In einem Interview mit der ZEIT erklärt der Ethnologe Prof. Dr. Christoph Antweiler* den Begriff Bongo-Bongoismus so:
„Auch ich bin als Relativist in der Ethnologie groß geworden. Da galt es als besondere wissenschaftliche Leistung, nachzuweisen, dass irgendetwas, das wir für selbstverständlich halten, nicht beim Volk der Bongo Bongo vorkommt. In Fachkreisen spricht man von »Bongo-Bongoismus«. Ein überzogener Relativismus ist heute leider der Mainstream in den Kulturwissenschaften.“
Antweilers Antwort: „Ich bin ein ziemlich unpolitischer Mensch, und daher finde ich auch die Grundmaxime des Kulturrelativismus richtig: Wir sollten nicht werten, denn alle Kulturen sind grundsätzlich gleichwertig und in sich stimmig. Ich warne aber vor übertriebenem Kulturrelativismus, der schnell in Kulturrassismus umschlägt. Der alte Rassismus hat gesagt: Wir leben in einer Welt, aber wir sind verschiedene Menschen, die gelben, die schwarzen, die roten und so weiter. Der Ultrarelativismus sagt: Wir sind alle Menschen, aber leben in völlig verschiedenen Welten, sprich Kulturen. Im Extremfall wird dann behauptet, die Kulturen seien inkompatibel und könnten sich nicht verständigen. Das ist wissenschaftlich nicht fundiert und politisch gefährlich.“
Als Kontrastbegriff kann der sog. Adamismus genannt werden. Damit ist die (v. a. religiöse) Vorstellung gemeint, dass alle Menschen einen (göttlichen) Ursprung haben (Adam/ Eva) und sich daher grundsätzlich sehr ähnlich sind. Dieser Glaubenssatz ist in vielen Religionen verbreitet, insbesondere im Christentum, Judentum und Islam, wo Adam und Eva als die ersten Menschen betrachtet werden. Der Adamismus betont die gemeinsame Menschlichkeit aller Menschen und lehnt die Idee ab, dass bestimmte Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Kultur überlegen oder minderwertig sind. Er fördert die Vorstellung, dass alle Menschen Teil einer großen menschlichen Familie sind und daher die gleichen Rechte und Würde haben sollten. Antweiler verwendet dafür den Begriff Universalien.
Es ist zu betonen, dass der kulturelle Relativismus und der Adamismus nicht unbedingt miteinander im Widerspruch stehen müssen. Es ist möglich, an den gemeinsamen Ursprung aller Menschen zu glauben und gleichzeitig die Vielfalt und Unterschiede zwischen den Kulturen anzuerkennen. In der Praxis können diese Konzepte jedoch oft in Spannungen zueinander stehen, insbesondere wenn es um Fragen der Gleichberechtigung, der kulturellen Anerkennung und des Umgangs mit kultureller Vielfalt geht.
Kulturrelativismus ist eine Denkweise, die besagt, dass die Werte, Normen und Verhaltensweisen einer Kultur nur im Kontext dieser Kultur und ihrer eigenen Geschichte beurteilt werden können. Er legt nahe, dass es keinen absoluten Maßstab gibt, um eine Kultur als „richtig“ oder „falsch“ zu bewerten, sondern dass alles relativ zu den jeweiligen kulturellen Normen betrachtet werden sollte.
Diese Perspektive betont die Vielfalt und den Wert unterschiedlicher Kulturen und hebt hervor, dass kulturelle Praktiken und Überzeugungen nicht universell bewertet werden können, da sie in einem bestimmten kulturellen Kontext verankert sind. Kritiker des Kulturrelativismus argumentieren jedoch manchmal, dass er moralische und ethische Standards relativieren könnte, indem er kulturell bedingte Praktiken billigt, die gegen universelle Menschenrechte verstoßen könnten.
*Prof. Dr. Christoph Antweiler ist ein renommierter deutscher Wissenschaftler und Soziologe, der sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Kultur und Entwicklung beschäftigt. Er wurde am 15. Januar 1963 in Würzburg geboren.
Nach seinem Abitur absolvierte Antweiler ein Studium der Soziologie an der Universität zu Köln. Dort erlangte er im Jahr 1988 seinen Magisterabschluss. Im Anschluss daran promovierte er im Fach Soziologie mit einer Arbeit über die interkulturelle Begegnung in Thailand. Die Promotion schloss er im Jahr 1993 ab.
