Kulturelle Karte (spielen)

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Kulturelle KarteKultur ist die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Errungenschaften einer Gesellschaft (vgl. Wahrig 2009, 638). Der anthropologische Kulturbegriff umfasst dabei die Gesamtheit kollektiver Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster einer Gesellschaft. Hofstede versteht darunter „ein kollektives Phänomen, da man sie zumindest teilweise mit Menschen teilt, die im selben sozialen Umfeld leben oder lebten, d. h. dort, wo diese Kultur erlernt wurde. Sie ist die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“ (Hofstede 1993, 19).

Die Ethnologie – eine Wissenschaft der Völker

Die Ethnologie, auch Kulturanthropologie bzw. Völkerkunde, ist eine Wissenschaft, die empirisch arbeitet und dabei Vergleiche zieht. Ihr Ziel ist es, zu erforschen, wie vielfältig die menschlichen Verhaltensweisen sind, um sie dann kulturübergreifend verständlich zu machen und zu erklären. Dabei wird das Augenmerk nicht mehr nur auf ferne Gesellschaften, sondern auch auf eigene gelegt, in denen kulturelle Vielfalt und Differenz bedeutsam sind (vgl. Barth 1969).

Der Ethnologe Christoph Antweiler* bemerkt in diesem Zusammenhang, dass alle Kulturen trotz unzähliger Unterschiede erstaunlich viel gemeinsam haben. Er sammelt Barbiepuppen aus aller Welt, um sie auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu untersuchen. Dabei stellt er fest, dass sie an die Kulturen ihres Herkunftslandes angepasst sind, bestimmte Grundmerkmale, wie z. B. glatte Haut oder eine schmale Taille, jedoch übereinstimmen und in allen Kulturen als Zeichen von Schönheit gelten (vgl. Rauner 2009). Antweiler geht es nicht um triviale Ähnlichkeiten. Vielmehr untersucht er das Phänomen, dass, obwohl es anders möglich wäre, fast alle Kulturen Gemeinsamkeiten aufweisen, z. B. Inzestverbot, Gastfreundschaft oder sexuelle Beschränkungen (vgl. Rauner 2009).

Ein Kampf der Interessen

Antweiler bemerkt aber auch, dass sich Kulturen in ihrem Kampf um Anerkennung und Profil oft als hermetisch verschlossen präsentieren und das Gemeinsame  so nicht in den Blick gerät (vgl. Antweiler 2009, 12). Dabei wissen wir heute, dass Menschen einerseits ein Potential zur Aggression haben und vor allem soziale Beziehungen oft von dieser geprägt sind. Andererseits neigen Menschen auch zu Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Kooperation (vgl. Antweiler 2009, 104). Trotz der vielen Gemeinsamkeiten existieren ethnische Konflikte. Diese haben etwa Benachteiligung oder Ressourcenknappheit als Ursache.

Die (kulturelle) Karte der Macht

Ein Beispiel dafür sind die Bürgerkriege, wie sie in Ruanda oder Exjugoslawien vorherrschten. Konflikte mit sozioökonomischen Ursachen werden von den Beteiligten oft aus strategischen Gründen selbst und erst im Nachhinein kulturell eingefärbt. Es wird nicht dazu gestanden, arm oder überfordert zu sein, sondern es wird die ethnische Karte ausgespielt: Besitzansprüche werden geltend gemacht sowie angeblich unüberwindbare kulturelle Differenzen betont (vgl. Rauner 2009). Dabei geht es weder um Bräuche, Traditionen oder Werte. Es sollen Macht erzielt, Geld erwirtschaftet und lukrative Posten besetzt werden. Um in diesem Kampf die Interessen der eigenen Gruppe durchzusetzen, ist es von Vorteil, die kulturelle Karte zu spielen (vgl. Antweiler 2009, 106).

Damit eine friedliche Lebensweise entsteht, müsste eine Kultur gefunden werden, die dauerhaft keine Kriege führt oder in der männliche Gewalt keine Rolle spielt. Das zeigt, „dass es sich bei Gewalt und Krieg nicht um Naturgesetze handelt oder um strukturelle Notwendigkeiten des Lebens in einer Gesellschaft.“ (Antweiler 2009, 107)

*Christoph Antweiler ist ein renommierter deutscher Ethnologe und Kulturwissenschaftler. Er wurde am 10. April 1959 in Köln geboren. Schon früh entwickelte Antweiler ein Interesse an fremden Kulturen und Gesellschaften. Nach dem Abitur studierte er Ethnologie, Volkskunde und Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität zu Köln. Während seines Studiums absolvierte er mehrere Forschungsaufenthalte im Ausland, unter anderem in Mexiko und Kamerun. Nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums promovierte Antweiler 1992 mit einer Arbeit über Wirtschaft, Kultur und Ethnologie im Jemen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der Universität zu Köln. In den folgenden Jahren widmete er sich intensiv der Erforschung verschiedener Kulturen, insbesondere in Afrika und im Nahen Osten. Antweiler wurde schnell als Experte auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation und des Verständnisses globaler kultureller Prozesse anerkannt. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Bücher, in denen er seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich machte. Besonders bekannt ist sein Werk „Interkulturelle Kommunikation“, das als Standardwerk auf diesem Gebiet gilt. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Antweiler auch als Dozent an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland tätig. Er hielt Vorlesungen und Seminare zu Themen wie Cultural Studies, Postkolonialismus und Ethnologie. Seine Lehrtätigkeit wurde von Studierenden und Kollegen gleichermaßen geschätzt. Christoph Antweiler war auch als Gutachter und Berater tätig. Er wurde regelmäßig von internationalen Organisationen wie der UNESCO und der Europäischen Kommission eingeladen, um seine Expertise zur Förderung des interkulturellen Dialogs und der kulturellen Vielfalt einzubringen. Sein Engagement und sein Beitrag zur interkulturellen Verständigung wurden vielfach gewürdigt. Für seine herausragenden Forschungsarbeiten und sein Engagement für den interkulturellen Austausch erhielt Antweiler zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Christoph Antweiler ist bis heute in Forschung und Lehre aktiv. Als anerkannter Experte auf seinem Gebiet trägt er maßgeblich zur Weiterentwicklung der Ethnologie und der interkulturellen Kommunikation bei. Sein Werk ist für Studierende, Wissenschaftler und Interessierte gleichermaßen von großer Bedeutung.

