Die nigerianische Dorfschule

Martina hat gerade Abi gemacht und will was von der Welt sehen – aber gleichzeitig auch keine Zeit für ihre berufliche Zukunft als Lehrerin verlieren. Die gerade einmal 19-jährige entscheidet sich für ein Schulpraktikum in Nigeria. Dort wird sie vor dem Beginn ihres Studiums ein Jahr lang in einer Dorfschule hospitieren und unterrichten.

Die einzeln stehenden „Klassenzimmer“ in dem afrikanischen Dorf gleichen eher Remisen. Sie sind aus Holz und nach allen Seiten offen – etwa 30 Schüler sitzen unter einem Laubdach. Das Unterrichtsgeschehen auf dem gesamten Schulgelände ist für alle gleichermaßen sichtbar.

Martina berichtet von ihrem ersten Schultag: „Ich war ziemlich aufgeregt. Alles war so anders. Ich hatte mich natürlich vorbereitet. Die Organisation, mit der ich dort war, hatte mehrtägige Vorbereitungsseminare zur interkulturellen Kompetenz für uns veranstaltet. Ich wusste also schon, worauf ich mich einlasse. Aber… vor Ort zu sein und das alles hautnah zu erleben, ist dann doch was anderes. Der Unterricht in der 5. Klasse hatte also begonnen und es war ziemlich deutlich, dass nicht nur ich aufgeregt war. Als einzige Europäerin in dem kleinen Dorf war ich eine echte Exotin. Die Schüler haben einen recht lebhaften Eindruck auf mich gemacht, naja, sie waren wohl ziemlich aufgedreht… haben mir viele Fragen gestellt, alle durcheinander. Ich konnte kaum antworten, es war sehr laut und unruhig.

Mein neuer Kollege Adewale hat mehrfach verbal ermahnt, ziemlich deutlich sogar. Irgendwann saßen dann alle und nach der Begrüßung sollte ich mich vorstellen. Ein Schüler stand wieder auf und lief zu einem anderen Tisch, irgendwas in der Landessprache rufend… Adewale ging schnell auf ihn zu, griff den Schüler am Arm, schlug ihm ziemlich grob auf den Kopf und ins Gesicht, trat ihn auch mit den Füßen und brachte ihn auf seinen Platz zurück. Der Schüler zeigte kaum Reaktion und setzte sich. Ich war wie erstarrt. Die Tränen stiegen mir in die Augen.“

Darauf ist Martina nicht vorbereitet worden. Der Vorfall bleibt keine Ausnahme, wie sich später herausstellen sollte. Am Ende von Martinas erstem Schultag sitzen noch einige Kollegen zusammen und fragen sie nach ihren ersten Eindrücken. Sie ist ehrlich. Diese Form der Gewalt habe sie noch nie erlebt. Das sei auch nicht in Ordnung. In Deutschland gebe es so etwas nicht. Aus gutem Grund. Es sei falsch, Kinder zu schlagen… Erstaunte Blicke auf Seiten der afrikanischen Kollegen. Was ihr einfiele, als Gast so über die Arbeit erfahrener Kollegen zu urteilen? Ein unangenehmes Gespräch: Unsicherheit, Enttäuschung und auch Verärgerung sind auf allen Seiten deutlich zu spüren.

Martina will es auf ihre eigene Art versuchen, nachdem sie eigenständig Unterricht übernehmen darf. Es funktioniert nicht. Geht es mal wieder drunter und drüber in ihrem Klassenraum, kommt ein Kollege von nebenan, verprügelt den Störenfried und geht wieder.

Martina bleibt in Afrika – ein Jahr lang.