Gibt es eine deutsche Sprache? Oder sollten wir eher von den deutschen Sprachen sprechen? Der Linguist Peter Rosenberg ist sich sicher: Es gibt nicht nur die deutsche Sprache. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von deutschen Sprachvarietäten. Wichtig ist für ihn der Blick auf die Dialekte, denn diese haben eine eigene Lautung, Wortbildung und Satzbildung und bilden nach diesen Kriterien vollständige Sprachsysteme.
Für Rosenberg ist klar: Es gibt zwar das Hochdeutsche, das allgemein als „die“ deutsche Sprache angesehen wird. Dennoch gehören die Dialekte als Teilsysteme zur deutschen Sprache dazu. Eine genaue Abgrenzung von Dialekt und Sprache wird noch immer diskutiert. Deshalb kann man bei Dialekten auch von eigenen Sprachen sprechen. Was genau aber zu einer „vollen“ Sprache wird und welcher Sprache ein Dialektstatus zugeschrieben wird hat, nach Rosenberg, eine historisch-politsche Dimension. Mit dem Aufkommen der Nationalstaaten Ende des 19. Jahrhunderts entstand gleichzeitig die Notwendigkeit einer einheitlichen Nationalsprache. Diese manifestierte die neu entstandene Gemeinschaft und wirkte ebenso exkludierend nach außen.
Auch die Einführung der Schulpflicht in Deutschland verstärkte den Bedarf einer bundesweit einheitlichen Sprache. Rosenberg bemerkt weiter, dass existierende Sprachhierarchien das Resultat politischer Entscheidungen seien. Nicht die „Schönheit“ einer Sprache bestimmt ihr Prestige, sondern gesellschaftliche Konstruktionen und Ideologien: „Keine Nation ohne Nationalsprache“.
Peter Rosenberg sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass jede Sprache, und damit auch jeder Dialekt, einen spezifischen Blick auf die Welt bietet. Der Linguist Guy Deutscher spricht davon, dass Sprache einerseits wie ein Spiegel ist, andererseits aber auch wie eine Linse wirkt, durch die wir die Welt sehen.
Die Berliner Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese wiederum hat sich mit dem Sprachgebrauch von Jugendlichen befasst. Das keiner regulären Grammatik gehorchende Sprachengemisch, das sie „Kiezdeutsch“, zeigt die ganze Lebendigkeit von Sprache. Sprache ist nämlich, nach Wiese, kein unveränderliches Gebilde oder Werk, sondern wird im und durch den Gebrauch der Sprechergemeinschaft verändert. Es ist ihrer Auffassung nach also ganz natürlich, dass Sprachen sich entwickeln und verändern – für sie ein Zeichen der Vitalität: Eine Sprache höre erst auf sich zu verändern, wenn sie nicht mehr gesprochen werde.
Was bedeutet es zum Beispiel für das Thema Integration, wenn jede Sprache einen spezifischen Blick auf die Welt bietet?
Weitere Infos unter http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/professorin-heike-wiese-verteidigt-den-jugendslang-kiezdeutsch-a-824386.html