generativen Grammatik und zur Universalgrammatik bekannt. Seine Idee der Universalgrammatik besagt, dass alle menschlichen Sprachen strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen, die uns angeboren sind. Seine Arbeiten haben die Art und Weise, wie wir Sprache verstehen und untersuchen, grundlegend verändert.
Neben seiner Arbeit als Linguist ist Chomsky auch als politischer Denker und Aktivist bekannt. Er ist ein scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außen- und Innenpolitik und äußert sich regelmäßig zu Themen wie Kapitalismus, Medienmanipulation, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Chomsky ist überzeugter Anarchist und hat zahlreiche Bücher geschrieben, in denen er seine politischen Ansichten und Analysen darlegt.
Seine Werke, darunter „Syntactic Structures“ und „Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media“, hatten einen enormen Einfluss auf verschiedene Disziplinen und Denkschulen, sei es Linguistik, politische Theorie, Soziologie oder Philosophie. Chomsky wird für seine intellektuelle Schärfe, seine Klarheit und sein unerschrockenes Eintreten für seine Überzeugungen geschätzt.
*Ernst von Glasersfeld war ein österreichischer Philosoph und Kognitionswissenschaftler, der für seine Arbeiten im Bereich des radikalen Konstruktivismus bekannt ist. Er wurde 1917 geboren und starb 2010. Von Glasersfeld betonte die Bedeutung der Konstruktion von Wissen durch den individuellen Verstand und wies darauf hin, dass Wissen nicht einfach objektiv existiert, sondern durch die Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt entsteht.
Sein Konstruktivismus betonte, dass Menschen ihr Verständnis der Welt durch individuelle Erfahrungen und Interpretationen aufbauen. Er war ein bedeutender Denker auf dem Gebiet der Pädagogik und argumentierte, dass traditionelle Lehrmethoden oft nicht effektiv sind, da sie die aktive Konstruktion von Wissen durch die Lernenden nicht ausreichend berücksichtigen.
Von Glasersfelds Ideen hatten großen Einfluss auf verschiedene Bereiche, insbesondere auf die Pädagogik und die Kognitionswissenschaften, und trugen dazu bei, unser Verständnis davon zu erweitern, wie Menschen Wissen erwerben und die Welt um sich herum verstehen.
*Ludwig Wittgenstein war ein bedeutender österreichisch-britischer Philosoph des 20. Jahrhunderts, der für seinen Einfluss auf die analytische Philosophie bekannt ist. Er lebte von 1889 bis 1951. Wittgenstein durchlief zwei Hauptphasen seines Denkens, die sich in seinen beiden Hauptwerken, dem „Tractatus Logico-Philosophicus“ und den „Philosophischen Untersuchungen“, widerspiegeln.
Im „Tractatus Logico-Philosophicus“ argumentiert Wittgenstein, dass viele Probleme der Philosophie aus einer unklaren und irreführenden Sprache resultieren. Er versuchte, die Grenzen der Sprache und des Denkens aufzuzeigen und schlug vor, dass Aussagen nur dann sinnvoll sind, wenn sie sich auf beobachtbare Tatsachen beziehen und logisch überprüfbar sind. Wittgenstein postulierte, dass die Struktur der Sprache die Struktur der Welt widerspiegelt und dass philosophische Probleme durch eine klare Analyse der Sprache gelöst werden können.
In den Philosophischen Untersuchungen änderte Wittgenstein seinen Ansatz. Hier betonte er die Mehrdeutigkeit und Vielfalt der Sprache und argumentierte, dass Bedeutung durch Gebrauch und Kontext bestimmt wird. Er führte den Begriff des Sprachspiels ein, der darauf hinweist, dass Wörter in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben können. Wittgenstein betonte auch die Bedeutung von Regeln und Praktiken in der Sprache und im menschlichen Verständnis.
Sein Werk hatte weitreichende Auswirkungen auf die Philosophie, die Sprachphilosophie, die Logik und sogar auf Bereiche wie die Linguistik und die Kognitionswissenschaft. Wittgensteins Ansichten über Sprache, Bedeutung und die Natur philosophischer Probleme haben dazu beigetragen, neue Denkwege in der Philosophie zu eröffnen.
Transkript zum Erklärfilm
Alles im Kleinen und Großen beruht auf Weitersagen. – Christian Morgenstern. Dieser Satz klingt wichtig, aber was bedeutet er eigentlich? Wie soll man mit Sprache handeln? Sprache beschreibt Sachverhalte und stellt Behauptungen auf. Gleichzeitig vollzieht sie jedoch auch Handlungen beziehungsweise Akte. Seit 1955 werden diese Handlungen in der sogenannten „Sprechakttheorie“ untersucht. Der Philosophieprof. John Langshaw Austin gilt als Gründer der Sprechakt-Theorie. Er unterscheidet beim Sprachhandeln drei verschiedene Arten von Sprechakten: den lokutionären Akt, den illokutionären Akt und den perlokutionären Akt. Schauen wir uns diese Akte einmal genauer an. Lokutionärer Akt: Eine sprechende Person äußert bewusst Laute. Aber nicht nur das: Sie entscheidet sich während des Sprechens für eine Sprache, verwendet bestimmte Wörter, beachtet weitgehend die Regeln der Grammatik und stellt sinnvolle Bezüge zu Gegenständen oder Ereignissen in ihrer Welt her. Das Sprechen an sich ist also bereits eine Handlung, die mit vielen aktiven Entscheidungen verbunden ist. Illokutionäre Akt: Eine sprechende Person wendet sich an eine Hörerin oder einen Hörer. Damit ist das Sprechen Teil einer sozialen Interaktion. Es beeinflusst die Beziehung zwischen Sprechenden und Hörenden. Das zwischenmenschliche Verhältnis wird durch Versprechungen, Drohungen, Komplimente oder Beleidigungen gefestigt oder geschädigt. Perlokutionäre Akt: Das gesprochene Wort wirkt auf die zuhörende Person ein. Sie kann durch das Gesagte verletzt, überzeugt oder verärgert werden. Während die ersten beiden Sprechakte durch die sprechende Person vollzogen werden, vollzieht das Wort also automatisch eine dritte Sprachhandlung an den Hörenden. Zusammenfassend beeinflussen Worte die Beziehung zwischen Sprechenden und Hörenden und ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen. Sprache kann deshalb nicht nur die Gegenwart beschreiben, schreiben, sondern auch zukünftige Ereignisse verändern. Sie muss als Handlung begriffen werden. Sigmund Freud beschreibt diesen Umstand so: „Durch Worte kann der Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissen auf die Schüler, durch Worte reist der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt Urteile und Entscheidungen, Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung der der Menschen untereinander.“