Antweilers wissenschaftlicher Werdegang führte ihn anschließend in verschiedene Länder und Institutionen. Unter anderem arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of California, Los Angeles (UCLA) und der Harvard University in den USA. Zudem war er mehrmals als Gastdozent an verschiedenen Universitäten in Europa und Asien tätig.
Im Jahr 1996 habilitierte Antweiler sich an der Universität Bielefeld mit einer Arbeit über die Beziehungen zwischen Kultur und Entwicklung. Diese Arbeit legte den Grundstein für sein späteres Forschungsfeld. Nach seiner Habilitation erhielt er eine Professur für Soziologie an der Universität Augsburg, an der er bis zum Jahr 2006 tätig war.
Antweilers Forschungsschwerpunkt liegt auf der interdisziplinären Erforschung der kulturellen und sozialen Dimension von Entwicklungsprozessen. Dabei analysiert er nicht nur die Bedeutung von Kultur für die Entwicklung von Gesellschaften, sondern auch die Auswirkungen globaler Entwicklungen auf lokale Kulturen.
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Literatur
Antweiler, Christoph (2009): Heimat Mensch. Was uns alle verbindet. Hamburg: Murmann.
Antweiler, Christoph (2009): Interview mit Christoph Antweiler [Juni 2019]
Transkript zum Erklärfilm
Die Forschung der vergleichenden Sozial- und Kulturwissenschaft konzentrierte sich lange Zeit darauf, Dinge zu ermitteln, die für westliche Gesellschaften selbstverständlich sind, für das Volk der Bongo Bongo jedoch nicht. Dieser Forschungsschwerpunkt wird Bongo-Bongoismus genannt. Bongo-Bongoismus ist problematisch, weil er dazu verleitet, die verschiedenen Kulturen nicht als gleichwertig zu betrachten oder zu behaupten, dass bestimmte Kulturen untereinander inkompatibel seien und sich nicht verständigen könnten. Solche Aussagen sind wissenschaftlich nicht haltbar und rassistisch.
Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch von Benjamin Haag geschildert:
Dünnes Fell
2012 verbrachte ich ein Jahr in Midland, Texas, USA. Dort arbeitete ich mit der christlichen Organisation PAIS zusammen. Meine Tätigkeit bestand aus der Arbeit in einer Kirchengemeinde und in Schulen. Ich gestaltete das Jugendprogramm und half im Deutschunterricht aus bzw. gestaltete verschiedene Afterschool clubs, die sich unter anderem mit Themen wie Mobbing auseinandersetzten. Da ich über die Kirchengemeinde angestellt war, war mein Vorgesetzter der dortige Jugendpastor. Eine Situation, die sich dort abspielte, steht mir noch besonders deutlich vor Augen.
Unser Jugendpastor John schrieb an einem Morgen eine E-Mail an alle Mitarbeiter seiner Kirche und bat freundlich, aber direkt darum, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. Da mein Team und ich an diesem Morgen unpünktlich gewesen waren, war uns klar, dass diese Aufforderung nicht allen galt, sondern nur uns. Eine Stunde später bestellte er uns in sein Büro und wir rechneten damit, dass er über diesen Vorfall reden wollte. Doch dies war nicht der Fall. Er lobte uns und fragte, wie er uns besser unterstützen könne, doch über das Verspätungsproblem verlor er kein Wort.
Einer meiner Teamkollegen bat ihn dann freundlich, solche Dinge einfach mit uns persönlich und direkt anzusprechen, damit wir genau wissen, was er von uns erwarte. Daraufhin wurde John sehr wütend und fragte meinen Teamkollegen, was ihm einfalle, seine Autorität zu untergraben. Meiner Meinung nach hatte mein Teamkollege ihn sehr freundlich und respektvoll gefragt.
Im Nachhinein fiel mir auf, dass allein diese Aufforderung schon viel zu direkt für unseren amerikanischen Vorgesetzten war und er deshalb so ausgerastet ist. Als Deutsche(r) ist meiner Erfahrung nach direkter und oft auch kritischer Umgang miteinander ganz normal, aber in den USA ist eher das Gegenteil der Fall.
Damit es in der Situation nicht so weit gekommen wäre, hätte mein Teamkollege seine Kritik wahrscheinlich in einer anderen Situation mit mehr Feingefühl äußern müssen. Außerdem hätte er, bevor er das Problem ansprach, deutlich mehr Positives über John äußern müssen, da dies die Weise ist, wie Amerikaner Kritik äußern, wenn sie es denn überhaupt tun.