Der Begriff Erfundene Tradition wurde von den Geschichtswissenschaftlern Eric Hobsbawn und Terence Ranger geprägt. 1983 verwendeten sie ihn erstmalig in ihrem Buch The Invention Of Tradition.
Hobsbawn und Ranger konstatieren, dass viele Traditionen keine uralten Riten seien, sondern sich bei genauer Betrachtung als Erfindungen der Moderne herausstellen: „Hobsbawn unterscheidet erfundene Tradition von Gewohnheit und Brauchtum (custom) auf der einen Seite, Konvention und Routine auf der anderen. Er will nicht behaupten, jede Tradition sei erfunden, denn natürlich werden Gewohnheit und Brauchtum, Konvention und Routine tradiert, sondern wenn er von dem Erfinden von Tradition spricht, so ist dies eine bestimmte Art des Umgangs mit den traditia, indem einem traditum eine bestimmte oder rituelle Funktion zukommt.“ (Dittmann 2004, 61)
Wie kann eine Traditionen erfunden werden? Eine erfundene Tradition wird realisiert, indem ein bestimmter Punkt in der Vergangenheit gewählt wird und Sprache, Gesten sowie Gegenstände so häufig wiederholt werden, „bis man sich nicht mehr vorstellen kann, dass es auch einmal anders war.“ (Mancic 2012, 62) In der Gegenwart wird somit eine Tradition konstruiert und in die Vergangenheit projiziert. Demnach kann auch von einer historischen Fiktion gesprochen werden.
Beispielsweise werden schottische Röcke, auch Kilt genannt, für eine uralte Tradition gehalten, sind allerdings tatsächlich eine Erfindung aus dem 19. Jahrhundert. Ähnlich verhält es sich mit dem griechischen Volkstanz Sytraki, der aber erst seit Mitte der 1960er bekannt ist. Die Vuvuzela, welche insbesondere durch die Weltmeisterschaft bekannt wurde und seitdem als südafrikanische Tradition angesehen wird, ist ebenfalls eine Erfindung aus der Moderne. Auch das bayrische Dirndl war in der Vergangenheit kein Festtagsgewand. Es wurde ursprünglich von Dorfmägden getragen, weshalb sich heute Schürzen an den Trachten befinden.
Funktionen
Die erfundenen Traditionen erfüllen drei Funktionen: Sie erzeugen Autorität, schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und prägen das Verhalten. Nach diesen Funktionen lassen sich erfundene Traditionen auch unterteilen:
In diesem Zusammenhang lässt sich auch Der edle Wilde – eine schöne Illusion? anführen: https://www.hyperkulturell.de/der-edle-wilde-eine-schoene-illusion/
Literatur
Hobsbawn, Eric/ Ranger, Terence (1983): The Invention Of Tradition. Bambridge: University Press.
Dittmann, Karsten (2004): Tradition und Verfahren: philosophische Untersuchungen zum Zusammenhang von kultureller Überlieferung u. kommunikativer Moralität. Norderstedt: Books on Demand.
Mancic, Emilija (2012): Umbruch und Identitätszerfall. Narrative Jugoslawiens im europäischen Kontext. Tübingen: Francke.