Immaterielles KulturerbeDamit kulturelle sowie natürliche Eigenheiten hervorgehoben werden können, wurde 1972 von 190 Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt (Welterbe-Konvention) ratifiziert. Somit soll einerseits das gegenständige Verständnis von Kultur und andererseits der Schutz sowie der Erhalt unterschiedlicher Kultur- und Naturgüter gefördert werden. Gleichzeitig wird garantiert, dass „ein Vermächtnis früherer Generationen […] an die nachfolgenden Generationen weitergegeben“ (Hauser-Schäublin/ Bendix 2015, 52) werden kann (vgl. Hauser-Schäublin/ Bendix 2015, 51 f.).

Erweiterung

Das materielle Welterbe-Konzept von 1972 wurde 2003 mit dem Abkommen zum Schutz des Immateriellen Kulturerbes ergänzt, sodass fortan folgende Bereiche als schützenswert gelten:

  • Mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache
  • Darstellende Künste
  • Gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
  • Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum
  • Traditionelle Handwerkstechniken (vgl. Eggert/ Mißling 2015, 63 f.)

Folglich werden aufgrund der Konvention von 2003 kulturelle Ausdrucksformen geschützt, „mit denen sich […] häufig ethnische Gruppen identifizieren, […] [die] von Generation zu Generation überliefert [werden und eine] identitätsstiftende Wirkung und Bedeutung“ (Eggert/ Mißling 2015, 64) besitzen.

 

Ziele der Konvention

Die Maßnahmen, um die bedrohten kulturellen Ausdrucksformen zu schützen, sollen einerseits ihre Lebendigkeit erhalten sowie fördern und andererseits das Bewusstsein für die Bedeutung auf lokaler, nationaler sowie internationaler Ebene stärken. Somit bleiben gleichzeitig „Jahrhunderte alte Traditionen und Bräuche als immaterielle Komponente des Kulturerbes der Menschheit“ (Dippon/ Siegmund 2010, 32) erhalten.

Die Ziele des immateriellen Kulturerbes lassen sich folgendermaßen einordnen:

1. Bewahrung und Schutz: Das wichtigste Ziel des Immateriellen Kulturerbes ist es, traditionelles Wissen, Rituale, Ausdrucksformen und Praktiken lebendig zu erhalten und vor dem Aussterben zu schützen. Durch die Dokumentation, Weitergabe und Vermittlung des Immateriellen Kulturerbes an zukünftige Generationen kann die Kontinuität von Traditionen gesichert werden.

2. Förderung der kulturellen Vielfalt: Immaterielles Kulturerbe ist oft mit bestimmten Gemeinschaften, Gruppen oder Ethnien verbunden. Die Anerkennung und Förderung des immateriellen Kulturerbes trägt zur Wertschätzung und Erhaltung der kulturellen Vielfalt bei und fördert den interkulturellen Dialog.

3. Identitätsstiftung: Immaterielles Kulturerbe spielt eine wichtige Rolle bei der Identitätsbildung von Gemeinschaften und Gruppen. Es ist Ausdruck ihrer Geschichte, ihrer Werte, ihres Glaubens und ihrer Lebensweise. Die Anerkennung des immateriellen Kulturerbes hilft den Gemeinschaften, ihre eigene Identität zu stärken und ein Bewusstsein für ihre kulturelle Bedeutung zu schaffen.

4. Nachhaltige Entwicklung: Immaterielles Kulturerbe kann auch zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, indem es lokale Gemeinschaften stärkt und wirtschaftliche Möglichkeiten schafft. Traditionelle Handwerkstechniken, Feste und kulturelle Praktiken können als touristische Attraktionen genutzt werden, um die lokale Wirtschaft zu fördern und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

5. Förderung des Dialogs zwischen den Generationen: Die Weitergabe des immateriellen Kulturerbes von einer Generation an die nächste fördert den Austausch zwischen verschiedenen Altersgruppen und trägt zum Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft bei.

Beispiele

Deutschland ist seit 2013 unter dem Motto Wissen. Können. Weitergeben. daran interessiert, die Vielfalt des lebendigen Kulturerbes auf nationaler Ebene zu erhalten, zu pflegen sowie zu fördern (vgl. UNESCO1). Vier Kategorien bringen dabei diese Vielfalt zum Ausdruck:

  1. Bräuche und Feste im Jahresverlauf
  • z. B. das Sternsingen oder das Finkenmanöver im Harz
  1. Mensch und Natur
  • z. B. das Hebammenwesen oder die Deutsche Brotkultur
  1. Musik und (Körper-)Sprache
  • z. B. das Choralsingen oder der Poetry-Slam
  1. Leben in Gemeinschaft
  • z. B. die ostfriesische Teekultur (vgl. UNESCO2)

Weitere Beispiele sind im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes zu finden: www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/bundesweit

Während das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes auf deutscher Ebene die Vielfalt repräsentiert, stehen auf internationaler Ebene drei Listen zur Erhaltung desselben zur Verfügung:

  1. Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit
  • Ziel: Eine größere Sichtbarkeit der weltweiten kulturellen Vielfalt und gleichzeitig ein wachsendes Bewusstsein dafür schaffen
  • z. B. der chinesische Scherenschnitt
  1. Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes
  • Ziel: Schnelle Maßnahmen für v. a. durch globale/ lokale Entwicklungen bedrohte Kulturformen durchsetzen
  • z. B. der Kulturraum der katholischen Minderheit der Suiti in Lettland
  1. UNESCO-Register guter Praxisbeispiele
  • Ziel: Modellprojekte hervorheben
  • z. B. das lebendige Museum für Fandango in Brasilien (vgl. UNESCO3; Eggert/ Mißling 2015, 68)
Die Kehrseite des Immateriellen Kulturerbe-Status