 

Hier geht es zum Überblick aller Lexikonartikel…

 

Literatur

Antweiler, Christoph (2009): Heimat Mensch. Was uns verbindet. Hamburg: Murmann.

Barth, F. (1969): Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Oslo: Universitetsforlaget.

Hermann, Ursula (2006): WAHRIG. Die deutsche Rechtschreibung (2009). Berlin: Cornelsen.

Hofstede, Geert (1993). Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen – Organisationen – Management. Wiesbaden: Gabler.

Rauner, Max (2009) Die Vielfalt ist begrenzt. https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fzeit-wissen%2F2009%2F06%2FInterview-Antweiler [28.06.2018].

Thomas, Alexander (2016) Interkulturelle Psychologie. Verstehen und Handeln in internationalen Kontexten. Göttingen: Hogrefe.

 

Transkript zum Erklärfilm

Konflikte mit sozioökonomischen Ursachen werden von den Beteiligten oft aus strategischen Gründen im Nachhinein kulturell eingefärbt. Statt einzugestehen, arm oder überfordert zu sein, wird die kulturelle Karte ausgespielt: Es werden Besitzansprüche geltend gemacht, indem angeblich unüberwindbare kulturelle Differenzen betont werden. Es geht in dem Konflikt aber garnicht um Bräuche, Traditionen oder Werte, sondern um Macht, Geld und die Besetzung bestimmter Posten. Ein interkultureller Konflikt liegt also eigentlich nicht vor. Das Spielen der kulturellen Karte dient lediglich dazu, die Interessen der eigenen Gruppe durchzusetzen. Zu diesem Zweck werden die Gemeinsamkeiten, die die Kulturen teilen, in den Hintergrund gedrängt.

Eine wahre interkulturelle Begebenheit wird in dem Buch Intercultural stories: Menschliche Begegnungen aus aller Welt – lustig, lehrreich, lebensecht  geschildert:

Rülpsen und pupsen

Nach ihrem Aufenthalt auf der Farm wollte Charlotte in ein Schweigekloster in der Nähe von Delhi. Dort wurden elftägige Seminare angeboten, bei denen man unter ständigem Schweigen meditieren konnte. Mehrmals täglich wurden Gruppensitzungen abgehalten, bei denen sich alle Teilnehmenden in einem Saal versammelten und unter Anleitung der Gurus die Meditationstechnik lernten.

Es herrschte völlige Stille im ganzen Raum, niemand sagte ein Wort. Wurden zwischendurch Teilnehmende dabei erwischt, dennoch zu reden, ermahnten die Gurus sie und wiesen sie zurecht. Denn das störte die Ruhe der anderen, die meditieren wollten.

In den Gruppensitzungen kam es jedoch dazu, dass einige ältere indische Damen mitten in die Stille rülpsten und pupsten – und das nicht gerade leise. Nachdem Charlotte dies anfänglich noch witzig gefunden hatte, fand sie es später nur noch nervig und ekelig. Sie konnte sich nicht mehr auf ihre Meditation konzentrieren. Doch bei diesen Störfaktoren sagten die Gurus nichts.

 

Deutsche Teilung

An einem Abend während meines Au-Pair-Aufenthaltes in Madrid verabredete ich mich mit anderen Au-Pairs in einer Bar zum Essen. Wir suchten uns eine typisch spanische Tapas-Bar aus, wo wir verschiedene Tapas und Getränke bestellten. Nach dem Essen fragten wir nach der Rechnung. Der Kellner brachte sie uns und ging wieder. Da wir eine Gruppe von sechs Au-Pairs waren und jeder unterschiedliche Tapas bestellt hatte, wollten wir getrennt zahlen. Wir riefen also den Kellner wieder zu uns und erklärten ihm, dass wir gerne getrennt bezahlen würden.

Der Kellner wurde daraufhin sehr mürrisch und murmelte etwas für uns Unverständliches auf Spanisch vor sich hin. Während der Kellner die einzelnen Beträge auseinanderrechnete, war er sehr genervt. Schließlich hatte jeder von uns gezahlt und wir verließen verdutzt das Restaurant. Als ich später zu Hause bei meiner Gastfamilie ankam, erzählte ich meinen Gasteltern von dieser Situation.

Meine spanische Gastmutter musste lachen und mein deutscher Gastvater erklärte mir, dass es in spanischen Restaurants nicht üblich sei, getrennt zu zahlen, selbst in Gruppen nicht. Stattdessen bezahle man zusammen den Gesamtbetrag bzw. man lege vorher zusammen. Meine Gastmutter meinte, dass es die Spanier beim Bezahlen in der Gruppe nicht so genau wie die Deutschen nehmen würden. Wenn ein Betrag mal nicht gerecht aufgeteilt werden könne, gehe man davon aus, dass sich das beim nächsten Mal wieder ausgleichen werde. Spanische Kellner seien es einfach nicht gewohnt, Beträge auseinanderzurechnen, damit die Gäste getrennt bezahlen können.