Obwohl die Konvention von 2003 dazu beitragen soll, das lebendige Kulturerbe weltweit zu fördern und zu wertschätzen sowie einer kulturellen Vereinheitlichung entgegenzuwirken, existieren auch Probleme und Herausforderungen, die mit dem Status des Immateriellen Kulturerbes einhergehen. Folgende Auflistung veranschaulicht diese:

  • Die Instrumentalisierung der Konvention führt zu Erstarrung, Festschreibung und Musealisierung des lebendigen Kulturerbes. 
  • Bestimmte wertbehaftete Repräsentationen werden erzeugt und als authentisch bzw. erhaltenswert betrachtet. 
  • Staaten wollen mit dem Status des Immateriellen Kulturerbes ein bestimmtes Image erzeugen. 
  • Obwohl Gemeinschaften und Gruppen als Kulturtragende im Fokus stehen, existiert keine einheitliche Definition, wer als Kulturtragender gilt.
  • Die Verwaltung des Immateriellen Kulturerbes liegt primär in der Verantwortung des Staates, sodass Mitspracherechte abhängig von der politischen bzw. hierarischen Struktur sind und z. T. erst geschaffen werden müssen.
  • Bestimmung, Nominierung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen ist Staatsaufgabe, sodass die o. g. Listen stets auf Selektionsprozessen beruhen, die somit potenziell ein Machtgefälle reproduzieren, da während des Nominierungsprozesses die Tauglichkeit zum Welterbe inszeniert wird und diejenigen aufgenommen werden, die ihre Kulturform ansprechend präsentieren. 
  • Folge: Hegemonie machtvoller Staaten
  • Kontrollausübung auf Kulturformen
  • kommerzielle/ industrielle Vermarktung
  • politische, wirtschaftliche und ideelle Inwertsetzung (vgl. Eggert/ Mißling 2015, 65–77)

 

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Literatur

Dippon, P./ Siegmund, A. (2010): Der Bildungsanspruch von UNESCO-Welterbestätten – eine aktuelle Bestandsaufnahme im Spannungsfeld zwischen Welterbekonvention und lokaler Praxis. In: Ströter-Bender, J. (Hrsg.): World Heritage Education. Positionen und Diskurse zur Vermittlung des UNESCO-Welterbes. Marburg, 31–43.

Eggert, A./ Mißling, S. (2015): Das UNESCO-Übereinkommen von 2003 zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. In: Groth, S./ Bendix, R./ Spiller, A. (Hrsg.): Kultur als Eigentum: Instrumente, Querschnitte und Fallstudien. Göttingen, 61–77.

Hauser-Schäublin, B./ Bendix, R. (2015): Welterbe. In: Groth, S./Bendix, R./ Spiller, A. (Hrsg.): Kultur als Eigentum: Instrumente, Querschnitte und Fallstudien. Göttingen, 51–58.

UNESCO1 (o.J.): https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland [01.02.2019].

UNESCO2 (o.J): https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/bundesweit [01.02.2019].

UNESCO3 (o.J.): https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-weltweit [01.02.2019].

Immaterielles Kulturerbe (kmk.org)

 

Transkript zum Erklärfilm

1972 wurde das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt in Kraft gesetzt. Dadurch soll einerseits das Verständnis von Kultur und andererseits der Erhalt unterschiedlicher Kultur- und Naturgüter gefördert werden. Als erhaltenswertes immaterielles Kulturerbe kann gelten:

  • Mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen
  • Darstellende Künste
  • Gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
  • Wissen in Bezug auf die Natur und das Universum
  • Traditionelle Handwerkstechniken

Obwohl die Konvention einer kulturellen Vereinheitlichung entgegenwirken soll, wird sie zum Teil kritisiert. Zum Beispiel kann der Status als immaterielles Kulturerbe zur Erstarrung des lebendigen Kulturerbes führen.

 

Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht  geschildert:

(Un)Sitten

Melissa ist 20 Jahre alt, hat gerade ihr Abitur in Deutschland gemacht und freut sich auf ein Jahr als Au-Pair-Mädchen in Australien. Als ihre Gastmutter sie eines Tages fragt, ob sie mit den Regelungen des Haushaltsplanes einverstanden sei, zeigt Melissa der Gastmutter einen nach oben gestreckten Daumen. Sie will ausdrücken, dass sie die Idee prima findet. Doch die Gastmutter schaut sie entsetzt an und zerreißt den Plan in der Mitte. Melissa ist erstaunt und kann ihre Reaktion nicht nachvollziehen. Also geht sie auf die Gastmutter zu und fragt, ob sie etwas falsch gemacht habe. Diese erklärt ihr daraufhin die Bedeutung des Daumens in Australien und lässt sich im Gegenzug die deutsche Bedeutung erläutern. Der ausgestreckte Daumen signalisierte der Gastmutter, dass Melissa sie loswerden will. Daraufhin entschuldigt sich Melissa und zeigt ihr zum Zeichen des Friedens das Peace-Zeichen. Die Mutter beginnt zu lachen und erklärt, dass auch dieses Zeichen in Australien eine unhöfliche Geste sei.

6. März 2019

Immaterielles Kulturerbe

Damit kulturelle sowie natürliche Eigenheiten hervorgehoben werden können, wurde 1972 von 190 Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) das Übereinkommen […]